HAUPTSTADTPROJEKTE

Nach der Vereinigung Berlins am 3.10.1990 sowie der Hauptstadtentscheidung
        des Deutschen Bundestages (1991)Hauptstadtentscheidung des Deutschen Bundestages (1991), dem Hauptstadtvertrag
        (1992)Hauptstadtvertrag (1992) und dem Berlin-Bonn-Gesetz (1994)Berlin-Bonn-Gesetz (1994) rückte die Bewältigung konkreter H. auf die Tagesordnung der Politik. Unter H. werden Projekte verstanden, die sich zum einen aus dem Umzug von Parlaments- und Regierungssitz nach Berlin und zum anderen aus der Wahrnehmung der Hauptstadtfunktion Berlins ergeben. Es zeigte sich jedoch, daß die im Beschluß des Bundestages vom 20.6.1991 getroffene Zeitvorgabe von vier Jahren für die Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Bundestages in Berlin bei Einhaltung der ursprünglich von Bundestag und Bundesregierung gesetzten Prämisse, "kein Umzug in Provisorien", nicht realisierbar war. Am 12.10.1993 beschloß die Bundesregierung, "bis zum Jahre 2000 nach Berlin umzuziehen". Der Bundestag stimmte dem am 10.3.1994 zu. Damit waren neue verbindliche Zeitrahmen für die Realisierung der H. gesetzt. Auf der Grundlage des Hauptstadtvertrages
        vom 25.8.1992Hauptstadtvertrages vom 25.8.1992 war ein Gemeinsamer Ausschuß unter Vorsitz des damaligen Bundesbauministers Klaus Töpfer und dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen gebildet worden, der die Standortfragen der H. maßgeblich vorbereitete, über die das Bundeskabinett am 14.3.1995, 24.1. und 17.4.1996 Beschlüsse faßte.

Zugleich schuf das Abgeordnetenhaus am 23.6.1994 mit seiner Zustimmung zum Flächennutzungsplan (FNP) 94 eine verbindliche Grundlage für die Nutzung von Grund und Boden bei der Umsetzung der geplanten H. Es ist dies der erste, für ganz Berlin bestimmte FNP, in dem die Perspektiven der Stadtentwicklung bis zum Jahre 2010 vorgezeichnet werden. Gemäß dem Leitbild einer intensiven Entwicklung und Nutzung der Innenräume der Stadt und eines schonenden Umgangs mit dem Berliner Landschaftsraum sieht der FNP 94 (bei Annahme eines Bevölkerungswachstums von 300 000 Personen bis zum Jahre 2010 und 1,8 Mill. bis dahin verfügbarer Arbeitsplätze) vor:

Parlaments- und Regierungsbauten mit 0,5 Mill. m² Baufläche zu errichten;
400 000 Wohnungen neu zu bauen, davon 40 000 durch Stadterweiterungen;
die Gewerbeflächen um 1 000 ha zu erweitern;
11 Mill. m² neuer Büroflächen bereitzustellen;
die Einzelhandelsflächen um 1,4 Mill. m² zu vergrößern;
den öffentlichen Nahverkehr zu fördern - vor Ausbau des Straßennetzes und
den inneren und äußeren Parkring auszubauen.

Zur Realisierung des Hauptstadtausbaus und der im FNP 94 vorgezeichneten Stadtentwicklung mußten neue Konzepte zur städtebaulichen Gestaltung der InnenstadtInnenstadt entwickelt werden. Dabei war ebenso an das historische Erbe des Werdens und Wachsens der Stadt anzuknüpfen wie den infolge der KriegszerstörungenKriegszerstörungen und der Teilung der Stadt geschaffenen Realitäten Rechnung zu tragen. Wichtigste Bereiche der Um- und Neugestaltung der Innenstadt sind die Gebiete des Großen Spreebogens am ReichstagsgebäudeReichstagsgebäude als Kern des künftigen Parlaments- und Regierungsviertels, der Spreeinsel mit dem ehemaligen Schloßbereich, den ehemaligen DDR-Regierungsbauten (Staatsratsgebäude, Palast der Republik, Außenministerium, ZK-Gebäude), dem Potsdamer/Leipziger PlatzPotsdamer/Leipziger Platz sowie dem Bereich Brandenburger Tor/Pariser PlatzBrandenburger Tor/Pariser Platz. Für alle diese Stadtquartiere wurden in der ersten Hälfte der 90er Jahre im Ergebnis städtebaulicher Wettbewerbe neue Konzepte entwickelt und deren Realisierung in Angriff genommen.

An der Spitze aller H. stand die Unterbringung von Parlament und Regierung. Ursprüngliche Pläne für zahlreiche Neubauten mußten beizeiten Sparzwängen geopfert werden. Nunmehr waren die Regierungsinstitutionen in zum Teil renommierten Altbauten aus der Vorkriegszeit bzw. Gebäuden des ehemaligen Partei- und Regierungsapparates der DDR unterzubringen. Im wesentlichen wurden dafür drei Stadtgebiete vorgesehen: der Spreebogen am nördlichen Rand des _ Großen Tiergartens, der Bereich der Spreeinsel und das Umfeld des ehemaligen RegierungsviertelsRegierungsviertels an der Wilhelmstraße und Leipziger Straße. Hinzu kommen einzelne Standorte am südlichen Rand des ehemaligen DiplomatenviertelsDiplomatenviertels an der Stauffenbergstraße und nördlich des Spreebogens an der Invalidenstraße.
Der Große Spreebogen am ReichstagsgebäudeReichstagsgebäude als Kern des künftigen Parlaments- und Regierungsviertels wurde im Februar 1993 durch einen städtebaulichen Wettbewerb bestimmt, an dem sich 835 Architekten/Architektenbüros aus 54 Ländern beteiligten. Es handelt sich um ein zu bebauendes und zu gestaltendes Gebiet beiderseits der Spree, vom Haus der Kulturen Haus der Kulturen der Welt (Kongreßhalle) bis etwa zum Bahnhof FriedrichstraßeFriedrichstraße, in dem Bürogebäude für den Deutschen Bundestag, das Bundeskanzleramt mit Kanzlerwohnung und -garten und weitere Dienstgebäude für Bundesbehörden sowie Einrichtungen der Gastronomie usw. ihren Standort haben werden. Der erste Preis im Gestaltungswettbewerb ging nach längerer Diskussion an die Berliner Architekten Axel Schultes (* 1943) und Charlotte Frank (*1959). Ihre Grundidee ist ein West und Ost symbolisch und städtebaulich verknüpfender Gebäudezug, der als 102 m breites "Band des Bundes" die Spree sowohl östlich als auch westlich des Großen Spreebogens vom Bahnhof FriedrichstraßeFriedrichstraße westwärts durchquert und den die Neubauten des Deutschen Bundestages im Alsen- und Luisenblock im Osten und das Bundeskanzleramt mit dem Kanzlerpark jenseits der Spree auf dem sogenannten Moabiter Werder im Westen begrenzen. Am Westende des Bandes, zwischen S-BahnS-Bahn und Spree, entstand auf dem ehemaligen Gelände des Hamburger-Lehrter-Güterbahnhofs ein markanter neuer Wohnkomplex mit der 500 m langen, gewundenen "Bonner Schlange" (Architekt: Georg Bumiller [* 1957]; 280 Mill. DM) mit 718 Wohnungen für Bundesbedienstete und Abgeordnete; gegenüber befinden sich vier Atriumhäuser für ähnliche Wohnzwecke, deren Lichthöfe mit Skulpturen von Berliner Künstlern geschmückt wurden. Weitere ergänzende Parlamentsbauten wurden hinter dem ReichstagsgebäudeReichstagsgebäude errichtet. Besonders bemerkenswert ist an dem preisgekrönten Entwurf der Verzicht (mit zwei Ausnahmen) auf Hochhäuser und die Einhaltung der klassischen "Berliner Traufhöhe" (das historische "Lindenstatut" legte eine Traufhöhe von 22 m fest). Das Bundeskanzleramt steht auf einer 7,3 ha großen Fläche - das ist ein Zehntel der gesamten StadtgebietsflächeStadtgebietsfläche, die die Doppelstadt Berlin/Cölln einst einnahm. Zentrum ist ein 36 m hoher 8stöckiger Quader mit Kabinetts-, Konferenz- und Empfangssälen sowie Büros des Bundeskanzlers, des Kanzleramtschefs und der Staatsminister. Hinzu kommen zwei 18 m hohe Gebäudezeilen mit transparenten Wintergärten (mit Bäumen als Klimapuffer zwischen Außenwelt und Büros) für die Verwaltung des Kanzleramtes. Alle Büroflächen zusammen umfassen 1,9 ha, davon 0,6 ha für den Kanzlerbereich. Der dazugehörige Park dehnt sich auf rund 3 ha, der Kanzler-Garten auf 0,7 ha. Die gesamte Anlage ist mit hochmoderner Technik ausgestattet, darunter Blockheizkraftwerk, das mit Biodiesel betrieben wird sowie Stromversorgung aus Solartechnik. Die ursprünglich geplanten Kosten für den Neubau des Bundeskanzleramts in Höhe von bis zu 400 Mill. DM wurden später auf 465 Mill. DM heraufgesetzt. Es wird bezweifelt, daß dies - bis zum Bezug im Frühjahr 2001 - bereits die Endsumme ist.

Als erstes Verfassungsorgan hatte der Bundespräsident Anfang Februar 1994 seinen Hauptsitz in das 1785 erbaute Schloß Bellevue Schloß Bellevue nach Berlin verlegt. Im Schloßpark entsteht nach Entwurf der Frankfurter Architekten Martin Gruber (* 1963) und Helmut Kleine-Kraneburg (* 1961) ein Neubau für das Bundespräsidialamt, der ursprünglich 1998 und nun im Sommer 2000 fertiggestellt sein soll (Projektkosten: 94 Mill. DM). Am 19.4.1999 fand die erste feierliche Bundestagssitzung im ReichstagsgebäudeReichstagsgebäude statt, das nach einem Entwurf von Sir Norman Foster (* 1935) mit Kosten in Höhe von 600 Mill. DM umgebaut worden ist. Es folge am 23.5.1999 die Neuwahl des Bundespräsidenten, bevor Anfang September 1999 der Deutsche Bundestag seine volle parlamentarische Arbeit in Berlin aufnahm. In unmittelbarer Umgebung - im 200 m langen "Alsenblock" nördlich des Reichstages, im "Luisenblock" östlich der Spree, in den "Dorotheenblöcken" nördlich und südlich der Dorotheenstraße sowie einigen Altbauten - entstanden bzw. entstehen Büros für Fraktionen, Ausschüsse und die Abgeordneten des Bundestages. Allein die 6- bis 7geschossigen Gebäude von Alsen-und Luisenblock bieten auf rund 50 000 m² Hauptnutzfläche etwa 1 700 Räume, die Dorotheenblöcke rund 2 000 Räume auf ca. 45 000 m². Die Baukosten für die drei Parlamentsblöcke wurden mit 1,7 Mrd. DM veranschlagt.
Am 1.7.1999 begann offiziell der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin - das größte Umzugsunternehmen in der deutschen Geschichte. Am 6.9. konnte die erste Sitzungswoche des Bundestages in Berlin beginnen. Allein für den Umzug des Bundestages waren 50 000 m³ Umzugsgut (darunter 120 000 Möbelstücke, 36 000 laufende Meter Bücher und 11 000 laufende Meter Akten des Archivs) auf etwa 1 500 Lkw zu bewältigen. Am Nachmittag des 23. August 1999 nahm Bundeskanzler Gerhard Schröder im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude am Schloßplatz 1, dem provisorischen Sitz des Kanzleramtes, die Amtsgeschäfte auf, so daß seitdem Deutschland offiziell wieder von Berlin regiert wird.
Parallel dazu vollzog sich der Umzug von Bundesministerien. Von den acht Ministerien, die mit ihrem ersten Dienstsitz nach Berlin zogen, waren vier bereits im September komplett umgezogen. Am 1.9.1999 nahmen 5 500 Regierungsmitarbeiter ihre Arbeit auf, bis Ende 1999 kamen weitere 2 800 hinzu. Folgende Ministerien bezogen unter der Devise "Den Geist eines Gebäudes bestimmen seine Nutzer" vorwiegend sanierte und teilweise erweiterte Altbauten in Berlin:

Das Auswärtige Amt bezog einen Gebäudekomplex am Werderschen Markt, der den 1934-1938 errichteten Bau der ehemaligen NS-Reichsbank einbezieht. In der DDR beherbergte das Gebäude zunächst das Finanzministerium, seit 1959 das ZK der SED und nach 1990 war es zeitweilig Haus der Parlamentarier. Auf dem Vorplatz entstand ein moderner Ergänzungsbau (Architektenbüro: Müller/Reimann). Kosten: 545 Mill. DM.
Das Bundesministerium des Inneren bezog Räumlichkeiten im neuen 13geschossigen Moabiter Büro- und Dienstleistungszentrum "Spree-Bogen" (Alt-Moabit 101), das seit 1992 auf dem Gelände des ehemaligen Meiereibetriebes von Carl Bolle (1832-1910) in einer Entfernung von 2 km vom Deutschen Bundestag und Bundeskanzleramt in spe erbaut wurde. Der ursprünglich geplante Standort in der Mauerstraße wurde wegen zu hoher Kosten für die Herrichtung aufgegeben. Monatliche Mietkosten (Laufzeit 30 Jahre): 1,1 Mill. DM.
Das Bundesministerium der Justiz bezog mehrere Altbauten am Hausvogteiplatz im Komplex an der Jerusalemer Straße 24-28/Mohrenstraße 36-37/Kronenstraße 38-41, darunter das 1897 errichtete ehemalige Geschäftshaus Nagel, das in der DDR vom Amt für Erfindungs- und Patentwesen genutzt worden war. Kosten: 230 Mill. DM.
Das Bundesministerium der Finanzen bezog das 1935/36 nach Plänen von Ernst Sagebiel (1892-1970) errichtete Gebäude des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums (Wilhelmstraße 97/ Leipziger Straße 5-7). Der im II. Weltkrieg kaum zerstörte wuchtige Bau diente nach 1945 zunächst der sowjetischen Militäradministration, der Deutschen Wirtschaftskommission der SBZ, dem Deutschen Volksrat und von 1949 bis 1989 als "Haus der Ministerien". Nach der Vereinigung beherbergte das in "Detlev-Rohwedder-Haus" umbenannte Gebäude 1991-1995 die Treuhandanstalt bzw. ihre Nachfolgerin. Kosten: 330 Mill. DM.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bezog als Zwischenquartiere die Gebäude an der Glinkastraße 18-24 (DDR-Plattenbau) sowie Jägerstraße 8/9 (1895/96 für den Bankier C.H. Kretzschmar errichtet). Bis Sommer 2000 soll der Umzug in die Taubenstraße 42/43 vollzogen sein. Umbaukosten: 115 Mill. DM.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bezog die Gebäude an der Wilhelmstraße 49/Mauerstraße 45-52 sowie das benachbarte sog. Kleisthaus Mauerstraße 53. Ersteres wurde 1936-1940 von Karl Reichle für das NS-Reichsministerium für "Volksaufklärung und Propaganda" errichtet, in der DDR vom Nationalrat der Nationalen Front und zuletzt (bis 1996) vom Bundesumweltamt genutzt. Das "Kleisthaus" entstand 1912/13 von Bodo Ebhardt (1865-1945) als Bankhaus von der Heydt & Co.; im Vorgängerbau hatte Heinrich v. Kleist 1809-1811 gewohnt. Die Kosten wurden von 115,2 Mill. DM auf 85 Mill. DM reduziert.
Das Bundesministerium für Wirtschaft bezog für 1 466 Mitarbeiter einen in drei Jahrhunderten entstandenen Gebäudekomplex an der Scharnhorststraße 34-37/ Invalidenstraße 48/49. Historischer Kern des Komplexes war das 1747/48 errichtete Invalidenhaus, von dem zwei Seitenflügel erhalten sind. Auf dem Gelände der Gärten des ehemaligen Invalidenhauses entstand 1905-1910 an der Invalidenstraße die "Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen". In der DDR wurde der Komplex 1973-1990 als Regierungs- und Diplomatenkrankenhaus genutzt. Hinzu kommt ein ergänzender Neubau. Die Kosten wurden von 537 Mill. DM auf 506 Mill. DM reduziert.
Das Bundesministerium für Bauwesen und Verkehr bezog das Zwischenquartier Krausenstraße 17-20, danach das 1875-1878 nach Plänen von August Tiede (1834-1911) errichtete Gebäude der ehemaligen Geologischen Landesanstalt und Bergakademie in der Invalidenstraße 44, das in der DDR Sitz des Ministeriums für Geologie war. Hinzu kommt ein ergänzender Neubau. Kosten: 220 Mill. DM.

Hinzu kommen die Gebäude für jene sechs Ministerien, die in Bonn verblieben sind und in Berlin "zweite Dienstsitze" nahmen. Für das Bundesministerium der Verteidigung wurden Bauteile des sog. Bendlerblocks am Reichpietschufer 74-76 (Projektkosten: mindestens 120 Mill. DM) hergerichtet. Das Gebäude entstand bis 1938 durch Neu- und Erweiterungsbauten an der heutigen Stauffenbergstraße (ehemalige Bendlerstraße, benannt nach dem Ratsmaurermeister Johann Christoph Bendler [1789-1873]). Im Gebäude des ehemaligen Oberkommandos des Heeres befand sich das Zentrum des militärischen Widerstandes gegen die NS-Diktatur. Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg (1907-1944) und seine Mitverschworenen planten von hier aus ein Bombenattentat auf Hitler im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen. Nach dem Scheitern des Staatsstreichs wurden Stauffenberg und mehrere Offiziere noch am Abend des 20.7.1944 im Bendlerblock verhaftet und auf dem Hof des Gebäudes erschossen. Zur Mahnung und Erinnerung an die NS-Gewaltherrschaft wurde an diesem Ort am 20.7.1952 der Grundstein für die Gedenkstätte des Deutschen Widerstands gelegt; drei Jahre später erhielt die Bendlerstraße den Namen Stauffenbergstraße. Weitere Ministerien, die ihren "zweiten Dienstsitz" in Berlin nehmen, sind: das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technik in der ehemaligen Ständigen Vertretung der Bundesrepublik mit Anbau in der Hannoverschen Straße 30 (Kosten: 18,6 Mill. DM); das Bundesumweltministerium zunächst in gemieteten Büros am AlexanderplatzAlexanderplatz 6 und später Umzug nach Schiffbauerdamm 15 (Kosten: noch nicht bekannt); das Bundesernährungsministerium zunächst in der Scharrenstraße 2-3 und später Wilhelmstraße 54 (ehemaliger Sitz des preußischen Ministerpräsidenten - Projektkosten: 20 Mill. DM); das Bundesgesundheitsministerium Büros in der Mohrenstraße 62 (Kosten: 10 Mill. DM) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Stresemannstraße 92 (Kosten: 21 Mill. DM).

Auch der Bundesrat beschloß am 27.9.1996, nach Berlin umzuziehen. Sein neuer Standort ist das Gebäude des ehemaligen Preußischen Herrenhauses, der ersten Kammer des Preußischen Landtages, in der Leipziger Straße 3-4 (Preußisches
      Abgeordnetenhaus/Berliner AbgeordnetenhausPreußisches Abgeordnetenhaus/Berliner Abgeordnetenhaus). Es wurde 1899-1904 nach Plänen von Friedrich Schulze-Kolbitz (1843-1912) errichtet, 1934 als "Preußenhaus" dem Reichsluftfahrtministerium angegliedert, im II. Weltkrieg schwer beschädigt, 1947-1952 teilweise wieder aufgebaut und danach von der Akademie der Wissenschaften der DDR genutzt. Der Umbau nach Plänen des Architekten Peter P. Schweger (* 1935) kostete rd. 200 Mill. DM. Der Sitzungsbetrieb wurde Ende September 2000 aufgenommen. Mit 14 000  m² (davon 500 m² der Plenarsaal) steht der Länderkammer doppelt soviel Fläche zur Verfügung wie in Bonn.

Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bezog ein Gebäude-Ensemble zwischen der Dorotheenstraße und dem Reichstagsufer (Kosten: 218 Mill. DM). Markantester Bau ist das ehemalige Postscheckamt an der Dorotheenstraße 82-84. Er wurde 1913-1917 nach Plänen von Alfred Lempp errichtet und 1923-1925 in Richtung Reichstagsufer erweitert. Vorgängerbau auf dem benachbarten Grundstück Dorotheenstraße 74 war das 1712 von Andreas Schlüter (1659-1714) entworfene barocke "Landhaus Kameke", das seit 1779 als Haus der Loge Royal York genutzt wurde und 1943 Bomben zum Opfer fiel.

Der Ausbau Berlins als Bundeshauptstadt stellt auch erhebliche Anforderungen an alle Bereiche der städtischen Infrastruktur. Zu den wichtigsten H. dieser Kategorie zählen die Vorhaben zur Weiterentwicklung des Verkehrswesens sowie der Ver- und Entsorgungsnetze der Stadt. Beim Ausbau des Straßenverkehrs sind drei "Straßenringe" vorgesehen. Der Ausbau des traditionell leistungsfähigen Berliner Stadtverkehrs ist vor allem auf die bessere Verknüpfung des Verkehrs beider Stadthälften, auf die weitere Modernisierung und größere Umweltverträglichkeit gerichtet. Die Netze von S-S- und U-BahnU-Bahn werden erweitert, der Nord- und Südring geschlossen. Das S-Bahn-Streckennetz wird von 282 km (1993) auf ein "Zielnetz" von 327 km erweitert (S-BAHN 1994). Im März 1998 wurde der mit einem Kostenaufwand von 125 Mill. DM umgestaltete Bahnhof AlexanderplatzAlexanderplatz neueröffnet; im Mai 1998 der Regionalverkehr am Bahnhof Berlin-Alexanderplatz aufgenommen. Bedeutende Umgestaltungen werden auch an anderen Bahnhöfen vorgenommen, darunter die Bahnhöfe Friedrichstraße, Zoologischer Garten und Lichtenberg. Der Ausbau der alten Bahnmetropole Berlin (EisenbahnenEisenbahnen) sieht vor, bis zum Jahr 2002 20 Mrd. Mark in das Schienennetz der Hauptstadt zu investieren.

Wichtigstes Vorhaben im Bahnkonzept ist der Bau eines neuen Zentralbahnhofs inmitten eines neuen Stadtteils im Bereich des Lehrter Stadtbahnhofs an der Ost-West-Trasse der S-BahnS-Bahn, der über einen Nord-Süd-Tunnel mit einem zweiten ähnlich großen Bahnhof an der Papestraße im Süden verbunden wird. Der neue Zentralbahnhof mit seinen geplanten unterschiedlichen Ebenen für Fern-, Regional-, U- und S-Bahn wird mit 1,58 Mrd. DM eines der teuersten H. werden. Es wird damit gerechnet, daß diesen Bahnhof nach seiner Fertigstellung täglich 240 000 Fahrgäste benutzen werden - etwa 90 000 mehr als 1998 zum Beispiel den Bahnhof Zoologischer Garten benutzten. Dazu entstand eine Tunnelbaugrube von 45 m Tiefe, 160 m Breite und mehreren Kilometer Länge. Zwei Jahre lang wurde die Spree um 70 m nach Norden umgeleitet. Die Tunnelbauten werden mit 4,5 Mrd. DM veranschlagt. Eine gewaltige neue Stabbogenbrücke über den Humboldthafen wird die Bahnsteige für Fern- und Regionalzüge sowie für die S-Bahn aufnehmen und das gläserne Bahnhofsdach tragen. Am -Potsdamer
      PlatzPotsdamer Platz entsteht etwa 20 m unter Straßenniveau bis 2005 der neue Regionalbahnhof Potsdamer Platz, in Ergänzung zu den gleichnamigen S-und U-Bahnhöfen. Der neue Bahnhof (Ausmaß 260 mal 50 m, 2 Bahnsteige mit 4 Gleisen), der rund 260 Mill. DM kosten wird, soll die Expreß-Bahnverbindungen Dessau-Stralsund, Wittenberge-Jüterbog und Stralsund-Elsterwerda unter dem Tiergarten über den neuen Lehrter Bahnhof herstellen. Die U-Bahn-Linie 5 soll über den AlexanderplatzAlexanderplatz hinaus zum neuen Lehrter Bahnhof verlängert werden; die Eröffnung ist für Ende 2004 geplant; Kostenanschlag: 1,288 Mrd. DM bei 295 Mill. DM geplantem Bundesanteil. Beabsichtigt ist auch der Bau einer Linie S 21 als zweiter Nord-Süd-Bahn vom Nordring (Westhafen/ Wedding) über Lehrter Bahnhof, Potsdamer Platz und Gleisdreieck zur Yorckstraße/Kolonnenstraße. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf rund eine Milliarde DM. Mit dieser Bahn erhielten etwa 60 S-Bahnhöfe eine direkte Verbindung zum neuen Zentralbahnhof. Über dieses Konzept sowie andere Vorhaben der Verkehrsplanung (etwa den Bau eines Großflughafens) bestehen Kontroversen. Diese sowie Konkurse beteiligter Firmen und Baupannen (Wassereinbrüche in Baustellen, Geländeabsenkung im Baubereich des Lehrter Stadtbahnhofs) verzögern die Bauvorhaben. Nachdem ursprünglich der Tunnel "um das Jahr 2000" befahrbar sein sollte, wird nun das Jahr 2004 anvisiert, intern jedoch mit noch längeren Zeitspannen gerechnet.

Wiederholt wurde bekräftigt, daß der vorgegebene Kostenrahmen für den Berlinumzug von insgesamt 20 Mrd. DM nicht überschritten wird, obwohl mehrere H. teurer ausfallen als geplant. Vor allem der Baugrund im Bereich der Spree (instabiler Boden, hoher Grundwasserstand) war teilweise falsch eingeschätzt worden und erforderte höhere Aufwendungen. Hinzu kamen etliche Fälle von Verschwendung (u.a. luxuriöse Ausgaben für Provisorien der Bundesregierung beim Berlinumzug) sowie permanentes Tauziehen zwischen Berlin und dem Bund bei der Finanzierung von Projekten. So hatte eine Senats-Studie ergeben, daß bei Projekten im Wert von 2,5 Mrd. DM (darunter die Sanierung von S-Bahn und Olympiastadion und der Bau von Straßen und Grünanlagen) offen sei, ob und wie sich Bund und Berlin an der Finanzierung beteiligen. Allen Querelen zum Trotz: Planung und Vollzug des Bundestagsbeschlusses vom 20.6.1991 dürfte als eine bedeutende "Leistungsschau des bundesrepublikanischen politischen Systems" (WELCH GUERRA, M. 1999/161) in die Geschichte eingehen. "Die Hauptstadtplanung hat die Bundesrepublik über die erfolgten Maßnahmen in Raumordnung, Städtebau und Architektur hinaus verändert. Viel spricht dafür, daß auch nach dem Abklingen der Hauptstadtplanung die Erfahrungen weiterwirken werden, die verschiedene Institutionen und Gruppen gesammelt haben. So hat die lokale Politik in Bonn und in Berlin gelernt, eine differenzierte Öffentlichkeitsarbeit und auf bestimmte Zielgruppen gerichtete Techniken zur Ermittlung von Konsens besser einzusetzen. Dies dürfte bei den kommenden Verteilungskämpfen und Implementationsmühen in der Konkurrenz der Städte und bei der Durchsetzung von Großprojekten gegenüber der eigenen Bevölkerung auch in Zukunft von Bedeutung bleiben. Fraglich ist, ob die lokale Politik in den kleineren betroffenen Kommunen ... ihre unbefriedigenden Erfahrungen angemessen verarbeitet hat. Dabei spricht viel dafür, daß bei der weiteren Europäisierung nationaler und lokaler Politik ähnliche Verteilungsmechanismen für strukturpolitische Ressourcen auftreten werden. Hingegen ist bei vielen anderen Ergebnissen der Hauptstadtplanung offen, inwieweit sie Bestand haben werden", resümiert der Wissenschaftler Max Welch Guerra (geb. 1956). (WELCH GUERRA, M. 1999/169)

CHRISTIAN MORGENSTERN, 1905: EINE NEU HERANWACHSENDE STADT GESTALTEN

"Da ich nun einmal nach Berlin geraten bin und schließlich Berlin eine solche Fülle von Möglichkeiten in sich birgt wie heute keine andere deutsche Stadt, so ist es eben dies Berlin, worauf sich viel meiner Liebe und meines Hasses wirft. Auf diesem jungen Boden wäre noch etwas zu schaffen, und da der Kaiser dem Sinn seiner Zeit und damit dem Sinn seiner Stadt konstant fremd bleibt, so sollte ein junges Bürgertum noch weit mehr als bisher die Entwickelung seines Gemeinwesens selbst in die Hand nehmen... Man müßte die wilde und scheußliche Barbarei ausrotten können, die das Bild der Stadt von Tag zu Tag entstellt, man müßte im zwanzigsten Jahrhundert endlich so weit sein, eine neu heranwachsende Stadt, statt sie dem Zufall zu überlassen, zum Kunstwerk oder wenigstens zum Organismus gestalten können."


Quelle: Christian Morgenstern: Brief an Karl Scheffler. In: Berliner Leben 1900-1914, Bd. 1. Hrsg.: Dieter und Ruth Glatzer, Berlin 1986, S. 467

Quellen und weiterführende Literatur: Literaturquellen
Spiker 1833/75; Eickelpasch 1993/1421-1423; Gall 1993; Kühne 1993/232-235; Ribbe 1993; Stronk 1993; Werner 1993; Ribbe/Schmädeke 1994/270-285; Berlin kurzgefaßt 1995/56-63; Deutsche Bahn AG 1995/3-15; Diepgen 1995/47-53; Gerkan 1995/34-35; Hauptstadt 1995/22-39; König 1995/123-144; Peters 1995/284-288; Berlin-Visionen 1996; Planung für Berlin 1997; Neue alte City 1996/3-4; Der Spiegel (Hamburg), Nr. 49 v. 2.12.1996/22-34 u. Nr. 36 v. 6.9.1999/34-62; Informationen über Standort und Planung 1996/97; Bundeshauptstadt Berlin 1997/5-7, 25-39, 58-61; Schweitzer 1997/11ff.; Welch Guerra 1999/25ff.; Stadt der Architektur 2000/361-397

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Stadtentwicklung