REICHSTAGSGEBÄUDE

Dia-Serie Reichstag

Das monumentale, 137 lange und 97 m breite Parlamentsgebäude in den Formen der Neorenaissance-Architektur im Zentrum der Stadt vor dem Brandenburger
        TorBrandenburger Tor (Bezirk Tiergarten) gehört zu den Baudenkmälern Berlins von Weltruf. Die Hauptfront der wuchtigen Vierflügelanlage mit zwei Innenhöfen und vier kastellartigen quadratisch-flachen Ecktürmen ist zum Platz der Republik (1864-1926 und 1933-1947 Königsplatz) ausgerichtet. Den Haupteingang betont eine auf sechs Rundsäulen ruhende Attika mit einem Dreiecksgiebel. Der mächtige Baukörper, bei dem sich zwei Ober-(Haupt-)geschosse über einem Sockelgeschoß erheben und den eine ursprünglich barockisierende, 75 m hohe Zentralkuppel krönte, wurde einst nach seiner Fertigstellung Reichstag 1894 begeistert gefeiert von den einen und geschmäht von anderen. Das R. erlangte wie kaum ein anderes Gebäude in Berlin Bedeutung und erlebte eine wechselvolle Geschichte, die 1999 mit dem Einzug des Deutschen Bundestages Bundeshaus ihren vorläufigen Abschluß fand.

Das R. entstand im Ergebnis des durch die Kriege Preußens von 1864 bis 1871 gegründeten "zweiten deutschen Reiches". Das auf Reputation bedachte neue Kaiserreich und seine Reichshauptstadt Reichshauptstadtbedurften eines neuen repräsentativen Gebäudes für den Reichstag. Als Provisorien hatten zunächst zwei Tagungsstätten in der Leipziger Straße gedient. Zuerst das Gebäude Nr. 75 am ehemaligen Dönhoffplatz, in dem die ersten Reichstagstagungen vom 29.3. bis 19.4.1871 stattfanden. Aber noch im Jahre 1871 bezog der Reichstag ein eiligst umbautes Gebäude auf dem historischen Grundstück Leipziger Straße Nr. 4. Hier war 1735-1837 ebenfalls schon ein Adelspalais erbaut worden, und 1761 hatte Johann Ernst Gotzkowsky Gotzkowsky(1710-1775), das Grundstück für seine Porzellan-Manufaktur erworben, die mit der Übernahme durch den Staat zur Königlichen Porzellan-Manufaktur geworden war. Im Juni 1871 ordnete Otto von Bismarck Bismarck(1815-1898) die kurzfristige Räumung des Grundstücks an und ließ binnen weniger Tage von Architekt Friedrich Hitzig Hitzig(1811-1881) ein provisorisches Gebäude für den Deutschen Reichstag entwerfen, das von Martin Gropius Gropius(1824-1880) & Heino Schmieden Schmieden(1835-1913) innerhalb von 116 Tagen Bauzeit aufgeführt wurde und seit dem 16.10.1871 für 23 Jahre den Deutschen Reichstag beherbergte. 1896, nach Fertigstellung des neuen Reichstagsgebäudes am Königsplatz, wurden die Gebäude auf den Grundstücken Leipziger Straße 3 und 4 abgerissen, um Neubauten für das Preußische
        AbgeordnetenhausPreußische Abgeordnetenhaus und Herrenhaus Herrenhaus Platz zu machen.

Das mit erheblichen Konstruktionsfehlern behaftete provisorische Reichstagsgebäude in der Leipziger Straße 4 genügte in keiner Weise den Ansprüchen des Kaiserreichs. Die Standortfrage für ein neues R. wurde zwar noch 1871 zugunsten des östlich am Königsplatz gelegenen Grundstücks "Palais Raczynski" entschieden, nachdem zuletzt noch acht Standorte zur Auswahl gestanden hatten, aber die Standortentscheidung schleppte sich wegen der unsicheren Rechtslage noch längere Zeit hin. Denn Athanasius Graf Raczynski (1788-1874), der aus Polen stammte, seit 1830 im diplomatischen Dienst Preußens stand und als Günstling König Friedrich Wilhelms IV. (1795-1861, Kg. ab 1840) galt, hatte auf seinem 1844 erworbenen Grundstück bis 1846 ein dreigeschossiges Palais nach Entwurf von Hofbaurat Johann Heinrich Strack Strack(1805-1880) errichten lassen, das die Entschädigungsansprüche ins Zentrum der Bauplatzfrage rückte. Unbeschadet dessen wurde bereits Ende 1871/Anfang 1872 ein erster Wettbewerb zum Bau des neuen R. ausgeschrieben. In dem bis dahin größten Bauwettbewerb in der deutschen Geschichte wählte eine 17köpfige Jury, darunter nur 6 Architekten, aus 101 Entwürfen von 122 Autoren, darunter renommierte Architekten wie Ende (1829-1907) & Böckmann (1832-1902), Gropius & Schmieden, August Orth (1828-1901), Heinrich Schwechten (1841-1924), Heinrich Strack und August Tiede (1834-1911), den Beitrag des relativ unbekannten, in Rußland geboreren Ludwig Bohnstedt (1822-1885) aus Gotha als überlegenen Sieger aus. Obwohl sein Entwurf sehr populär war, stieß er beim Berliner Architektenverein und bei antidemokratisch-monarchistischen Kräften auf Widerstand. Bereits 1874 wurde der preisgekrönte Entwurf Bohnstedts aus fadenscheinigen Gründen bei Seite geschoben. Nach jahrelangem Hin und Her wurde 1882 ein zweiter Reichtagswettbewerb ausgeschrieben. Eine veränderte Jury wählte nunmehr aus einer noch größeren Zahl von Beiträgen (die Zahlen schwanken zwischen 186 und 194) Paul Wallot Wallot(1841-1912), der u.a. bei H. Strack, F. Hitzig und Gropius & Schmieden tätig gewesen war und 1868-1883 als Privatarchitekt in Frankfurt am Main lebte, als Sieger aus. Im Juni 1883 wurde Wallot als leitender Architekt des Reichstagsbaus bestätigt. Unter den insgesamt 26 Architekten, die Wallot beim Bau des Reichstages zur Seite standen, war Wilhelm Haeger (1834-1901) als Leiter des Technischen Büros der Wichtigste. Nach erneuten Querelen und Intrigen sowie Abriß des Palais' Radczynski (Herbst 1883) und Einrichtung der Baustelle (Frühjahr 1884) erfolgte am 9.6.1884 die Grundsteinlegung durch Kaiser Wilhelm I. (1797-1888, Kg. ab 1861, Ks. ab 1871).

Während der folgenden über 10jährigen Bauzeit des zum "Jahrhundertbauwerk" apostrophierten monumentalen Baus waren bis zur Schlußsteinlegung am 5.12.1894 durchschnittlich 250 bis 260 Arbeitskräfte auf der Baustelle beschäftigt. Während des Baugeschehens gab es ständige Änderungen nach dem Willen des Kaisers. So wurde die endgültige Entscheidung für die Fassadengestaltung erst 1886 getroffen und noch 1890 mußten die Kuppelkonstruktion sowie die Lage des Plenarsaales geändert werden. Mit seinen statischen Berechungen ging der Ingenieur Hermann Zimmermann (1845-1935) in die Technik-Geschichte ein ("Zimmermann-Kuppel"). Ständige Terminverzüge und Kostenprobleme waren beim Reichstagsbau an der Tagesordnung, und Wallot fiel zunehmend in kaiserliche Ungnade. Während er später für sein bedeutendes Bauwerk zahlreiche Ehrungen wie Ehrendoktorwürden, Ehrenbürgerschaften und Akademie-Mitgliedschaften erhielt, machte Kaiser Wilhelm II. (1859-1941, Kaiser seit 1888) aus seiner Ablehnung das R. als "Gipfel der Geschmacklosigkeit" (April 1892) und sogar als "Reichsaffenhaus" (1906) kein Hehl. Der bildkünstlerische Schmuck des Baus, auf den Wallot immer weniger Einfluß hatte, war später wegen seiner Überladenheit ("Zuvieldekoration") besonders umstritten. Namhafte Künstler wie Reinhold Begas Begas(1831-1911), Rudolf Maison (1854-1904), Friedrich (Fritz) Schaper (1841-1919), Otto Lessing Lessing(1846-1912) und viele andere zeichneten für den reichen Figurenschmuck am Bau und die prunkvolle Innenausstattung. Die ersten Entwürfe für die berühmte Inschrift am Giebelrelief von F. Schaper "DEM DEUTSCHEN VOLKE" wurden bereits 1893 veröffentlicht, aber erst 1916 wurde der 16 m lange und 60 cm hohe Schriftzug angebracht, der von dem Architekten und Designer Peter Behrens Behrens(1868-1940) gestaltet wurde. Zu den herausragenden Einrichtungen des R. gehörte eine 320 000 Bände umfassende Bibliothek, die durch Aufzüge und Rohrpost mit dem Magazin verbunden war.

Das R. hat bis zum Reichstagsbrand am 27.2.1933 dem deutschen Parlament - mit Ausnahme der Zeit vom 6.2. bis zum 30. 9.1919, als die Nationalversammlung in Weimar tagte - als Tagungsstätte gedient. Nachdem die Inneneinrichtung, insbesondere der Plenarsaal, im Ergebnis der Brandstiftung erheblich zerstört worden war, diente die Krolloper (ein 1898 entstandenes Opernhaus, das aus dem 1842-1844 an der Westseite des heutigen Platzes der Republik errichteten Kroll-Etablissiment hervorgegangen war) bis zur letzten Reichstagssitzung am 26.4.1942 als Ersatz, wobei ohnehin per Gesetz vom 14.7.1933 der Reichstag zum Ein-Parteien-Rumpfparlament degradiert worden war. Der Wallot-Bau wurde indes für Nazi-Zwecke mißbraucht. 1941 wurden Archiv und Bibliothek ausgelagert und gingen verloren. Die Rote Armee krönte ihren Sturm auf das schwer zerstörte R. am Abend des 30.4.1945 mit der berühmten Flaggenhissung. Vom einst weltbekannten Bauwerk hatten Krieg und Plünderung eine Ruine hinterlassen.

Pläne zum Wiederaufbau und zur Instandsetzung des R. bestanden schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit, ohne verwirklicht zu werden. Vor der Kulisse der Reichstagsruine richtete Ernst Reuter Reuter(1889-1953), ab Dezember 1948 Oberbürgermeister und erster Regierender Bürgermeister (Westberlin), am 9.9.1948 auf einer großen Kundgebung seine berühmten Worte an die Weltöffentlichkeit: "Ihr Völker der Welt! Schaut auf diese Stadt!" Erst 1957-1961 wurden umfangreiche "substanzerhaltende Maßnahmen" durchgeführt, wobei die Ecktürme reduziert und plastische Aufbauten beseitigt wurden. Schon 1954 war die stark zerstörte, etwa 300 t schwere Kuppelkonstruktion gesprengt worden. Nach Verhinderung eines Abrisses der Ruine und langwierigen Diskussionen über eine künftige Nutzung des R. erfolgte unter Leitung der Bundesbaudirektion 1961-1972 ein einschneidender Umbau des historischen Gebäudes zum "Berliner Sitz des Bundestages". Das Innere wurde mit einem Kostenaufwand von rund 120 Millionen DM nach Plänen von Paul G.R. Baumgarten (1900-1984) erheblich verändert. Für die parlamentarische Arbeit wurden ein provisorischer Plenarsaal mit 650 Plätzen, etliche Sitzungssäle, Konferenz- und Bürozimmer sowie Ausstellungsräume hergerichtet. "Weder im Äußeren und noch weniger im Inneren blieb viel vom historischen Bau übrig." (KIELING 1995/108) Das Berlin-Abkommen von 1971 erlaubte jedoch keine Plenartagungen des Bundestages. Es fanden lediglich Tagungen seiner Ausschüsse und Fraktionen statt.

Schließlich sicherte die Wiedervereinigung Deutschlands und Berlins dem R. endgültig seine Perspektive. Am 3.10.1990 fand auf dem Platz der Republik vor der Kulisse des historischen R. die Vereinigungsfeier statt. Nachdem das Gebäude bis Dezember 1990 als Tagungsstätte eines vorläufigen gesamtdeutschen Parlaments fungiert hatte, konstituierte sich hier am 20.12.1990 der erste gesamtdeutsche Bundestag nach der Wiedervereinigung. Mit der Hauptstadtentscheidung
        des Bundestages vom 20.6.1991Hauptstadtentscheidung des Bundestages vom 20.6.1991 und der Entscheidung des Ältestenrates des Bundestages vom 30. 10.1991, das Reichstagsgebäude auf Dauer für die Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages zu nutzen, begann die entscheidende Phase des Wiederaufbaus und Umbaus des Gebäudes. Aus einem internationalen Wettbewerb, bei dem eine "1. Preisgruppe mit drei gleichrangigen Arbeiten" als Sieger ermittelt wurde (Sir Norman Foster and Partners Ltd., London; Santiago Calatrava Valls SA, Zürich; Pi de Bruijn, Amsterdam). Nach einer Entscheidung des Ältestenrates des Bundestages gelangte schließlich von den überarbeiteten Entwürfen der Norman Fosters (* 1935) seit April 1996 zur Ausführung. Die Projektkosten waren auf 598,5 Millionen DM veranschlagt worden. Mit der Verhüllung Verhüllungdes Reichstages hatten 1995 Christo (Javacheff, * 1935) und Jeanne-Claude auf spektakuläre Weise die Weltöffentlichkeit auf die Bedeutung R. aufmerksam gemacht. Bei der Neugestaltung wurden die originalen äußeren Formen des Wallot-Baus erhalten und wieder hergestellt und die Innenausbauten der 60er Jahre mit ihren entfremdeten Verschachtelungen rückgebaut. Damit konnte die Funktion als Parlamentgebäude mit einem wieder zentral angelegten großzügig verglasten Plenarsaal auf einer Fläche von 1 200 m² mit natürlicher Belichtung (360 Spiegel) und Belüftung in verbesserter Form gesichert wird en. Die ökologisch orientierte Gebäudetechnik wird durch ein Blockheizkraftwerk auf der Basis pflanzlicher Brennstoffe betrieben. Die neue Kuppelkonstruktion, die über eine spiralförmige Rampe zu einer Aussichtsplattform in 50 m Höhe führt, soll die Transparenz der parlamentarischen Arbeit symbolisieren. Auch der 8,5 ha große Platz der Republik vor dem R. wird als "Ort der Begegnung zwischen Parlamentariern und Bürgern, zwischen Republik und städtischer Gesellschaft" (WOLFGANG THIERSE) neu gestaltet.

Mit dem Vollzug des Berlin-Umzugs von Parlament und Regierung im Sommer 1999 wurde das wieder hergestellte R. nach der Sommerpause seiner neuen Bestimmung als Sitz des Deutschen Bundestages übergeben - unbeschadet etlicher Baumängel und eines Honorarstreits zwischen Sir Norman Foster (Gesamthonorar: 41 Mill. DM) und der Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB). Mit dem Einzug des Deutschen Bundestages in das historische Berliner Gebäude ging zugleich die 50jährige Bonner Ära des Bundestages zu Ende. [gestr. 3. Aufl.: wo insgesamt 8 071 voll stimmberechtigte Bundestagsabgeordnete in 2 785 Plenarsitzungen 8 575 Gesetzentwürfe behandelt und 5 489 Gesetze verabschiedet hatten.]

Quellen und weiterführende Literatur: Literaturquellen
Kettig 1962/411-413, 461; Ludewig 1986/228; Kieling 1987/242-243; Schneider 1987/7-8; Baedeker 1992/161-162; Engel, H. 1993; Spenkuch 1993; Wörner/ Mollenschott/Hüter 1994/111; Kieling 1995; Bundeshauptstadt Berlin 1997/25-30; Cobbers 1998/92-93; Bauen in Berlin 2000/410 u. 418

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