MÜHLENDAMM Mühlendamm und Molkenmarkt nehmen einen herausragenden Platz in der Berliner Stadtentwicklung ein. Ihre historische Topographie hängt engstens mit der Stadtgründung und frühen Stadtentwicklung sowie der Geschichte von Alt-Berlin zusammen. Zusammen mit Nikolaikirche/Nikolaiviertel lag hier die "Keimzelle Berlins ". Der Molkenmarkt als ältester Marktplatz von Berlin war "gleichsam der Mittelpunkt und das Herz des früheren Berlin" (RING, M., 1883/48). Der Mühlendamm ist der älteste Übergang vom südlichen zum nördlichen Spreeufer, und zwar an jener Stelle der Spree, wo sich das Warschau-Berliner-Urstromtal zwischen den Hochflächen des Barnim und Teltow auf 4-5 km verengt und die erste Verbindung zwischen den "Schwesterstädten" Alt-Berlin und Cölln entstand. Dank dieser Gunst der Geographischen Bedingungen hatten sich hier seit Ende des 12. Jh. die Kaufmannssiedlungen Berlin und Cölln herausgebildet. In ältester Zeit ermöglichte eine Furt den Spreeübergang, später ein schleusenloser Knüppeldamm, der zugleich das Oberwasser der Spree staute und damit ebenso den Mühlenbetrieb wie die Verteidigungsfähigkeit der Stadt begünstigte. Das Recht zum Brücken- und Mühlenbau sowie zur Anlage des Mühlendamms wurde Berlin wahrscheinlich schon mit der Stadtrechtverleihung erteilt (HERRMANN, J. 1987/40). Bereits um 1240 vermerkte Köpenick die Auswirkungen dieses Mühlenstaus. Erstmals ist 1285 von Berliner Mühlen die Rede. Am 28.9.1298 wird der Mühlendamm ("molendam tu Berlin") urkundlich erwähnt, als Berlin von Markgraf Otto IV. den bis dahin in Köpenick erhobenen Schiffszoll käuflich erwarb. Die strategische Bedeutung des Mühlendamms und der Mühlen wurde frühzeitig von den markgräflichen Landesherrn erkannt, so daß sie diese in ihren Besitz brachten und den "Mühlenhof" einrichteten. Für Berlin und Cölln bestand Mahlzwang auf dem Mühlenhof. Die Energiegewinnung durch Nutzung des Staugefälles muß erheblich gewesen sein: Noch im 17. Jh. wurden 6 Mühlen genannt, und zwar die Cöllnische Mühle, die Walkmühle mit 3 gesonderten Betrieben, die Mittelmühle, die Klippmühle, die Neue Mühle und die Malzmühle; Ende des 18. Jh. kamen sogar noch drei weitere hinzu (Tabaksmühle/Stampfmühle, Kleine neue Mühle, Berliner Mühle). Später wurden die Mühlen von der Stadt angekauft und 1887-1890 abgebrochen, um der Errichtung eines Sparkassengebäudes durch Stadtbaurat Hermann Blankenstein (1829-1910) Platz zu machen. "Durch die Jahrhunderte hindurch bis in unsere Tage hat der Mühlendamm ... eine ganz besondere Bedeutung für die Entwicklung Berlins und für die Schiffahrt gehabt." (NATZSCHKA, W. 1971/16) Der Mühlendamm begünstigte das vermutlich schon seit der Stadtrechtverleihung geltende Niederlags- oder Stapelrecht, das heißt den Zwang gegenüber den Händlern, ihre Waren in der Stadt auszuladen und zum Verkauf zu stellen. 1442 forderte Kurfürst Friedrich II. (1413-1470, Kfst. 1440-1470) das einst der Stadt verliehene Niederlagsrecht zurück; Handelsvorteile für die Stadt jedoch blieben bestehen. Ursprünglich führte oberhalb des Mühlendamms eine zu einem Kanal ausgebaute Bucht an der Spree zum Kaufmannhaus am Molkenmarkt ("Koop-Hus"), der zur Entfrachtung der Waren diente und daher als wichtiger Handelshafen mit Salzhäusern und Stapelplatz galt. Der kleine Kanal wurde schon im 16. Jh. zugeschüttet und zum Fahrweg umfunktioniert. Dieser markante Wohnbereich mit seinem altertümlichen Gepräge war als "Krögel " (im Mittelalter "Krouwel") noch bis ins 20. Jh. als älteste Gasse Alt-Berlins weltbekannt. Der Mühlendamm machte es notwendig, die Schiffe umzuladen; das System der Hochwasserableitung über den Cöllnischen Stadtgraben ("Spreekanal") mittels einer (schon 1432 erwähnten) eintorigen Stauschleuse ("Arche") erlaubte keine durchgehende Schiffahrt. Eine Schleuse für den durchgehenden Schiffsverkehr erhielt das Mühlendamm-Wehr erst im Zuge der durchgreifenden Spreeregulierung zwischen 1888 und 1894. Aber schon um 1550 war unter Kurfürst Joachim II. (1505-1571, Kfst. ab 1535) im Cöllnischen Stadtgraben, der in einem kurfürstlichen Erlaß von 1607 "Schiffsgraben" und später "Schleusengraben" genannt wird, als erste wirkliche Schiffsschleuse eine hölzerne zweitorige Kammerschleuse gebaut worden, die schon knapp drei Jahrzehnte später (1578) erneuert werden mußte. Diese zweitorige Schleuse ist noch auf dem Memhardt-Plan (1652) und dem Schultz-Plan (1688) verzeichnet und lag auf dem "Werder", etwa an der Stelle der heutigen Schleusenbrücke. Bei Amtsantritt des Kurfürsten Johann Georg (1525-1598, Kfst. ab 1571) wurde unterhalb der Schleuse am linken Ufer des Cöllnischen Stadtgrabens ein Hafenbecken und ein Packhaus gebaut, wo die Waren entsprechend dem Niederlagsrecht zum Verkauf gestellt oder umgeladen wurden, seit 1652 unterstützt durch einen Kran. 1657 wurde die hölzerne Kammerschleuse noch einmal umgebaut. Die Oberleitung lag bei J.G. Memhardt (1607-1678), die Ausführung bei dem holländischen Wasserbautechniker, Schiffszimmermann, Baumeister und Bauunternehmer Michael Matthias Smids (ursprünglich Michiel Mattysz Smids, 1626-1692), der ab 1652 in kurfürstlich-brandenburgischen Diensten als Hofzimmermeister, Hofbaumeister und Schleusenmeister stand. 1694 wurde die Schleuse durch Johann Arnold Nering (1659-1695), der 1691 mit 32 Jahren zum Oberbaudirektor ernannt worden war, massiv in Stein "zur perfection gebracht, nach dem die Fundamente der vorigen Höltzernen mit großer Mühe heraus gearbeitet worden, durch schwere Kosten auß Quader-Stücken, wie sie zu sehen ist glücklich vollführet" (Text einer 1936 gefundenen Kupfertafel aus dem Jahre 1694. Vgl. NATZSCHKA, W. 1971/43). Die Schleuse hatte nun eine Länge von 76 m und 7,50 m Breite. Dicht unterhalb der Schleuse befanden sich auf der rechten Seite Schneide- und Walkmühlen, die als "Mühle beim Schloß", später als "Werdersche Mühlen", bezeichnet wurden. Am verkehrsreichen Mühlendamm entstanden schon in früher Zeit Kramläden und Verkaufsbuden, deren Inhaber an den Amthauptmann des kurfürstlichen Mühlenhofes Zins zu zahlen hatten. 1683-1687 ließ der Große Kurfürst (1620-1688, Kfst. ab 1640 ) nach Entwürfen M.M. Smids oder J.A. Nerings zu beiden Seiten des Dammes steinerne Läden mit einem Laubengang ("Arkaden") auf der Südseite und einem Portal in der Mitte errichten. In der Folgezeit erfuhren diese Bauten ständige Erweiterungen und Umgestaltungen. So auch 1693, als über dem Portal nach der Fischerbrücke ein Saal als ältester Versammlungsort der Berliner Kaufmannschaft zu Börsenzwecken entstand. Die Häuser erhielten später bewohnbare Obergeschosse über den Läden; nach einem Brand 1759 sogar zweistöckige Oberbauten. 1847 wurde die Mühlendammbrücke als Fahrbrücke ausgebaut, und 1876 entstand eine steinerne Brücke, wobei die historischen Bauten abgerissen wurden. Ihr heutiges Gepräge aus Spannbeton erhielt die Mühlendammbrücke 1967/68. An beiden Enden des Mühlendamms entwickelten sich aus den beiden ursprünglichen Fernhandelsstützpunkten Kaufmannssiedlungen mit bedeutenden Niederlage- und Handelsplätzen: der Molkenmarkt (ursprünglich "Older", d.h. Alter Markt) auf der östlichen Seite und der Cöllnische Fischmarkt "gegenüber" auf westlicher Seite. Sie gelten als im wesentlichen gleichaltrige "Keimzellen " der Doppelsiedlung und sind durch den Mühlendamm "so einzigartig verbunden wie sonst wohl nirgends eine Doppelstadt" (ARENDT/FADEN/GANDERT, 1937). An beiden Märkten entstanden die ältesten Rathäuser von Berlin und Cölln. Auf beiden Märkten liefen bedeutende Fernhandelsstraßen zusammen, die Berlin und Cölln zu ihrem Aufstieg als Handelsstädte verhalfen, wobei die älteren Städte Köpenick und Spandau bald überflügelt wurden. Im Molkenmarkt und Cöllnischen Fischmarkt trafen und kreuzten sich mehrere Handelswege. Dadurch wurden die alten Märkte am Mühlendamm zu Umschlagplätzen von Frachten, die aus dem mitteldeutschen Raum sowie aus Böhmen und Sachsen (Prag, Leipzig, seit 1390 Messestadt, Meißen, Halle, Magdeburg, Brandenburg) kamen und dann nach Oderberg und Frankfurt und von dort aus auf der schiffbaren Oder bis zur Ostsee oder aber nach Lebus und Posen befördert wurden. Hinzu kam der Wasserweg über die Spree und Havel, der Berlin und Cölln stromabwärts mit Hamburg und Lübeck verband und darüber hinaus bis Flandern und England reichte. Der Name Molkenmarkt hat zwei Deutungen. Die erste (und wahrscheinlichste) geht auf den Begriff "Mollen" für die wasserbetriebenen Mühlen am nahegelegenen Mühlendamm zurück. Die andere Deutung gibt der Schriftsteller und Publizist Leopold Freiherr von Zedlitz (1792-1864) in seinem 1834 erschienenen Stadtlexikon "Neuestes Conversations-Handbuch für Berlin und Potsdam", in dem er Katharina von Brandenburg (1549-1602), Gemahlin des Kurfürsten Joachim Friedrich (1546-1608, Kfst. ab 1598), als Ursprung des Namens bemüht: Sie soll veranlaßt haben, daß der Molkenmarkt "zum Verkauf der Milch ausersehen wurde, die in der Meierei- oder Molken-Wirthschaft...gewonnen wurde". (ZEDLITZ 1834/493) Der Molkenmarkt ist eine markante Adresse der historischen Topographie Alt-Berlins. An ihm standen berühmte Bauten. Nr. 1 bis 3 markiert ein geschichtsträchtiges Gelände. Ursprünglich beherbergten hier Gebäude das kurfürstliche Amt "Mühlenhof", das über einen großen Teil der Stadt und über viele Dörfer die Gerichtsbarkeit hatte. Es wird angenommen, daß hier das älteste Rathaus von Berlin gestanden hat (RING, M. 1883/49). Im 16. Jh. stand am Molkenmarkt Nr. 1 ein "ansehnliches kurfürstliches Haus", das zunächst vom "Kanzler zweier Kurfürsten", Lampert Distelmeier (1522-1588) sowie vom Zeug- und Baumeister Graf Rochus Lynar (1525-1596) bewohnt wurde; später auch von Generalfeldmarschall Friedrich Wilhelm von Grumbkow (1678-1739), Generalfeldmarschall Hans Albrecht Graf von Barfus (1635-1704), General Graf von Dönhoff (1742-1803) und einem gewissen Bankier Schultz, bevor das Gebäude 1776 an den Fiskus fiel und schließlich 1791 an die Stadtverwaltung "zur Einrichtung eines Gefängnisses überwiesen" wurde. Die berüchtigte "Stadtvoigtei mit der Dienstwohnung des Herrn Polizei-Präsidenten " (zusätzlich war noch die benachbarte Nr. 2 angekauft worden) diente als Polizeigefängnis, Kriminalgericht und Polizeipräsidium und verlieh der Gegend den Ruf eines der "unerfreulichsten Viertel Berlins". [gestr. 3. Aufl.: Allein 1875 befanden sich hier 23 588 Menschen in Polizeigewahrsam (LANGE, A. 1984-I/318)]. In die polizeiliche Nutzung wurde Ende des 18. Jh. auch das angrenzende "Palais Schwerin ", Molkenmarkt Nr. 3 an der Ecke "Am Krögel", einbezogen: 1698 hatte der Staatsminister und Diplomat (seit 1700 Reichsgraf) Otto von Schwerin (1645-1705) das Grundstück erworben und sich bis 1704 unter Verwendung vorhandener Bausubstanz (wahrscheinlich von Jean de Bodt [1670-1745]) ein prächtiges, 25 m breites dreigeschossiges Barockpalais mit sieben Fensterachsen errichten lassen; 1766 gelangte das Palais Schwerin als Verwaltungsgebäude in Staatsbesitz und 1794 in den Besitz der Stadtverwaltung. Nachdem das Polizeipräsidium 1889 an den Alexanderplatz verlegt wurde, erfolgte der Umbau des Palais zu einem Wohn- und Geschäftshaus. Der Bereich am Mühlendamm und Molkenmarkt erfuhr in den 30er Jahren des 20. Jh. eine einschneidende städtebauliche Umgestaltung. Der Bau der Magistrale vom Potsdamer Platz zum Stadthaus zog einen verbreiterten Neubau der Mühlendammbrücke nach sich. In diesem Zusammenhang wurde 1934 der historische Gebäudekomplex Molkenmarkt 1-2 abgerissen und anschließend auf dem Gelände das Verwaltungsgebäude der Münze errichtet, in dessen Fassade die Kopie eines Relieffrieses eingelassen wurde, den Johann Gottfried Schadow (1764-1850) und Friedrich Gilly (1772-1800) für die von Heinrich Gentz (1766-1811) 1798 errichtete Alte Münze am Werderschen Markt geschaffen hatten und der die Geschichte der Metall- und Münzkunst darstellt. Als einziges der historischen Gebäude wurde das Palais Schwerin 1937/38 in die neue Straßenfront einbezogen, allerdings um mehrere Meter hinter die ursprüngliche Fluchtlinie zurückversetzt, unter Ersatz aller Sandsteindetails durch Kopien, Zurückverlegung des Eingangs von der rechten Balkonachse in die Mitte und Erweiterung des Gebäudes beiderseits um 5 Achsen. In der DDR beherbergte der Gebäudekomplex das Ministerium für Kultur. Gegenüber dem Areal Molkenmarkt 1-3, Ecke Poststraße/Mühlendamm, befand sich ein nicht minder berühmtes Altberliner Gebäude: das Ephraim-Palais . Das zwischen 1762 und 1766 von Friedrich Wilhelm Diterichs (1701-1782) auf dem Grundstück Poststraße 16 geschaffene spätbarocke (Rokoko-) Eckhaus galt mit seinem abgerundeten Eingang als das "schönste Bürgerhaus Berlins" und gehörte dem Hofjuwelier, Münzpächter und Bankier Nathan Veitel Heine Ephraim (1703-1775). 1843 erwarb der Staat das Palais als Behördensitz; es wurde 1892-1895 durch Stadtbaurat Hermann Blankenstein (1829-1910) aufgestockt und um drei Achsen erweitert. Bei der Umgestaltung der Mühlendammbrücke mußte auch dieses historische Gebäude weichen: 1936 wurde es abgetragen, wichtige Fassadenteile wurden jedoch geborgen, auf einem Lagerplatz im Wedding eingelagert und schließlich nach mehrmaligem Ortswechsel im Zuge der Neugestaltung des Nikolaiviertels bei weitgehender Nutzung der abgetragenen Fassadenteile zwischen 1985 und 1987 wieder aufgebaut (Eröffnung am 19.5.1987) - etwa 20 m nördlich des alten Standortes. Es birgt heute ein Museum (Außenstelle des Stadtmuseums Berlin) sowie Ausstellungs-, Arbeits- und Depoträume. Nach der Wiedervereinigung Berlins erfaßte die Bauplanung auch das Stadtquartier am M. An der Breiten Straße/Ecke M. errichteten die Wirtschaftsverbände BDI, BDA und DIHT ihr neues Verbandshaus in Berlin (4 500 m²groß, 200 Mill. DM teuer) mit einem imposanten Atrium im Inneren. Das "Planwerk Innenstadt", das der Senat am 18.5.1999 als städtebauliche Leitlinie für die Neugestaltung und Verdichtung der Innenstadt verabschiedete, bezieht auch die Gegend um den Molkenmarkt ein und wird nicht in der ursprünglich beabsichtigten Dichte realisiert werden können. Die Kreuzung Gruner-/Spandauer/Stralauer Straße bleibt in der heutigen Form erhalten; das Stadthaus wird nicht zugebaut; eine Zuschüttung des Autotunnels unter dem Alexanderplatz soll erst mittelfristig erfolgen. Quellen
und weiterführende Literatur: (c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004 |