NIKOLAIKIRCHE / NIKOLAISIEDLUNG Die Nikolaikirche ist als älteste Pfarrkirche und erste steinerne Kirche Berlins zugleich das älteste Bauwerk der Stadt. Ihre Geschichte widerspiegelt wichtige Abschnitte der Berliner Stadtentwicklung. Die Kirche St. Nikolai, die "vornehmste des alten Berlin" (PNIOWER, O. 1907), entstand auf einem besonderen Kirchplatz (Nikolaikirchhof) in der Nähe des Mühlendamms/Molkenmarktes auf einer der drei erhöhten Talsandinseln (Dünenhügel) im Urstromtal (Geographische Bedingungen der Stadtwerdung). Die Nikolaikirche ist mit der Stadtgründung und frühen Stadtentwicklung eng verbunden. Sie wurde zum Zentrum der Nikolaisiedlung, dem ältesten unregelmäßig gewachsenen Berliner Siedlungskern, der "Wiege Berlins". Ihren Namen verdankt die Pfarrkirche Nikolaus, dem Heiligen und Schutzpatron der Schiffahrt, der Kaufleute und der Schüler, dem sie zusammen mit Martinus und der Heiligen Katharina geweiht wurde. Die Nikolaikirche war mehrfach Stätte bedeutender historischer Ereignisse (zum Beispiel 1539 Übergang zur Reformation, 1809 Zusammenkunft der gewählten Stadtverordnetenversammlung), Wirkungsstätte bekannter Theologen, zum Beispiel Paul Gerhardt (1607-1676) und Philipp Jacob Spener (1635-1705) sowie Begräbnisstätte berühmter Persönlichkeiten, zum Beispiel Caspar Theyß (auch Theiß oder Theiss; gest. um 1550 ) und Lampert Distelmeier (auch Lamprecht Distelmeyer, 1522-1588). Sichere, d.h. durch Grabung bestätigte Kunde besteht von der Existenz einer relativ großen, flachgedeckten, dreischiffigen, kreuzförmigen spätromanischen Pfeilerbasilika aus Granitquadern (gleichmäßig behauene und gefügte Feldsteine) mit einem Chorquadrat und drei halbkreisförmigen Apsiden (Chorabschlüssen) sowie einem breiten mehrgeschossigen wehrhaften Turm-Querbau, dessen unterer Teil noch im heutigen Westbau erhalten ist. Dieser Rest des alten Turmes gilt als ältestes steinernes Zeugnis Berlins. Die Gründung dieser ältesten Steinkirche wird um das Jahr 1230, etwa zur Zeit der Stadtrechtsverleihung, angenommen, d.h. sowohl in Berlin als auch in Cölln standen bzw. entstanden zur Zeit der urkundlichen Ersterwähnungen (1244 Berlin, 1237 Cölln) bereits größere Steinkirchen. Bei den archäologischen Ausgrabungen unter den Fundamenten der Nikolaikirche in den Jahren 1956-1958 und 1980-1982 wurden, ähnlich wie bei den der Cöllner Petrikirche, ca. 100 Gräber entdeckt, die deutlich älter sind. Das läßt auf eine Nikolaisiedlung schließen, in der bereits vor der urkundlichen Ersterwähnung Berlins 200 bis 400 Einwohner lebten, deren Anfänge vermutlich im letzten Drittel des 12. Jh. liegen und die möglicherweise anfangs eine Tochtersiedlung von Cölln war (HERRMANN, J. 1987). Mutmaßlich haben die massiven Mauern des Gründungsbaus der Nikolaikirche auch eine Wehr- und Schutzfunktion ausgeübt. Noch im 13. Jh., wahrscheinlich zwischen 1260 und 1280, wurde das Langhaus der alten flachgedeckten Feldsteinbasilika zu einer frühgotischen gewölbten dreischiffigen Hallenkirche aus Backstein umgewandelt. 1379, noch vor dem verheerenden Stadtbrand von 1380, wurde damit begonnen, anstelle der alten Choranlage mit den drei Apsiden einen neuen Chor zu bauen, bei dem die Seitenschiffe der Halle um das Chorpolygon herumgeführt wurden. Erst um 1470 war dieser Neubau einer spätgotischen Hallenkirche aus Backstein, der heute noch bestehende Bau, fertiggestellt. Diese dreischiffige Hallenkirche von acht Jochen mit Chorumgang und Randkapellen zwischen den Strebepfeilern ist das früheste Beispiel eines für die spätgotische Baukunst stilbestimmenden Kirchentyps in der Mark Brandenburg, der maßgeblich von der Baumeisterfamilie Parler entwickelt wurde. Über dem vom Vorgängerbau beibehaltenen Westbau wurde ein asymmetrischer Turmaufbau mit achtseitigem Helm errichtet. Während sich die Arbeiten am Langhaus noch bis ins 15. Jh. hinzogen, entstanden einige Anbauten: die 1452 gestiftete zweigeschossige und mit Staffelgiebeln abgeschlossene Liebfrauenkapelle an der Südwestecke und Ende des 15. Jh. die ebenfalls zweigeschossige Chor-Nordkapelle für Sakristei und Bibliothek. Bis ins 19. Jh. blieb diese Gestalt der Nikolaikirche im wesentlichen erhalten. Renaissance und Barock hatten sie kaum verändert. Erst im Zuge der Restaurierung unter Leitung des Berliner Stadtbaurats Hermann Blankenstein (1829-1910) von 1876 bis 1879 wurde - neben dem Umbau des Inneren - das als "unfertig" empfundene asymmetrische Turmwerk "vervollständigt": Über dem alten Westturmbau wurden neugotische Backsteintürme mit zwei Helmspitzen errichtet. Am Ende des II. Weltkrieges erlitt die Nikolaikirche schwere Zerstörungen. Am 16.6.1944 brannten die Türme ab; im April 1945 wurde das Kirchenschiff zerstört; 1949 stürzten die Gewölbe ein. Nach ersten Sicherungsarbeiten im Jahre 1979 erfolgte im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Nikolaiviertels zwischen Spree und Spandauer Straße in der Zeit von 1981 bis 1987 auch der Wiederaufbau der Nikolaikirche. Dabei wurde die Zwillingsturmlösung neu konstruiert. Im August 1982 wurden die Turmhelme aufgesetzt. Erhalten gebliebene Stücke der Ausstattung fanden beim Wiederaufbau Verwendung. Der gesamte Wiederaufbau des Nikolaiviertels erfolgte nach denkmalpflegerischen Vorgaben: Berlin sollte seinen altstädtischen Kern zurückerhalten. Dazu wurden erhalten gebliebene Gebäude an ihrem ursprünglichen Standort restauriert (zum Beispiel die Nikolaikirche, das Knoblauchhaus, die kleinen Häuser der Nikolaistraße 5-9, das Kurfürstenhaus/ Spreeufer 5, dessen Vorgängerbau in der Poststraße 4 dem Kurfürstlichen Kammerdiener Anton Freytag (1581-1643) gehörte und in dem Kurfürst Johann Sigismund (1572-1619, Kfst. ab 1608) am 23.12.1619 (nach dem bis 1700 gültigen Julianischen Kalender; nach Gregorianischem Kalender am 2.1.1620) gestorben und Verleger Friedrich Nicolai (1733-1811) geboren war. Das heutige sog. Kurfürstenhaus ist mittels Durchgang über die "Kurfürstenhöfe" mit der Poststraße verbunden. Hinzu kamen historisch wertvolle, aber zerstörte Gebäude aus anderen Stadtvierteln, die originalgetreu wiederhergestellt wurden (zum Beispiel die Kopien der mittelalterlichen Gerichtslaube und des Giebelhauses "Zum Nußbaum" aus dem Jahre 1571, das früher auf der Fischerinsel stand). Auch das Ephraim-Palais (Haus Poststraße 16), das der Hofjuwelier und Bankier Nathan Veitel Heine Ephraim (1703-1775) auf einem am 3.6.1762 erworbenen Grundstück erbaut hatte, wurde nahe seinem ursprünglichen Standort (Mühlendamm/Molkenmarkt) nach zweieinhalbjähriger Bautätigkeit am 19.5.1987 feierlich wiedereröffnet. Quellen
und weiterführende Literatur: (c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004 |