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kum beim Verkehre auf den Bahnhöfen und auf der Bahn, insbesondere beim Passiren der Uebergänge, den Anordnungen der uniformierten Aufsichtsbeamten der Eisenbahn-Gesellschaft überall Folge zu leisten«.
     Gegen Mittag des 21. Septembers war es endlich soweit. Als die Glocke der Potsdamer Garnisonkirche zwölf Uhr schlug, ertönte ein schriller Pfiff, und der mit Gebinden und Fahnen geschmückte Zug, bestehend aus 16 Wagen mit etwa 300 Fahrgästen, gezogen von zwei Lokomotiven mit den klangvollen Namen »Adler« und »Pegasus«, setzte sich, begleitet von Hörner- und Trompetenklängen, in Bewegung. Und Rellstab berichtete: »Einige Reiter versuchten eine Zeit lang den Wagenzug zu begleiten, doch schon nach wenigen Minuten konnten die erschöpften Pferde nicht mehr in gleicher Schnelligkeit folgen.« Ohne Zwischenfälle und Vorkommnisse erreichte der Zug nach 22 Minuten den knapp 15 km entfernten Bahnhof in Zehlendorf. Nach einer halbe Stunde Pause fuhr er zurück nach Potsdam. Die erste Preußische Bahnlinie – die Berlin-Potsdamer-Eisenbahn – war auf der Teilstrecke von Potsdam bis Zehlendorf eröffnet.
     Zunächst sollten täglich zwei Züge in jede Richtung verkehren. Aber schon einen Tag nach der Eröffnung wurde bekanntgegeben, daß ab dem 26. September die Züge dreimal täglich zwischen Potsdam und Zehlendorf fahren würden.
     Mit preußischer Gründlichkeit war das
Maria Curter
21. September 1838

Preußens erste Eisenbahn fährt

»Bald wird das Publikum es allgemeiner zu würdigen wissen, welche unschätzbare Wohlthat demselben durch die Anlegung dieser Eisenbahn geworden ist, die nach ihrer Vollendung Berlin aus seiner ärmlichen Gegend gewissermaßen in die nahe Nachbarschaft der anmuthigsten Umgebungen versetzen wird«, schrieb Ludwig Rellstab in der »Vossischen Zeitung« vom 21. September 1838.
     Schon am Morgen dieses Tages herrschte in Potsdam reges Getümmel. Einige tausend Menschen waren mit Kutsche oder Karren gekommen, um einem Ereignis beizuwohnen, das gleichermaßen furchterregend und vergnüglich sein sollte. Seit Anfang September hatte man schon Probefahrten durchgeführt.
     Ursprünglich sollte die Bahnstrecke am 18. September offiziell eingeweiht werden, doch dann wurde das große Ereignis um einige Tage verschoben. Um am Tage der Eröffnung Unglücksfällen vorzubeugen, erließ die Potsdamer Regierung kurz zuvor »sicherheitspolizeiliche Maaßregeln« und spezielle Anordnungen. So hatte »das Publi-

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Postkarte vom Eisenbahnhof Potsdam 1838
Bahnfahren geregelt: So erfolgte die Abfahrt des Zuges »nach der Uhr der Garnisonkirche zu Potsdam«. Die Passagiere durften nur insoweit Gepäck mitnehmen, »als sie solches ohne Unbequemlichkeit für das übrige Publikum an sich behalten können«. In Punkt 2 der Bekanntmachung hieß es: »Der Eingang zu den Wagen ist dem Publikum bis 10 Minuten vor der zum Abgange bestimmten Stunde geschlossen. Um diese Zeit wird der Verschluß geöffnet, und dies durch einmaliges Läuten einer Glocke angedeutet.« Hunde und andere Tiere durften nicht mitgenommen werden. »Kranke Personen und saugende Kinder« waren ebenfalls zur Mit- reise nicht zugelassen. Das »Tabackrauchen« war nur in der letzten Wagenklasse gestattet. Auch konnten »solche Passagiere, welche die für die Aufrechterhaltung der Ordnung gegebenen Vorschriften nicht beachten, oder sich unanständig betragen oder trunken sind«, von der Bahnfahrt zurückgewiesen werden. »Das schon gezahlte Personengeld (Fahrgeld) kann in diesem Falle nicht zurückgefordert werden, sondern ist verfallen,« hieß es abschließend.
     Gut fünf Wochen später, am 29. Oktober 1838, wurde die zweite Teilstrecke (knapp 12 km) von Zehlendorf nach Berlin offiziell in Betrieb genommen. Innerhalb von 40 Mi-
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nuten konnte man nun von Berlin aus Potsdam erreichen. Mit der Kutsche wurden für die 26 km lange Strecke mehr als zwei Stunden benötigt. Mit der Eröffnung der gesamten Linie Potsdam–Berlin, die innerhalb von 15 Monaten errichtet wurde, war der Grundstein für die künftige »Eisenbahnstadt Berlin« gelegt.
     Über Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie Fahrpreise informierten in Zeitungen annoncierte Bekanntmachungen. Demnach erfolgte der Abgang der »Dampfwagenfahrten« von Berlin »um 6 1/2, 9 1/2 und 3 Uhr, von Potsdam um 8, 11, 1 1/2 und 4 Uhr«. Eine Fahrt kostete in der 1. Klasse 17 1/2 Silbergroschen, in der 2. Klasse 12 1/2 und in der 3. Klasse 7 1/2 Silbergroschen.
     Ebenso wurde über den Fahrkartenverkauf informiert: »Die Billets zu den ordentlichen Fahrten werden sowohl in Berlin und in Potsdam, Tages vorher, auf die Hin- und Rückfahrt von jedem Ort aus abgegeben. Der Verkauf geschieht in Berlin am Tage der Fahrten in der Kasse am Bahnhof und Tages vorher im Lokale des Herrn George Gropius, in der neuen Bau-Academie; in Potsdam nur in der Kasse am Bahnhofe.«
     Die ersten Vorschläge und Projekte zum Bau einer Eisenbahn zwischen Potsdam und Berlin stammten aus dem Jahre 1833. Ein gewisser Dr. Stubbe beantragte am 9. April 1833 beim Ministerium des Innern eine Konzession zum Bau einer Eisenbahnlinie von
Naumburg nach Breslau über Merseburg, Halle, Wittenberg, Potsdam, Berlin und Frankfurt (Oder). Das Ministerium lehnte ab. Am 28. Juni 1833 unterbreitete James Schumann aus Berlin dem König einen Vorschlag »Über die Anlage einer Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam und deren Nützlichkeit« und benannte einige Vorteile. »Eine Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam beschleunigt den Verkehr zwischen beiden Städten, und befördert ihn dadurch noch mehr, bringt sie näher, ohne zu verschmelzen in einen Residenzkoloß, sichert das kleine Potsdam, daß das größere Berlin es nie verschlinge ... Die Einwohner beider Städte werden sich dann einander immer mehr nähern und in eine Gemeinschaft treten, welche jetzt so häufig nicht gefunden werden kann.« Bevor Schumann sein Bauprojekt einreichen konnte, hatten der Justizkommissar J. C. Robert und der Bankier I. Aron am 27. Januar 1834 den Eisenbahnbau von Berlin nach Leipzig beantragt. Bald wurde die Strecke auf Potsdam – Berlin beschränkt. Dafür legte der Geheime Oberbaurat August Leopold Crelle im Auftrage Roberts am 4. Mai 1835 entsprechende Pläne vor.
     Später wurden auch Entwürfe für Tarife und Ausstattung der Bahnwagen vorgelegt: »Es werden auf der Eisenbahn Passagiere, gewöhnliche Kutschen oder Wagen, Frachtgüter, Pferde und lebendiges Vieh transportiert werden.« Als Eisenbahnwaggons waren vorgesehen »unbedeckte Bankenwagen mit
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Bahnhof Berlin um 1843
5 Banken zu je 5 Personen. Die Banken von Brettern mit Lehnen. Der Sitzplatz im Ganzen mit einem Geländer umgeben«, »bedeckte Stuhlwagen mit 8 Banken, jede zu 4 Personen, rundum mit festen niedrigen Wänden von Brettern und mit Thüren. Die Decke von Leder und mit Vorhängen an den Seiten«, »Bahnfiacres zu 30 Personen« und »Bahnkutschen zu 24 Personen. Die Sitze, Lehnen und Thüren sehr gut gepolstert. Die Sitze abgetheilt. Alles sehr elegant und sauber. Die Wagenbäume mit Stosskissen«.
     Mit Kabinettsorder vom 16. Januar 1836 entschied der König für dieses Projekt, obwohl nach Ansicht der Behörden die Anlage »weder in kommerzieller noch strategischer
Hinsicht besonders wichtig war«. Nach der Gründung einer Aktiengesellschaft, die über ein Kapital von 700 000 Talern verfügte, konnte am 10. August 1837 mit den Erdarbeiten begonnen werden. Nach 14monatiger Bauzeit ging der erste Abschnitt – von Potsdam bis Zehlendorf – und am 29. Oktober 1938 die gesamte Strecke bis Berlin, deren Kosten mehr als eine Million betrugen, in Betrieb. Zur Verfügung standen 44 Personenwagen, von denen 2 Staatswagen für 12 Personen, 5 Wagen 1. Klasse für 18 Personen, 9 Wagen 2. Klasse für 24 und 28 Wagen der 3. Klasse für 30 Personen waren, und 6 Lokomotiven.

Bildquelle: Archiv Autor

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