STADTERWEITERUNGEN BIS MITTE DES 19. Jh.
Nach
der Stadtgründung
um 1230, der ersten Ausdehnung des Stadtviertels um Nikolaikirche/Nikolaiviertel
auf der Berliner Spreeseite in der zweiten Hälfte des 13. Jh., dem
Zusammenschluß zur Doppelstadt Berlin/Cölln Anfang des 14.
Jh. und ihrer Entwicklung zur Königlichen
Haupt- und Residenzstadt seit dem letzten Drittel des 15. Jh. erfolgten
gegen Ende des 17. Jh. die ersten Erweiterungen der Stadt. Ziel der Hohenzollernpolitik
seit dem Großen Kurfürsten (1620-1688, Kfst. ab 1640 ) und Friedrich
I. (1657-1713, Kfst. Friedrich III. ab 1688, Kg. ab 1701) war, die Residenzstadt
zu einer anderen europäischen Hauptstädten ebenbürtigen
Stadt zu entwickeln. Insbesondere unter den Preußenkönigen
Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, Kg. ab 1713 )) und Friedrich II. (1712-1786,
Kg. ab 1740) wurden die wichtigsten Schritte zur Verwirklichung dieses
Großmachtziels gegangen.
Nachdem
um 1680 noch innerhalb der Festungsanlage
(Fortifikation) auf Cöllner Seite die kleine Vorstadt "Neu-Cölln
am Wasser" entstanden war, wuchsen außerhalb der Befestigung vor
den Toren im Norden, Osten und Westen mehrere weitere Vorstadtsiedlungen
heran, die als Vorstädte
bezeichnet und zu Berlin und Cölln gerechnet wurden: die Spandauer
Vorstadt vor dem Spandauer Tor, die Georgenvorstadt (später Königsstadt)
vor dem Georgen- bzw. Königstor, die Stralauer Vorstadt vor dem Stralauer
Tor, die Köpenicker Vorstadt sowie die Teltower oder Leipziger Vorstadt.
Drei weitere Ansiedlungen dagegen erlangten städtische Selbständigkeit,
wobei durch den Bau der Festungswerke ab 1658 die Richtung der weiteren
Stadtentwicklung maßgeblich vorgegeben wurde. War auf Cöllner
Seite bereits die Cöllner Vorstadt, die Häuserzeile von "Neukölln
am Wasser" (19 ha), einbezogen, so erlaubte eine größere Baufläche
innerhalb der Fortifikation zwischen der Linden-Allee und dem Spittelmarkt
auf dem Cölln vorgelagerten sumpfigen Werder seit 1658 die Neuanlage
einer Ansiedlung, die, als erste barocke Neustadt gegründet, 1660
den Namen Friedrichswerder
und 1662 de facto das Stadtrecht erhielt, 1669 zur "Residenzstadt und
Feste Friedrichswerder" erhoben wurde. Nordwestlich von Friedrichswerder,
allerdings schon außerhalb der Fortifikation, entstand auf einem
Gelände, das sich im Besitz der Kurfürstin Dorothea (1636-1689),
der zweiten Gemahlin des Großen Kurfürsten, befand, eine zweite
Neustadt, die 1674 als "Vorstadt vor dem Tor des Friedrichswerder" städtische
Rechte erhielt und ab 1676 Dorotheenstadt
genannt wurde. Sie lag zwischen der 1647 angelegten Linden-Allee, der
Spree und der Friedrichstraße; der Bebauungsstreifen südlich
der Linden bis zur Behrenstraße, die "kleine Friedrichstadt", wurde
1681 der Dorotheenstadt angegliedert. Damit hatten Hof und Adel eine "Westorientierung"
bei der Stadterweiterung eingeleitet, die auch in den folgenden Jahrhunderten
das Stadtbild maßgeblich prägen sollte. Nach den ersten Stadterweiterungen
bestanden im Jahre 1681 folgende Umfänge der damaligen Stadtteile.
Berliner
Stadtteile im Jahre 1681 (ha)
Berlin
Cölln
Friedrichswerder
Neucölln am Wasser
Innere Dorotheenstadt
|
77 52
26
19
43
|
Zusammen |
217 |
Quelle:
Spitzer/Zimm 1987/18
Auf
Betreiben des Kurfürsten Friedrich III. und späteren Königs
Friedrich I. entstand 1688, in Fortsetzung der Dorotheenstadt nach Süden,
ein fünftes selbständiges städtisches Gemeinwesen, die
Friedrichstadt
(Stadtrecht seit 1691), die um 1732 nach Westen und Süden beträchtlich
erweitert wurde. Damit bestanden Ende des 17. Jh. fünf kurfürstliche
Residenzstädte, die durch Erlaß des preußischen Königs
am 17.1.1709, dem Vorabend der achten Wiederkehr der Krönung Friedrichs
I. zum König in Preußen, zur Königlichen
Haupt- und Residenzstadt Berlin zusammengeschlossen wurden. Diese
Vereinigung der ursprünglich fünf selbständigen Städte
bildet als Alt-Berlin
die Grundstruktur von Berlin und prägte maßgeblich das Berliner
Stadtbild als preußische Metropole und spätere Reichshauptstadt.
Durch die Stadterweiterungen und ihre Vereinigung mit dem historischen
Stadtkern von Berlin und Cölln hatte sich die Stadtgebietsfläche
auf 626 ha vergrößert und gegenüber 1640 verachtfacht;
die Einwohnerzahl war auf 57 000 angewachsen. Aber noch um 1720 war
Berlin auch eine Ackerbürgerstadt mit über tausend Rindern,
beinahe fünftausend Schafen und sechshundert Schweinen. Wenige
Jahrzehnte später, noch vor Mitte des 18. Jh., erlangte Berlin
Großstadt-Umfang (1747: 107 224 Einwohner).
In
den dreißiger Jahren des 18. Jh. ließ Friedrich Wilhelm
I. das erweiterte Berlin und seine Vorstädte
mit einer hauptsächlich Überwachungszwecken dienenden Akzisemauer
umgeben. Die Dorotheen- und Friedrichstadt erfuhren unter Friedrich
Wilhelm I. in den Jahren 1732-1738 wesentliche Erweiterungen. Innerhalb
dieser neuen Stadtgrenzen, die durch die Akzisemauer markiert waren
und eine Fläche von 1 330 ha umschlossen (1737), vollzog sich die
weitere Stadtentwicklung. Die Größe dieses umschlossenen
Raumes blieb rund ein Jahrhundert erhalten (1825: 1 400 ha). Die eingeschlagene
"Westorientierung" der königlich-adligen Stadterweiterung wurde
durch den Bau der ersten preußischen Chaussee zwischen Berlin
und Potsdam (1791-1793) sowie der ersten preußischen Eisenbahn
zwischen beiden Städten (1838), die beginnende Bebauung des südlichen
Tiergartenrandes ( Diplomatenviertel)
sowie die Gründung von Villen- und Landhauskolonien am Rande der
großen Wälder des Spandauer Forstes, des Grunewaldes und
des Potsdamer Forstes (1863-1914) verstärkt.
Berliner
Stadtteile im Jahre 1841 (ha)
Berlin | 77 | Erweiterte Dorotheenstadt | 55 |
Cölln | 52 | Friedrich-Wilhelm-Stadt | 55 |
Friedrichswerder | 26 | Oranienburger Vorstadt | 321 |
Neucölln am Wasser | 19 | Rosenthaler Vorstadt | 505 |
Innere Dorotheenstadt | 43 | Äußeres
Königsviertel | 665 |
Friedrichstadt | 210 | Äußere Stralauer Vorstadt | 220 |
Innere Luisenstadt | 379 | Friedrichstadt | 154 | Innere
Stralauer Vorstadt | 320 | Äußere Luisenstadt | 190 | Inneres Königsviertel | 85 | | |
Spandauer Vorstadt | 134 | | |
Zusammen: 3 510 |
Quelle: Spitzer/Zimm 1987/18
Eine
weitere planmäßige Stadterweiterung war die Bebauung im Bereich
der nördlichen zwischen Spree im Süden und Neuem und Oranienburger
Tor im Norden. Dieses Gebiet, die sog. Friedrich-Wilhelm-Stadt (Name
seit 1828), war 1825 von der Spandauer Vorstadt abgetrennt und seit
1827 systematisch baulich erschlossen worden. Im Übergangsbereich
zwischen der Königsvorstadt und der Spandauer Vorstadt war das
"Scheunenviertel" entstanden. Etwa seit 1825 befand sich eine weitere
große Stadterweiterung in Planung und seit etwa 1840 in Realisierung:
die Bebauung der Luisenstadt.
Zwischen 1822 und 1831 kamen die Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt,
die äußere Königsstadt und die Erweiterung des Stralauer
Viertels bis zum Markgrafendamm dazu; 1841 wurde die südliche Weichbildgrenze
am Schafgraben (heute -> Landwehrkanal) fixiert. Im Jahre 1841 hatte
sich die Berliner Stadtgebietsfläche
auf 3 510 ha (= 35,1 km²) vergrößert.
Seit
Mitte des 19. Jh. verstärkte sich die Bebauung auch im Bereich
der ehemaligen Berliner Feldmark ( Vorstädte),
im Gebiet der heutigen Bezirke Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Die
Bebauung erfolgte nach dem Hobrecht-Plan
(1862), der nach Abriß der Akzisemauer
um 1867 in der Folgezeit bis Anfang des 20. Jh. ausgeführt wurde.
Parallel
zur Stadterweiterung vollzogen sich erhebliche Veränderungen in der
städtebaulichen Gestaltung Alt-Berlins.
Mit dem Ausbau der Berliner City
wuchs der Bedarf an Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäuden,
so daß viele wertvolle Bauten und ganze Straßenzüge der Innenstadt
abgerissen wurden. Das historische Berlin verlor weitgehend seinen ursprünglichen
Charakter. Die Wohnbevölkerung Berlins stieg erheblich an: von etwa
7 500 (1640) auf 332 602 (1841) und 418 733 Personen (1850). Während
sich zwischen 1640 und 1841 die Stadtgebietsfläche
von 83 ha auf 3 510 ha um das 42fache erweiterte, vergrößerte
sich die Wohnbevölkerung um das 44fache ( Bevölkerungsentwicklung
in Berlin) und bis 1861, der nächsten großen Stadterweiterung
( Stadterweiterung
von 1861) sogar auf 547 200 Einwohner, das ist gegenüber 1640
das 73fache.
FRIEDRICH NICOLAI (1733-1811), 1786:
VON EINWOHNERN, IHRER ALLMÄHLICHEN VERMEHRUNG USW.
"Aus allem diesen
kann das Vorurteil, das nicht wenige Auswärtige hegen, als
ob Berlin schlecht bevölkert sei, genugsam widerlegt werden.
Diese Sage, welche immer aus einem Buche ins andere ohne weitere
Untersuchung nachgeschrieben wird, entsteht vielleicht daher, weil
Berlin vor vielen andern Städten das Glück hat, einen
verhältnismäßig sehr großen Umfang zu haben,
daher die Straßen nicht eng, krumm und winklicht, sondern
breit und gerade angelegt sind. Dies ist gesund und bequem; aber
freilich fällt die Anzahl der auf den Straßen Gehenden
nicht so in die Augen wie in den engen Straßen anderer Städte,
weil sie sich nicht drängen. Hiezu kommt, daß eine sehr
große Anzahl Manufakturen in Berlin sind, bei welchen der
gemeine Mann in den Häusern beschäftigt ist. Auch gibt
es in Berlin nicht so viel Pomp und Prunk, Einzüge, Aufzüge,
Prozessionen und andere öffentliche Zeremonien, welche eine
große Anzahl müßiger Leute auf die Straßen
locken könnten; daher sieht man auf denselben nur diejenigen,
die in Geschäften gehen..."
Quelle:
F. Nicolai: Beschreibung..., Leipzig 1987, S. 217
|
Quellen
und weiterführende Literatur: 
Nicolai 1987/207-244; Berlin 1798/10-12; Schwebel 1888-II/80f.; Scheffler
1910/15-19, 40-46; Louis 1936/3-12; Hegemann 1930/74, 183; Leyden 1933/50
f.; Krammer 1935/44-45; Rave 1941/8-12; Hagemann/Rave 1949/13; Kaeber
1962/205-213; Berlin und seine Bauten 1964/40-42, 47-56, 61-77; Kaeber
1964; Loose u.a. 1980/334-340, 370-373; Bauer/Hühns 1980/85-87, 102-104,
111-113; Dietrich (1) 1981/105-128; Trost 1984/21-25; Hofmeister 1985/255;
Goralczyk 1986/77-109; Herrmann 1987/99-100; Topographischer Atlas 1987/12-25;
Spitzer/Zimm 1987/18; Escher 1988/370-397; Berlin-Überblick 1989/14;
Engler 1991; Berlin Handbuch 1993/1128-1130; Mieck 1993/477-483; Schäche
1993-1/210-215; Dehio 1994/20-27; Scheunenviertel 1994; Peters 1995/45,
70; Brost/Demps 1997/70-265; Zech 1997/7f.; Statistisches Landesamt Berlin,
lfd.
(c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004
Stadtentwicklung
|