FESTUNGSANLAGE (FORTIFIKATION)
Zwischen
1658 und etwa 1683 ließ Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688,
Kfst. ab 1640 ) Berlin von einem gigantischen Festungswerk nach altniederländischem
System umgeben. Diese sog. Fortifikation war eine der bedeutendsten bautechnischen
Leistungen in der Geschichte Berlins, aber auch eine der größten
Belastungen seiner Bewohner. Ohne ihren praktischen Nutzen nachgewiesen
zu haben, hat sie jedoch in der städtebaulichen Entwicklung der Hauptstadt
bedeutende Spuren hinterlassen. Die sternförmige Umwehrung beeinflußte
erheblich die Richtung der Stadterweiterungen zwischen 1650 und 1750 und
entschied endgültig über das Schicksal Berlins als Kurfürstliche
und Königliche
Haupt- und Residenzstadt. Als politisches Prestigeprojekt der Hohenzollernherrscher
entsprang und entsprach sie ganz dem militärischen Denken des 17.
Jh., zumal nach den leidvollen Erfahrungen des Dreißigjährigen
Krieges (Halbierung der Einwohnerzahl von rund 12.000 vor dem Krieg auf
6.000 danach; von 845 Häusern in Berlin standen im Jahre 1642 300
"wüst", in Cölln waren es von 364 Häusern 150).
Nachdem
Berlin/Cölln ab 1657 Garnisonstadt (mit anfangs 1.500 Soldaten und
600 Familienangehörigen) geworden war, ordnete Kurfürst Friedrich
Wilhelm per Edikt vom 18.3.1658 den Festungsbau an und entwarf mit dem
Feldmarschall Otto Christoph Freiherr von Sparr (1605-1668) dafür
die Pläne. Die Bauleitung übertrug er dem Ingenieur Johann Gregor
Memhardt (1607-1678), der seit 1650 in Berlin tätig war, 1656 die
Aufsicht über sämtliche kurfürstliche Gebäude erhalten
und 1658 Direktor der Festungswerke für Berlin geworden war. Der
Abschluß der Bauarbeiten soll allerdings in den Händen des
damals noch nicht einmal 30jährigen Ingenieurs Johann Arnold Nering
(1659-1695) gelegen haben. Die auf dem Memhardt-Plan,
dem ältesten überlieferten Stadtplan von Berlin, dokumentierte
Vermessung Berlins bildete die Planungsgrundlage für die F. Der Bau
der F. bedeutete einen großen Aderlaß für das städtische
Gemeinwesen. Berlin und Cölln hatten nicht nur das für die Festungsanlage
benötigte Gelände bereitzustellen und einen Großteil der
Baukosten zu übernehmen, sondern vor allem die Arbeitskräfte
zu stellen. Berliner wurden "wie leibeigene Bauern zur Schanzarbeit gezwungen"
(HEGEMANN, W. [1881-1936], 1930). Täglich hatte ein Viertel der Bürgerschaft
zur "Schanzarbeit" anzutreten, außerdem Soldaten der Garnison und
Bauern der umliegenden Dörfer. Insgesamt sollen 70 bis 80 Mill. Arbeitsstunden
erforderlich gewesen sein (LINDNER, K. 1994/11), d.h. danach wären
täglich durchschnittlich etwa 700 bis 1000 Arbeitskräfte 25
Jahre lang mit dem "Schanzen" beschäftigt gewesen, in Spitzenzeiten
sogar 4000.
Der
Bau der für damalige Verhältnisse gigantischen Anlage unter
militärischer Oberaufsicht begann in Gegenwart des Kurfürsten
im August 1658 auf dem besseren Baugrund der Berliner Seite. Da der nahegelegene
Höhenrand des Barnim ("Prenzlauer Berg") keine weitere Ausdehnung
der Umwehrung zuließ, folgte die neue Festungsanlage dem Verlauf
der Mittelalterlichen
Stadtmauer vorgelagert, heute etwa durch den Bahnkörper der S-Bahn
zwischen Jannowitzbrücke und Hackeschem
Markt markiert. Bereits 1662 war dieser Teil der Fortifikation fertiggestellt,
und es begannen die Bauarbeiten auf dem schwierigeren sumpfigen Gelände
der Cöllner Seite, was gewaltige Erdaufschüttungen erforderlich
machte. Der sog. Lindholzsche Plan aus dieser Zeit ist der erste Stadtplan
von Berlin, der die Topographie der Festungswerke zeigt. Er ist
zugleich die älteste Darstellung der Hausgrundstücke und ergänzt
damit den Memhardt-Plan
(1652).
Die
F. wurde als "Wasserfestung" in Form eines riesigen Sterns gebaut. Die
Festungswerke waren insgesamt über 80 m breit. An der Außenseite
des etwa 8 m hohen und an der Oberkante 6 m breiten Hauptwalls verlief
ein Gang. Davor lag noch ein niedrigerer Nebenwall, der von einem tiefen,
teilweise 50 m breiten Wassergraben umgeben war. Der Wasserstand der Festungsgräben
wurde durch Schleusen und der Wasserzulauf in den Gräben durch Einlaufwerke,
sogenannte Bären , geregelt (Im Köllnischen Park hinter dem Märkischen
Museum ist heute ein solcher Turm als letzter Zeuge der einstigen Festungsanlage
zu besichtigen; er trägt die Inschrift: "Wusterhausischer Baer 1718.
Auf der Mitte des Wehrs im Grünen Graben hinter Bastion VI erbaut
und hierher versetzt 1893").
Um
die Artillerie wirkungsvoll zur Geltung zu bringen, wurden im Mauerring
dreizehn Bollwerke, "Bastione" genannt, keilförmig eingebaut, 5 auf
der Berliner und 8 auf der Cöllner Seite. Später kamen noch
sog. Ravelins hinzu, kleinere Mauervorsprünge, die die Feuerkraft
der Festungsanlage weiter erhöhen sollten.
Historische
Topographie der 13 "Bastione"
Bastion | 1: | Hinter der Neuen Wache |
Bastion | 2: | Heutiger Standort der St. Hedwigskathedrale |
Bastion | 3: | Heutiger Hausvogteiplatz |
Bastion | 4: | Heutiger Spittelmarkt |
Bastion | 5: | Heutige Neue Grünstraße |
Bastion | 6: | Heutige Neue Roßstraße |
Bastion | 7: | Heutiger Standort des Märkischen Museums (sog.Bollwerk im Morast) |
Bastion | 8: | Am ehem. Stralauer Tor an der Spree |
Bastion | 9: | Hinter der ehem. Klosterkirche |
Bastion | 10: | Am ehem. Georgen-(Königs)-Tor |
Bastion | 11: | An der
Rochstraße östlich des S-Bhf. Hackescher Markt |
Bastion | 12: | Am ehem. Spandauer Tor (ehem. Garnisonkirche) |
Bastion | 13: | Hinter
dem Lustgarten (Nationalgalerie) |
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Quelle: nach Gottwald, F. 1926/31
Meist waren die "Bastions" mit sechs Geschützen
armiert, die Bollwerke beiderseits des Georgen- (seit 1701 Königs-)
Tores allerdings mit je neun ("Kloster-Bollwerk" Nr. 9 und "Königs-Bollwerk"
Nr. 10), das "Stralauer-Bollwerk" Nr. 8 sogar mit 10 Geschützen.
Die geradlinigen Mauerwälle zwischen den Bastionen hießen
"Courtinen". Der Festungsbau war nur an sechs Stellen durch Tore passierbar:
das Stralauer und Georgentor blieben an ihren alten Stellen, das Spandauer
und Köpenicker Tor mußten wegen der dortigen "Bastions" verlegt
werden, anstelle des alten Gertrauden-Tores trat (gleichfalls wegen
einer Bastion) das neue Leipziger Tor an versetzter Stelle, der Zugang
von der Linden-Promenade zur Hundebrücke ( Schloßbrücke)
und zum Schloßbereich erfolgte über das Neue Tor. Von diesen
sechs Toren wurden das 1662 vollendete und 1750 beseitigte Spandauer
Tor sowie das 1683 vollendete Leipziger Tor monumental ausgebildet.
Unter
dem Druck ständiger schwedischer Bedrohung sowie Witterungsunbilden
(Hochwasser 1670) zog sich der Festungsbau bis 1683 hin. 1675, als die
Schweden in der Mark standen, soll "die Festung Berlin damals sicher
schon vertheidigungsfähig" gewesen sein (BORRMANN, R. [1852-1931],
1893). Besonders die Bastionen Nr. 7 ("Bollwerk im Morast", etwa an
der Stelle des heutigen Märkischen Museums) und Nr. 13 ("Bollwerk
im Lustgarten") bereiteten größte Bauschwierigkeiten. Außerhalb
der F. hatten sich inzwischen die Dorotheenstadt
(seit 1674 Stadtprivilegium) und kurze Zeit später die Friedrichstadt
(1692) entwickelt. Pläne, nach denen auch diese Neustädte
teilweise in die Umwallung einbezogen werden sollten, wurden nicht mehr
realisiert. So war der Festungsbau bereits zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung
strategisch überholt. Das Wachstum der Vorstädte
machte die F. zu einem großen Hindernis der weiteren Stadtentwicklung.
Sie erwies sich als ein "Millionen verschlingender Mißgriff des
'Großen' Kurfürsten" (HEGEMANN, W. 1930).
LEOPOLD FREIHERR VON ZEDLITZ (1792-1864),
1834: PLAN ZUR ERWEITERUNG DER FESTUNGSWERKE
"Unter dem König Friedrich I. wurde um das Jahr 1708 eine große
Erweiterung der Festungswerke, zu welchen der General v. Bodt den
Plan entworfen hatte, gemacht. Dieses kostspielige, ungeheure Projekt
kam glücklicherweise nicht zu Stande, sondern nur ein sehr
seltenes, radirtes Blatt von Bröbes giebt ein Bild dieser projektirten
neuen, weitläuftigen Befestigung... König Friedrich Wilhelm
I. verwarf die neuen Projekte in Beziehung auf die Befestigung Berlins
gänzlich, ja er ließ sogar in den Jahren 1734-1737 den
größten Theil der Festungswerke auf der Köllnischen
Seite abtragen..."
Quelle:
Leopold Freiherr von Zedlitz: Neuestes Conver sations-Handbuch für
Berlin und Potsdam ..., Berlin 1834, S. 196
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Quellen
und weiterführende Literatur: 
Nicolai 1786/XLI; Berlin 1798/9; Zedlitz 1834/195-196; Holtze 1874, Beilage
2/108-113; Ring 1883/21-22; Streckfuß 1886-I/183-186; Schwebel 1888-II/66f.;
Borrmann 1893/145-151; Clauswitz/Zögner 1906/ 12-17; Gottwald 1926/31;
Hegemann 1930/40-42, 55-59; Louis 1936/ 3-5; Arendt/Faden/Gandert 1937/177,
182, 405; Schierer 1939; Kaeber 1962/188-190; Natzschka 1971/35-37; Wolters
1978/34; Bauer/Hühns 1980/73-75; Goralczyk 1986/84-87; Ludewig 1986/29,
136-137; Demps 1987/42-43; Gersdorff 1987/26-28; Spitzer/Zimm 1987/7,
20; Escher 1988/343-344; Ribbe/Schäche 1987/639; Berlin Handbuch
1993/1138-1139; Dehio 1994/84; Lindner 1994/6-9; Peters 1995/57-60; Berlin-Brandenburg
im Kartenbild 2000/34-51
(c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004
Stadtentwicklung
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