TIERGARTEN Seit über 400 Jahren ist der sog. Große T. für die Berliner eines der wichtigsten Erholungsgebiete, das an sonnigen Wochenenden bis zu 50 000 Besucher anzieht. Die 186 ha große und seit 1991 denkmalgeschützte Parkanlage war ursprünglich nur kurfürstliches Jagdrevier, wurde später barocker Lustgarten, bürgerlicher Landschaftspark und gilt heute als größtes innerstädtisches Erholungsgebiet. Das Parkgelände des heutigen T. ist der Rest eines großen Waldareals, das sich westlich von Berlin/Cölln, jenseits der alten Stadtmauer und südlich der Spree weit ausdehnte. Seit der erheblichen Einschränkung städtischer Rechte Berlin/Cöllns (Stadtgründung und frühe Stadtentwicklung) mit Beginn der Hohenzollernherrschaft in Brandenburg im 15. Jh. geriet es unter den Einfluß der brandenburgischen Kurfürsten. 1527 erhielt Kurprinz Joachim (1505-1571, ab 1535 Kurfürst Joachim II. ) auf die "Bitte" des Landesherrn hin vom Rat der Stadt Cölln ein entsprechendes Waldareal zur Anlegung eines "Tier- und Lustgartens", ein Jahr später kam (für 125 Gulden) die "Kurze Heide" hinzu, möglicherweise das Gelände, auf dem zweihundert Jahre später die Friedrichstadt errichtet wurde. In der Folgezeit wurde der T. immer mehr nach Westen erweitert und auch wirtschaftlich genutzt. 1611 ließ ihn Kurfürst Johann (1572-1619, Kfst. ab 1608) einzäunen. Friedrich Wilhelm (1620-1688, Kfst. ab 1640 ) befahl 1647, den Reitweg vom Schloß in den T. zu befestigen und mit 1 000 Linden und Nußbäumen als Baumallee zu bepflanzen. Schließlich wurde der T. um 1655 beträchtlich über die rechte Spreeseite hinaus, von der Jungfernheide im Westen, die zu jener Zeit noch bis an die heutige Turmstraße reichte, bis in die Gegend der späteren Charitè ; im Osten, erweitert und ebenfalls eingezäunt. Dieser Teil wurde "Hinterer T." genannt, von dem bald nur noch als Rest der "Kleine T." übrig blieb. Der alte T. hieß nun der "Vordere (Große) T.", der seinen Charakter als kurfürstliches Jagdrevier zunehmend verlor und zum Flanierrevier wurde. Der Bau von Schloß und Schloßgarten Lietzenburg (1695-1699, seit 1705 Charlottenburg) unter Kurfürst Friedrich III. (1657-1713, Kfst. seit 1688, Kg. seit 1701 ) erforderte eine Verbindungsallee mit dem Berliner Schloß (Stadtschloß) in Fortsetzung der Straße Unter den Linden. Diese mehrfach veränderte heutige "Straße des 17. Juni" (seit 1953, früher Charlottenburger Chaussee und Berliner Straße) durchzieht den Vorderen (Großen) T. vom Brandenburger Tor bis zum Ernst-Reuter-Platz (früher "Knie") in 2,8 km Länge; etwa auf halber Strecke entstand an einer Waldkreuzung der von Hofjäger Hemmerich angelegte achtstrahlige Große Stern, auf dem anfangs noch das Wild bei der Jagd zusammengetrieben wurde. Friedrich II. (1712-1786, Kg. seit 1740 ) ließ den Großen T. durch Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699-1753) als erste öffentliche Parkanlage Berlins herrichten. Es entstanden weitere Alleen und Plätze. Mit der Gestaltung des Schloßparks Bellevue (1786/90) und der Rousseauinsel (1792) begann die Abkehr von der barocken Gartenarchitektur. Nachdem 1809 erste landschaftliche Gartenelemente im Park Einzug hielten, schuf Peter Joseph Lenné ; (1789-1866) zwischen 1833 und 1838 ein Parkgelände nach englischem Vorbild mit wohlgeordnetem Wegenetz, Rasenflächen und Wasserläufen. Auf dem alten Gelände der 1742 eingerichteten Fasanerie im Südwesten des Großen T. entstand 1844 der Zoologische Garten (Zoo Berlin); Lenné gestaltete das Gelände. Zum Schmuck des Großen T. gehören zahlreiche repräsentative und patriotische Denkmäler. Zwischen 1898 und 1901 ließ Kaiser Wilhelm II. (1859-1941, Ks. seit 1888) die heute nicht mehr vorhandene Siegesallee als Denkmälerstraße im Ostteil des Großen T. anlegen. 27 Künstler schufen unter Leitung von Reinhold Begas (1831-1911) 32 marmorne Standbilder brandenburgisch-preußischer Markgrafen, Kurfürsten und Könige sowie deren hervorragendster Berater und Zeitgenossen. Ein Teil dieser Figuren hat den II. Weltkrieg überstanden. Am nördlichen Tiergartensaum entstanden im 18. Jh. bekannte Objekte der historischen Topographie Berlins. Hier lag der Kurfürstenplatz: ein halbkreisförmig angelegter Platz, dessen Name auf die deutschen Kurfürsten zurückgeht, deren Zahl mit der vom Platz fächerartig auslaufenden sieben (später neun) Alleen übereinstimmte. Im Nordosten ließ der "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, Kg. ab 1713 )) einen Teil des Waldes abholzen und einen Exerzierplatz anlegen - den späteren Königsplatz, heute Platz der Republik (Reichstagsgebäude). Nicht weit davon entfernt hatten ab 1745 eingewanderte Hugenotten am Nordrand des Großen T. erste Sommerwirtschaften für Ausflügler eingerichtet; 1769 standen dort bereits sechs Zelte, die zunehmend durch feste Restaurationsräume und große Bierhäuser ergänzt und später abgelöst wurden. "Die Zelte", nach denen die dortige Straße den Namen "In den Zelten" erhielt, wurden ein bekanntes und gefragtes Ausflugs- und Vergnügungsrevier Berlins und Sammelpunkt vornehmer, aber auch demokratisch gesinnter Berliner, zum Beispiel am Vorabend der Märzrevolution von 1848. In diesem Bereich, auf dem ehemaligen Grundstück der Bettina von Arnim (1785-1859), steht heute das Haus der Kulturen der Welt, das 1957 als "Kongreßhalle" errichtet wurde. Östlich davon standen einst das 1842-1844 errichtete Kroll-Etablissiment und danach die Krolloper, in die der Reichstag (Reichstagsgebäude) nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 gezogen war und Hitlers Ermächtigungsgesetz beschlossen hatte. Am südlichen Rand des Großen T. entstand eine zunächst unbefestigte Straße, die spätere (1831) Tiergartenstraße. Eine erste Bebauung ist aus dem Jahre 1716 belegt. Südlich davon ließ König Friedrich I . schon zwischen 1700 und 1705 den Schafgraben, die Grenze zur Cöllner Feldmark, ausbauen, woraus 1845-1850 der Landwehrkanal entstand. Aus der Bebauung der Areals zwischen dem südlichen Rand des Tiergartens und dem Schafgraben/Landwehrkanal ging ein neues Wohnquartier hervor: das bis zu seiner Zerstörung im II. Weltkrieg existierende Tiergartenviertel. Ein Überrest der ehemaligen Villenbebauung dieses Viertels ist zum Beispiel die "Villa von der Heydt" in der Von-der-Heydt-Straße Nr. 18. Im II. Weltkrieg erlitten der Tiergarten und das südliche Tiergartenviertel schwere Zerstörungen. Zwar begann laut Magistratsbeschluß vom 2.7.1945 der Wiederaufbau, die schwierige Nachkriegssituation erzwang jedoch noch eine Zeitlang die landwirtschaftliche Nutzung von Teilen des Tiergartengeländes. Am 17.3.1949 gab Ernst Reuter (1889-1953), ab Dezember 1948 Oberbürgermeister und erster Regierender Bürgermeister (Westberlin), den Auftakt zur Neubepflanzung des Großen T. Er nannte den zerstörten Tiergarten "die schlimmste Wunde, die uns der Krieg geschlagen hat". Von 1949 bis 1959 wurden im Rahmen eines Notstandsprogramms über eine Million junger Bäume, meist aus Gehölzspenden aus dem Bundesgebiet, gepflanzt. Allein aus Schleswig-Holstein kamen 250.000 Baumschößlinge. Orientiert am Lenné-Entwurf, wurde der Große T. wieder zum größten innerstädtischen Erholungsgebiet mit ausgedehnten Wanderwegen, Liegewiesen und Kinderspielplätzen gestaltet, seit Mitte der 80er Jahre zunehmend am Lenné-Vorbild orientiert. Der nach dem Mauerbau 1961 verstärkte "Nutzungsdruck führt zu erheblichen ökologischen Belastungen" (TOPOGRAPHISCHER ATLAS 1987/159). Das gilt besonders für das hohe Verkehrsaufkommen im Großen T., aber auch Lagerschäden, Müllprobleme usw.. War schon in der zweiten Hälfte der 50er Jahre mit der Entstehung des neuen Hansaviertels nordwestlich des Großen T. die Bebauung des Tiergartenumfeldes intensiviert worden, so verstärkte sich dies mit der Entstehung des neuen Kulturforums rund um die Philharmonie südöstlich des Großen T. in der ersten Hälfte der 60er Jahre. Die Wiedervereinigung Berlins machte das Umfeld des Tiergartens zu einem der zentralen Bereiche beim Ausbau Berlins als Bundeshauptstadt (Hauptstadtprojekte). Die Errichtung des neuen Regierungsviertels am Nordrand und des Botschaftsviertels am Südrand des T., aber auch die Neubebauung des nahegelegenen Potsdamer Platzes und die Realisierung großer Verkehrsprojekte ( Tiergartentunnel ) erhöhen zwar die Bedeutung des Großen T. als Berlins grüne Mitte, zugleich wächst aber auch seine Belastung in neuer Weise. Quellen
und weiterführende Literatur: (c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004 |