EISENBAHNEN Zwischen der Industrialisierung Berlins, der Entwicklung des Eisenbahnwesens in Preußen und der Berliner Stadtentwicklung im 19. Jh. besteht ein enger Zusammnhang. 1804 war die erste dampfkraftbewegte Eisenbahn der Welt auf einer Hüttenwerkbahn in Südwales gefahren; 1814 hatte der englische Ingenieur George Stephenson (1781-1848) die erste betriebsfähige Eisenbahn gebaut; 1835 fuhr der erste Dampfzug auf der 6 km langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth und 1839 die erste Eisenbahn auf der 116 km langen Strecke zwischen Leipzig und Dresden. Damit war deutlich geworden, daß die eisenverarbeitende Industrie die technischen Voraussetzungen für die neue Ära des Transportwesens geschaffen hatte und umgekehrt das Verkehrsmittel Eisenbahn auch den Massentransport von Gütern und Arbeitskräften als Grundlage zunehmender Industrialisierung Berlins beförderte. Beides gewann erheblichen Einfluß auf die Stadtentwicklung Berlins. Schon 1816 war in Berlin eine "Lokomotive" (ein Dampfwagen mit seitlichem Zahnradantrieb nach dem Muster eines englischen Dampfwagens, der 50 Zentner zog und 50 Schritte in der Minute schaffte) gebaut und in der Königshütte in Oberschlesien eingesetzt, aber fortwährend boykottiert worden; ähnlich erging es 1818 einem für die saarländische Steinkohlenförderung gebauten Dampfwagen. Erst im Juni 1835 wandte sich die Korporation der Kaufmannschaft Berlins mit der Forderung an die preußische Regierung, den Gedanken des Eisenbahnbaus zu unterstützen. 1836 folgten weitere Denkschriften, die sich stimulierend auf das Tempo der Industrialisierung auswirkten. So entstanden an der Chausseestraße die Egells’sche Maschinenbau-Anstalt und Eisengießerei (1826) sowie die Maschinenfabrik Borsig (1837), 1852 kam die Firma Schwartzkopff hinzu. Es begann im Jahrzehnt 1838-1848 eine erste Etappe der Eisenbahnentwicklung Berlins, von der beträchtlicher Einfluß auf die weitere Stadtentwicklung ausging. Das Eisenbahnzeitalter begann in Berlin und zugleich in Preußen im Herbst 1838 mit der Eröffnung der Bahnverbindung zwischen den Residenzstädten Berlin und Potsdam ("Hofbahn"). Die Planung stammt von dem Mathematiker, Ingenieur und technischen Direktor der Berlin-Potsdamer Eisenbahngesellschaft August Leopold Crelle (1780-1855). Nachdem bereits am 22.9.1838 der Abschnitt vom Potsdamer Platz bis Zehlendorf in Betrieb genommen worden war, folgte am 29.10.1838 das Teilstück bis Potsdam. Die 26 360 m lange Strecke von Berlin nach Potsdam war eingleisig gebaut, mit Ausweichen in Steglitz und Zehlendorf. Der Zug benötigte 60-80 Minuten, eine Postkutsche immerhin noch mehr als drei Stunden. Das gesamte Material zum Bau dieser Bahn wurde noch aus dem Ausland bezogen; die Lokomotiven stammten von Norris aus Philadelphia. Die sog. Stammbahn nahm am damals noch außerhalb der Stadtmauer liegenden Potsdamer Bahnhof ihren Ausgang, der südlich des heutigen Potsdamer Platzes errichtet worden war. Die "Stammbahn" wurde 1846 über Brandenburg bis Friedrichstadt, einem östlich der Elbe gelegenen Vorort Magdeburgs, verlängert. Mit der Elbüberquerung wurde 1848 der durchgehende Betrieb von Berlin nach Magdeburg aufgenommen und eine durchgehende Schienenverbindung zwischen Berlin und Paris geschaffen. Es folgte am 1.7.1841 die Betriebsaufnahme der Anhaltinischen (Anhalter, Anhaltischen) Bahn in Richtung Jüterbog, die ab 10.9.1841 über Dessau nach Köthen befahrbar war und die 1846 von Dessau nach Bitterfeld und Halle verlängert wurde. Der Berliner Endbahnhof dieser Bahn, der Anhalter Bahnhof, lag ebenfalls außerhalb der Stadtmauer zwischen Potsdamer und Halleschem Tor. Vom Anhalter Bahnhof fuhr 1841 die erste von der Firma Borsig ( Industrialisierung Berlins) gebaute Lokomotive los. Am 30.7.1842 war die Stettiner Bahn (Ausgangspunkt Stettiner Bahnhof, seit 1950 Nordbahnhof und 1952 abgetragen) mit einem ersten Teilstück bis Neustadt-Eberswalde fertig; ein Jahr später wurde der durchgehende Betrieb nach Stettin aufgenommen. Seit dem 23.10.1842 wurde die Berlin-Frankfurter Eisenbahn befahren, die bis 1846 nach Breslau verlängert wurde. Ihr Ausgangspunkt war der Frankfurter Bahnhof (seit 1846 allgemein Niederschlesischer Bahnhof genannt, seit 1882 Schlesischer, seit 1950 Ost-, seit 1987 Haupt- und seit 1998 wieder Ostbahnhof), vierter Berliner Bahnhof und erster, mehrfach umgebauter, innerhalb der Akzisemauer. Die Berlin-Hamburger Eisenbahn wurde 1846 eröffnet (Ausgangspunkt Hamburger Bahnhof). 1850 betrug das preußische Eisenbahnnetz 5 473 km, in dem die Hauptstadt eine zentrale Stellung einnahm. Berlin besaß 1846 fünf Kopfbahnhöfe. Der Hauptmangel bestand jedoch darin, daß diese ältesten Bahnhöfe nicht miteinander verbunden waren. Ein erster wichtiger Schritt zu ihrer Verbindung wurde 1851 mit der sog. Alten Verbindungsbahn getan, einer vom preußischen Staat gebauten Pferdeeisenbahn, die nur dem Güter- und Militärverkehr diente und deren Streckenführung weitgehend parallel zur Akzisemauer verlief. Ende der 40er Jahre hatte eine zweite Etappe des preußischen und Berliner Eisenbahnbaus begonnen, für die bis zum Ende der 70er Jahre "die Verdichtung des Fernverkehrs und die Herausbildung eines regelmäßigen Lokalverkehrs charakteristisch" waren. (KIELING, U. 1988/4) 1867 waren die Ostbahn über Küstrin nach Königsberg/Pr. und die vom Görlitzer Bahnhof (1976 endgültig abgebrochen) ausgehende Görlitzer Bahn hinzu gekommen. Auf der Strecke Berlin-Lehrte verkehrten ab 1871 die Züge in die westlichen Provinzen Preußens (Ausgangspunkt Lehrter Bahnhof). 1875 ging die direkte Eisenbahnverbindung Berlin-Dresden in Betrieb, wobei der Dresdener Bahnhof nach einem siebenjährigen Provisorium aufgegeben wurde und die Züge zum Anhalter Bahnhof geführt wurden. 1877 wurde auch die Nordbahn bis Neubrandenburg, ab 1879 bis Stralsund fertiggestellt. Die Personenzüge endeten zunächst am Ringbahnhof Gesundbrunnen, ab November 1877 am Stettiner Bahnhof. Der Nordbahnhof als Kopfbahnhof nördlich der Bernauer Straße hatte lediglich Bedeutung als Güterbahnhof. Schließlich wurde als letzte die Wetzlarer Bahn 1879 gebaut, die Berlin mit Frankfurt/M. verband. Sie erhielt keinen eigenen Fernbahnhof, da sie an die Stadtbahn angebunden werden sollte. Damit endeten - bis auf die Dresdener Bahn, die Nordbahn und die Wetzlarer Bahn - alle Fernbahnen ursprünglich an acht eigenen, als Kopfbahnhöfe ausgebildeten Fernbahnhöfen. Nun folgte die Verbindung sämtlicher Berliner Kopfbahnhöfe durch die Ringbahn. Nachdem von 1867-1871 der erste Abschnitt (Eröffnung des östlichen Teils der Ringbahn von Moabit über Stralau nach Schöneberg mit einer Länge von 25 km am 17.7.1871) erbaut war, wurde 1877 der Ring mit seiner Gesamtstrecke von 37 km fertiggestellt. Erst 1872 war entschieden worden, die Ringbahn auch für den Personenverkehr zu nutzen. 1874 folgte die Wannseebahn von Zehlendorf nach Neubabelsberg. Die Eröffnung der Berliner Stadtbahn als eine Berlin zwischen Stralau und dem Bahnhof Charlottenburg-Westend durchquerende Ost-West-Verbindung erfolgte am 7.2.1882. "Die Stadtbahn, 1874-1882 erbaut, war damals eine der teuersten, aber auch großartigsten Anlagen Europas." (GOTTWALD, F. 1926/155). Auf einer Länge von 12,15 km fuhren die Züge viergleisig auf über 731 gemauerte Wölbbögen, die zum Teil dem Lauf des inzwischen zugeschütteten Königsgrabens der alten Festungsanlage (Fortifikation) folgten. "Mit der Zuschüttung des Königsgrabens ging nicht nur ein Stück altes Berlin verloren, sondern auch die einzigartige Gelegenheit eines 'grünen Rings' um den Stadtkern, wie ihn sich das viel ärmere Wien oder Paris so großzügig geschaffen hatten." (LANGE, A. 1984-I/519) Die Stadtbahn hatte von Anbeginn getrennte Gleise für den Stadtverkehr und für den Fernverkehr. Schon im ersten Jahr (1882) beförderten 450 Dampfzüge im Stadt-, Ring- und Vorortverkehr 3,5 Mill. Menschen, im dritten Jahr (1885) 12 Mill. Zwischen 1928 und 1933 wurde der Großteil der besonderen Nahverkehrsgleise mit elektrifiziert. Das so entstandene Stadtschnellbahn-System auf Eisenbahn-Trassen erhielt im Dezember 1930 den Namen S-Bahn. Nach
dem Bau der Stadtbahn wurden die Kopfbahnhöfe der Ostbahn und der
Hamburger Bahn stillgelegt und der Schlesische Bahnhof, vormals Frankfurter
Bahnhof, im Zuge des Stadtbahnbaus 1878-1882 zum Durchgangsbahnhof umgebaut.
Schließlich folgte 1898 (1899) mit der Strecke Wriezener Bahnhof
- Königsberg/Neumark die letzte Fernbahn. Mit
der Erweiterung der Stadtgebietsfläche ins Umland nahm der Vorortverkehr
auf diesen Strecken stark zu. Zwischen 1874 (Eröffnung von separaten
Gleisen für Vorortverkehr zwischen Zehlendorf über Wannsee nach
Griebnitzsee nördlich der "Stammbahn") und dem I. Weltkrieg entstanden
parallel zu den Fernbahn- und Gütergleisen besondere Nahverkehrs-
und Vorortgleise mit eigenen Bahnhöfen, wodurch weitere Stadtteile
an das Netz der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen angebunden wurden.
Das Berliner Eisenbahnnetz galt "als in seiner Entwicklung weit fortgeschritten
und bot beste Bedingungen sowohl für den Fern- als auch für
den Nahverkehr. Vor allem der Nahverkehr, durchweg mit Dampfzügen
ausgerüstet, bestimmte das Tempo der Entwicklung". (S-BAHN 1994) Mit der Inbetriebnahme der ersten U-Bahn-Strecke 1902 (U-Bahn [Hoch- und Untergrundbahn]) sowie der ersten S-Bahn-Strecke nach Bernau 1924 (S-Bahn [Stadtschnellbahn]) veränderten sich die Bedingungen für das Berliner Eisenbahnwesen gravierend. Dennoch hat die "alte Bahnstadt Berlin" (SCHWEITZER, E. 1997/137) bis heute ihre Bedeutung nicht verloren. Im Gegenteil (Hauptstadtprojekte). An Berliner Fernbahnhöfen verkaufte Fahrkarten (1927)
Quelle: Adler 1928/35
Quellen und weiterführende Literatur: (c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004 |