VORSTÄDTE Schon in der Zeit nach der Stadtgründung und frühen Stadtentwicklung dehnten sich vor der Mittelalterlichen Stadtmauer die sog. Feldmarken der Städte Berlin und Cölln aus. Dieses "Hufenland" war städtisches Acker-, Wald- und Weideland. Vor Berlin lagen 122 Hufen mit rund 1 800 ha (in Brandenburg umfaßte eine Hufe im Durchschnitt 60 Morgen, das entsprach etwa 15 ha) in drei Feldern im Norden sowie im Osten die sog. Kavelländer. Westlich schloß sich die Große Stadtheide an die Hufen an. An der Spree lagen ausgedehnte Wiesen. Die Cöllnische Feldmark bestand aus zwei Feldern ("Winterfeld" und "Sommerfeld" oder "Semmelfeld"), mitten darin die große Bullenwiese. Im Südosten der Feldmark lag die Cöllner Stadtheide. Im Bereich der Feldmarken Berlins und Cöllns entstanden kleine Vorstadtsiedlungen mit Meiereien, Schäfereien (zum Beispiel die Cöllner Ratsschäferei), Holzmärkten auf beiden Ufern der Spree sowie Weinberge. Bereits im 16. Jh. ist von "Vorstädten" die Rede. Vor den Stadttoren auf der Berliner Seite zeichneten sich erste Konturen der nach den jeweiligen Toren bezeichneten Spandauer , Georgen- und Stralauer Vorstadt , auf der Cöllner Seite die der Köpenicker und Teltower oder Leipziger Vorstadt ab. Im Dreißigjährigen Krieg geplündert und niedergebrannt, wurden die Berliner und Cöllner V. neu aufgebaut und vergrößerten sich im letzten Drittel des 17. Jh. rasch. Zunehmend verlagerte sich seit Ende des 17. und Anfang des 18. Jh. das Schwergewicht der Stadterweiterungen in die V. 1701 wurde den Berliner und Cöllner V. das Bürgerrecht erteilt, womit ihre Einwohner denen der Stadt gleichgestellt waren. Mit der Bildung der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin (1709) erhielt das Wachstum der V. neuen Aufschwung. 1709 wurden in den Berliner V. bereits 959 und in der Cöllner 317 Häuser gezählt, jedoch in der Dorotheenstadt nur 235. Trotz reger Bautätigkeit konnten die neu entstandenen Städte Friedrichswerder (1662), Dorotheenstadt (1674) und Friedrichstadt (1691) den wachsenden Zustrom von Ackerbürgern, Tagelöhnern, Bauleuten und Manufakturarbeitern nicht aufnehmen. Hinzu kam die Zuwanderung von etwa 6 000 der rund 20 000 kalvinistischen Glaubensflüchtlinge aus Frankreich (Hugenotten), die seit dem Edikt von Potsdam (1685) nach Brandenburg gekommen waren, ferner die Ansiedlung von Pfälzern und Schweizern, die Wiederaufnahme von Juden seit 1671 sowie 1735 die Einwanderung hussitischer Böhmen. Unter diesem wachsenden Zuwanderungsstrom wurden 1747 in der Haupt- und Residenzstadt 107 000 Einwohner gezählt, davon 22 000 in der Garnison, 7 200 in der französischen Kolonie, 1 500 in der böhmischen Kolonie, 2 000 in der jüdischen Gemeinde; von den 85 000 Zivilpersonen der Residenzstadt lebten 18 300 in Alt-Berlin, 11 800 in Alt-Cölln, 5 200 in Friedrichswerder, 4 500 in der Dorotheenstadt, 25 700 in der Friedrichstadt, 5 200 in der Cöllner Vorstadt, 3 000 im Stralauer Viertel, 6 800 im Spandauer Viertel und 4 700 im Königsviertel. Im 18. Jh. entwickelten sich die V. zu einem der "drei heterogenen Teile" der Stadt: neben dem mittelalterlich geprägten Stadtkern Berlin/Cölln und den neuen barocken Stadterweiterungen westlich davon ist ein "Ring ärmlicher, locker bebauter Vorstädte im Norden, Osten und Süden" entstanden (TOPOGRAPHISCHER ATLAS 1987/17). Sie füllten zunehmend den Raum zwischen der alten Festungsanlage (Fortifikation) und der ab 1734 errichteten neuenAkzisemauer. Außerhalb dieser Zollmauer setzte die Bebauung erst punktuell ein. Größte und bedeutendste der Berliner V. wurde im 18. Jh. die Spandauer Vorstadt nördlich der Berliner Altstadt. Ihr Ausgangspunkt war die Berliner Feldmark vor dem alten Spandauer Tor, von der um 1670 Teile zum Vorwerk der Kurfürstin Dorothea (1636-1689), der zweiten Gemahlin des Großen Kurfürsten, gehörten. Zu den Ursprüngen der Spandauer Vorstadt gehörten im 16. und 17. Jh. ein Ziegelhof, der 1568 vom Berliner Bürgermeister Hans Blankenfelde angelegt und 1660 von Kurfürstin Luise Henriette (1627-1667), erster Gattin des Großen Kurfürsten, erworben wurde, ferner eine Kalkscheune, eine kurfürstliche Meierei mit großem Garten, aus der im 18. Jh. Schloß Monbijou entstand sowie Schäfereien und Weinberge. 1710 standen in der Spandauer Vorstadt bereits ca. 500 Wohnhäuser; 1786 war sie mit 1020 Vorder- und 374 Hinterhäusern bereits dicht besiedelt. Grundgerüst des Straßensystems der Spandauer Vorstadt bildeten die Ausfallstraßen nach Spandau, Neuruppin-Hamburg, Rosenthal und Pankow (Oranienburger Straße, Große Hamburger Straße, Rosenthaler Straße, Alte Schönhauser Straße). Die rasch wachsende Spandauer Vorstadt nahm das Areal zwischen der nördlichen Friedrichstraße im Westen und heutigen Kleinen Alexanderstraße im Osten ein, im Norden begrenzt durch eine 1705 errichtete Palisadenumwehrung im Bereich der Linienstraße (1732/34 in die Akzisemauer einbezogen). Mit der 1712 von Königin Sophie Luise (1685-1735), der dritten Gemahlin Friedrichs I., gestifteten Sophienkirche in der Großen Hamburger Straße erhielt die Spandauer Vorstadt eine eigene Pfarrkirche mit ihrem markanten, 1732-1734 von Johann Friedrich Grael errichteten Turm, der als einziger Barockturm Berlins die Jahrhunderte überlebte. Um 1750 wurden nach Schleifung der Festungsanlage (Fortifikation) der Bereich Hackescher Markt/Neue Schönhauser Straße/Neue Promenade/Kleine und Große Präsidentenstraße bebaut. Seit Mitte des 18. Jh. wurde auch das Gebiet außerhalb der Akzisemauer einbezogen: Es entstand mit dem Bereich zwischen Rosenthaler und Hamburger Tor die Äußere Spandauer Vorstadt (später Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt ). Kern dieses Gebiets, das sich zunächst nur zwischen heutiger Berg-, Acker - und Brunnenstraße erstreckte, war die Kolonie "Neu Voigtland (Neu-Vogtland)", eine Siedlung aus eingeschossigen Reihenhäusern für vorwiegend aus dem sächsischen Vogtland stammende Handwerker und Bauleute. König Friedrich II. (1712-1786, Kg. ab 1740) persönlich hatte 1751 angeordnet, die ursprünglichen Saisonarbeiter "dahin zu disponieren, damit sich selbe ... im Lande etabliren und vor dem Thore zu Berlin mit Häusern und Gärten angesetzet werden könnten". (Zit. nach SPITZER, H./ZIMM, A. 1987/31). Im Übergangsbereich zwischen Spandauer Vorstadt und der um 1690 entstandenen Georgen- bzw. Königsvorstadt (später einfach Königsstadt) hatte sich das " Scheunenviertel " herausgebildet: Wo einst nur Scheunen standen, siedelten sich später nach und nach vorwiegend Juden an. Im Bereich der nördlichen Friedrichstraße wurde zwischen Spree im Süden und Neuem sowie Oranienburger Tor im Norden die Friedrich-Wilhelm-Stadt angelegt. Das Gebiet war 1828 von der Spandauer Vorstadt abgetrennt und systematisch baulich erschlossen worden. Den Namen Friedrich-Wilhelm-Stadt erhielt es 1828. Die Straße "Am Schiffbauer Damm" längs der Spree deutet auf die frühere Existenz zahlreicher Schiffbaubetriebe hin (So beschäftigten zum Beispiel die Werften am Schiffbauerdamm 1729 12 Meister und 19 Gesellen, 1802 14 Meister und 88 Gesellen). Schon 1710 entstand in diesem Viertel das sog. Pesthaus, das nacheinander als Spital, Arbeitshaus für Bettler und Garnisonslazarett diente und 1727 den Namen Charité ; erhalten hatte. Weiteres bedeutendes Objekt der historischen Topographie dieses Stadtteils ist die nach dem Vorbild ausländischer tierärztlicher Lehranstalten 1790 gegründete ehemalige Tierarzneischule, deren frühklassizistisches Anatomie-Gebäude ("Anatomisches Theater") Carl Gotthard Langhans (1732-1808) bei Übernahme antiker Formen entwarf. Die Oranienburger Vorstadt (Name seit 1824) wurde 1841 nach Berlin eingemeindet. In diesem Bereich breitete sich bald eines der bedeutendsten Industriegebiete Berlins aus (Industrialisierung Berlins). Hier in "Feuerland " siedelten sich die ersten Industriebetriebe an: die Königliche Eisengießerei in der Invalidenstraße (1804), die Egells’sche Maschinenbau-Anstalt und Eisengießerei an der Chausseestraße (1826) sowie die Maschinenfabrik Borsig (1837). Die im Nordosten Berlins entstandene Georgenstadt (ab 1701 Königsstadt bzw. Königsviertel) nahm ihren Ausgang vom Georgenhospital, einem einst vor dem Georgentor liegenden Hospital für Aussätzige mit einer Kapelle, das 1272 zum ersten Mal erwähnt wird (Heilig-Geist-Hospital/Heilig-Geist-Kapelle). 1689 erhielt die Georgenkapelle einen eigenen Geistlichen und wurde Pfarrkirche für die damaligen drei Berliner V. In der Nähe des 1720 abgerissenen alten Spitalgebäudes stand der alte Rabenstein (heute am Strausberger Platz), jener Ort, an dem die Hinrichtungen vorgenommen wurden. Die Entstehung der Stralauer Vorstadt außerhalb des alten Stralauer Tores geht auf die Zeit um 1690 zurück. In der Folgezeit wurde sie mehrfach nach Osten erweitert und wuchs über die Akzisemauer bis zur Oberbaumbrücke (Oberbaum) hinaus. Durch die Vorverlegung der Mauer im Jahre 1802 erweiterte sich auch die Stralauer Vorstadt bis zur heutigen Friedensstraße. Verbunden mit der Industrialisierung Berlins und dem Bau von Eisenbahnen setzte um die Mitte des 19. Jh. die dichte Bebauung auch dieser V. ein, die sich zunehmend zu einem Arbeiterwohnbezirk mit dichter Hinterhofbebauung entwickelte. Entsprechend dem Hobrecht-Plan (1862) erweiterte sich die Stralauer Vorstadt nach dem Abriß der Akzisemauer (1866) weiter nach Osten, und um 1900 war die 1871 erbaute Ringbahn erreicht. Nach schweren Zerstörungen im II. Weltkrieg entstand in diesem Bereich Anfang der 50er Jahre der 1,7 km lange Straßenzug der Stalinallee. Auch die Cöllner Vorstadtsiedlung nahm vor dem Gertraudentor bei der Gertraudenkapelle, einer einschiffigen, zwischen 1405 und 1411 entstandenen gotischen Kapelle, ihren Ausgang. Die Kapelle gehörte zu einem Hospital, das für adlige Frauen bestimmt war und das der Kapelle die Bezeichnung "Spittelkirche" und dem sie umgebenden Platz "Spittelmarkt " gab. Die Kapelle wurde zwar 1739 noch umgebaut, mußte jedoch im 19. Jh. wegen Verfalls abgerissen werden. Von der Vorstadtsiedlung vor dem Gertraudentor und der vor dem Köpenicker Tor nahm die Entwicklung der Köpenicker Vorstadt 1695 ihren Ausgang, die später (1802) in Luisenstadt umbenannt, zu einem der bedeutendsten Stadtteile Berlins werden sollte. Quellen
und weiterführende Literatur: (c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004 |