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Heiko Schützler
Tiergartentunnel:
Zwischen Euphorie und Pannen

Der Betonkoloss am Gleisdreieck ist 25 m hoch. Er hat die Fläche dreier Tennisplätze, ist 60 m breit, 37 m lang und 25 000 Tonnen schwer. Doch an solche Details denkt an diesem kalten Wintermorgen des 28. Januar 1997 niemand. Schon gar nicht die Bauarbeiter der Firma Hochtief, deren Arbeitsplatz sich unter der Tunnelsohle befindet und die den Betonklotz in die Erde versenken sollen. Sie werden von nun an in drei Schichten zu je vier Stunden den Boden mit zunächst sechs, später 15 Wasserkanonen wegspülen. Das Gemisch aus Wasser und Erde wird an die Oberfläche gepumpt, dort getrennt, und das Wasser erneut zum Spülen verwendet. Neben den Männern an den Kanonen zerkleinert ein Bagger größere Felsbrocken.
     Diese Senkkastenbauweise, in der Teile des Tiergartentunnels errichtet werden, kommt billiger als eine offene Baugrube. 200 000 Kubikmeter Erdreich werden so bewegt. Jedes mit einer Wasserfüllung beschwerte Tunnelsegment senkt sich durch sein Eigengewicht allmählich in die Erde - 50 cm am Tag.

Druckluft hält die Arbeitskammer frei von Grundwasser. Nach jeder Schicht müssen die Arbeiter daher drei Stunden in einer Druckausgleichskammer verbringen. Hat das Segment seine vorgesehene Tiefe erreicht, wird die Arbeitskammer mit Erde verfüllt.

Sorge wegen Grundwasserspiegel

Umstritten war der Tiergartentunnel bei den Berlinern wie wohl kein anderer zuvor. Als Bundeskanzler Helmut Kohl am 13. Oktober 1995 vor dem Reichstag den ersten Spatenstich ausführt und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen die Hoffnung äußert, dass im Jahre 2000 die erste Ausbaustufe des Tunnels in Betrieb gehen könne, stellen die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e. V. und mehrere Anwohner beim Bundesverwaltungsgericht einen Antrag auf sofortigen Baustopp. Der Tiergarten, so meinen die Umweltschützer, leidet am meisten unter dieser Baustelle. Der Grundwasserspiegel werde sinken, und die Bäume vertrocknen. Der Antrag wird abgelehnt und damit das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8, die ICE-Verbindung von Berlin über Halle, Leipzig, Erfurt, Nürnberg nach München in vier Stunden, nicht gefährdet.
     Im Bereich des Tiergartens sollen sich laut Planung die Tunnel für die Fern-, Regional- und U-Bahn, außerdem für die S-Bahn und die Bundesstraße 96 bündeln.

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Neben dem 2,4 km langen Autotunnel mit zwei Fahrstreifen in jeder Richtung entsteht ein 2,7 km langer Fern- und Regionalbahntunnel. Dabei kommen verschiedene Bauweisen zum Einsatz: Senkkasten, Schildvortrieb und offene Bauweise. Für die U 5, die von Anfang an kontrovers diskutiert wird, entsteht nur ein kleiner Abschnitt im Spreebogen und unterhalb der Spree. Zwischen 1995 und 1997 muss für den Tunnelbau sogar die Spree umgeleitet werden.

Havarien durch Grundwasser

Die historischen Ereignisse seit 1989 haben dem Berliner Verkehr einzigartige Möglichkeiten eröffnet. Die Ringbahn wird wieder geschlossen und mit dem Tiergartentunnel endlich die alte Idee der Nord-Süd-Verbindung Wirklichkeit. Das neu entstehende Fernbahnnetz ähnelt von oben betrachtet einem Steinpilz, dessen Stiel die Nord-Süd-Verbindung, dessen Krempe die 9 km lange Strecke Zoo-Ostbahnhof und dessen Hut der nördliche Innenring bildet. Daher auch die Bezeichnung »Pilzkonzept«. Insgesamt - also für den Bahntunnel, den Autotunnel, die U-Bahn-Linien 5 und 3 sowie die Bahnhöfe Papestraße und Potsdamer Platz - geht die DB Projekt GmbH Knoten Berlin von Bau-kosten in Höhe von 3,6 Milliarden Mark aus.
     Ende Mai 1997 ist der erste Senkkasten in der Erde. Vor dem Reichstag wird zwischen Scheidemann- und Paul-Löbe-Straße als

Ersatz der alten Entlastungsstraße der vom Lehrter Bahnhof zum Potsdamer Platz verlaufende Autotunnel der B 96 in offener Bauweise errichtet.
     Am 19. März 1997 um 8.30 Uhr kommt es hier zu einer Havarie. Durch ein armdickes Loch in 15 m Tiefe schießt Grundwasser in die Baugrube ein. Ein Bagger stürzt um. Die Bauarbeiten müssen eingestellt werden. Bis zum Nachmittag steigt das Wasser auf anderthalb Meter. Gefahr für den Bahntunnel und das Kanzleramt bestehe nicht, so die Bauverwaltung. Trotzdem wird eine Fahrbahn der Entlastungsstraße gesperrt. In der Nacht zum 10. Juli 1997 passiert dann der größte anzunehmende Unfall. Wieder ist es das Grundwasser. Diesmal bricht unter seinem Druck eine Betonwand des Eisenbahntunnels am Gleisdreieck. Riesige Wassermassen, vermischt mit Schlamm und Sand, fluten die Baustelle. Die Baustraße wird unterspült und stürzt ein. Die Feuerwehr ist mit acht Wagen zur Stelle und pumpt zusätzlich Wasser aus dem Landwehrkanal in den Tunnelabschnitt. Das von außen nachdrängende Grundwasser soll mit seinem Druck nicht noch weitere Löcher in die Wand reißen. Über die Unglücksursache herrscht bald Klarheit. Ein vor der Tunnelwand im Grundwasser errichteter Dichtungsblock ist porös. Als die Tunnelwand für die Schildvortriebsmaschine geöffnet wurde, drückte das Wasser in die Grube. Es kommt zum Baustopp.
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Anfang 1998 wird begonnen, die Unfallstelle zu reparieren. Dazu muss der Boden tiefgefroren werden.

Die Baukosten explodieren

Im Sommer 1998 geht man davon aus, dass der Tunnel erst 2003 in Betrieb gehen kann. Ein Jahr später als vorgesehen. Die Kosten explodieren. Der Wassereinbruch schlägt mit rund 180 Millionen Mark zu Buche. Von den anfänglich 3,6 Milliarden Mark ist ohnehin keine Rede mehr, mittlerweile spricht man von 4,5 Milliarden. Wenigstens kommt man zwischen Reichstag und Potsdamer Platz besser voran. Am Potsdamer Platz wird ein unterirdischer Regionalbahnhof mit zwei Bahnsteigen und Umsteigemöglichkeit zu S- und U-Bahn gebaut. Berücksichtigt werden die zukünftige U-Bahn-Linie 3 und die Anbindung der Straßenbahn. Im August 1997 trifft auf der Baustelle der 600 t schwere und 54 m lange Schildbohrer von der bayrischen Firma Herrnknecht aus Schwanau ein. Mit seinen 9 m Durchmesser sprengt der Bohrkopf alle Dimensionen. In vier Einzelteilen ist er per Schiff zum Westhafen transportiert worden. Von dort geht es mit einem Spezial-tieflader weiter. Das 20 Millionen Mark teure Gerät schafft am Tag 20 m Grabungsstrecke und kleidet gleich noch die Wände mit gekrümmten Betonsegmenten aus.
     Ende 1997 gibt die Frau des Bundeskanzlers, Hannelore Kohl, als Tunnelpatin das

Startsignal für die erste von vier Röhren, die an der Scheidemannstraße nahe des Reichstages startet und am 24. August 1998 beim Lennédreieck durchsticht. Bis zu 25 m geht der Tunnel hier in die Tiefe. Das schützt den Baumbestand des Tiergartens, und es müssen keine städtischen Versorgungsleitungen verlegt werden. 45 000 Kubikmeter Erdreich sind bewegt worden. Der Berliner Untergrund hat sich als problematisch erwiesen. Oft genug stießt das Schneidrad auf Findlinge, die ein an der Spitze angebrachter Steinbrecher erst zerkleinern muss. Aber auch die kleineren Steine machen den Rollenmeißeln zu schaffen. Obwohl aus hochfestem Stahl, müssen sie mehrfach ausgetauscht werden. In der Höhe des Sony-Centers sind zudem die nicht dokumentierten Fundamente des Columbiahauses zu beseitigen. Die ersten Bahnen, die den Tunnel befahren, sind Bauzüge auf Schmalspur.
     Der Tunnel ist mit den erwähnten Beton-teilen, so genannten »Tübbings«, ausgekleidet. Je acht bilden einen Ring. Aus rund 470 Ringen besteht dieser Teil des Tunnels. Die Maschine wird gewendet und arbeitet sich auf einer zweiten Trasse wieder zum Reichstag vor. Parallel dazu arbeitet in gleicher Richtung eine zweite Maschine, die ursprünglich die Strecke vom Gleisdreieck zum Bahnhof Potsdamer Platz vortreiben soll. Wegen des Wassereinbruches muss sie umgesetzt werden. Im Februar 1999 ist auf dem Abschnitt Reichstag-Potsdamer Platz mehr als die Hälfte geschafft.
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Von vier Röhren sind zwei fertig, die dritte ist in Arbeit. Im Bereich Gleisdreieck/ Potsdamer Platz ist man dagegen weit hinter dem Plan zurück. Der Senkkasten ist zwar ausgepumpt, der Tunnelvortrieb hat aber noch nicht begonnen. Beim Lehrter Bahnhof bereitet der sumpfige Baugrund mehr Probleme als erwartet, hier müssen Verankerungen verstärkt werden, sodass in diesem Bereich mit einer Verzögerung von sechs Monaten gerechnet wird. Zügig voran geht es mit dem nördlich des Lehrter Bahnhofes gelegenen Abschnitt der U-5-Verlängerung. Der Regionalbahnhof Potsdamer Platz und die Vorleistung für die U 3 sind größtenteils fertig. Auch der Straßentunnel für die B 96 wächst langsam, aber stetig. Im April 1999 ist endlich der Wasserschaden am Gleisdreieck beseitigt. Im Mai geht die Bahn davon aus, dass der Tunnel erst 2005 eröffnet wird. Damit verspätet sich auch die weitere Erschließung für die Bauten von DaimlerChrysler und Sony. Nach dem Wassereinbruch hatte das Eisenbahnbundesamt ein erhöhtes Sicherheitsniveau gefordert, welches Ultraschallmessungen erforderlich macht und zum Einbau von Pumpen, Stahlblechen und Schutzmembranen führt. Das und ein dreistelliger Millionenbetrag für die zusätzliche Vorsorge verteuern das Projekt weiter um eine halbe Milliarde. Allein ein neues Dichtungssystem, das künftige Wassereinbrüche verhindern soll, beläuft sich auf rund 20 Millionen. Planungsunsicherheit besteht auch im Bereich des abzureißenden alten Lehrter Stadtbahnhofes. Niemand weiß, was dessen Baugrund noch erwarten lässt. Und: Noch ist nicht geklärt, ob die S 21, welche den Lehrter Bahnhof mit dem Potsdamer Platz verbinden soll, wirklich gebaut wird.
     Im Juni 1999 melden sich die Umweltschützer erneut zu Wort. Es ist bekannt geworden, dass die Autoabgase aus dem Tiergartentunnel ungefiltert nach draußen gepustet werden sollen. Zwei Schlote sind vorgesehen: Einer, bereits fertig, am Debis- Hochhaus (der 90 m lange Schornstein mit dem grünen Firmenlogo) und einer von 60 m Höhe am Lehrter Bahnhof. Die Grünen fordern den Einbau von Filteranlagen. Nach ihren Angaben würden zwei Filter 6,5 Millionen Mark kosten und 90 000 Mark jährlich für den Betrieb benötigen. Die Senatsumweltverwaltung lehnt ab. Der Nutzen sei zu gering. Wichtiger sei es, die Abgase gleich im Auspuff zu reinigen.

Mehrjährige Bauverzögerung

Zu diesem Zeitpunkt sind 60 Prozent der B 96 im Rohbau fertig und insgesamt 510 von 730 Millionen Mark verbaut. Im November liefert der Autotunnel noch einmal Schlagzeilen. Im nördlichen Abschnitt haben sich giftige Schimmelpilze so sehr vermehrt, dass er nur noch mit Atemschutzmasken zu betreten ist. Ursache sind zwei provisorische Betonschotte, die im Falle eines Wassereinbruches Schutz bieten sollen, gleichzeitig aber die Durchlüftung verhindern. Die Bauverwaltung beauftragt ein speziell ausgerüstetes »Pilzteam« mit der Grundreinigung.

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Das südliche Schott wird eingerissen. Die provisorischen Sicherungsmaßnahmen haben sich aus den Bauverzögerungen am Lehrter Bahnhof ergeben. Am 12. Juli 1999 ist die dritte der vier »Hannelore«-Röhren durchgestochen worden, und die letzte wird in Angriff genommen. Im August beginnt man am Gleisdreieck, die Schildvortriebsmaschine zu montieren. Damit hat sich an dieser Stelle der Ablauf um zwei Jahre verzögert. Ein Schuldiger für den Wassereinbruch ist immer noch nicht benannt. Der Berliner Boden sei eben unkalkulierbar, heißt es bei der Bahn. Am 24. November 1999 tauft die Frau des Bundespräsidenten, Christina Rau, die vier Röhren zwischen Gleisdreieck und Potsdamer Platz. Die Veranstaltung findet in jenem Senkkasten statt, der zwei Jahre zuvor voll Wasser gelaufen war. Fünf Tage später beginnt die Arbeit. Damit wird der letzte Abschnitt des Bauwerkes in Angriff genommen. Im Bereich des Regierungsviertels sind die Baugruben bereits geschlossen. Anfang Februar 2000 fällt der Startschuss für die zweite Röhre. Ende des Monats wird der Autotunnel der B 96 zwischen Spree und Potsdamer Platz fertig. Es fehlt nur noch ein Stück im Bereich des Lehrter Bahnhofes, das nur mit diesem zusammen errichtet werden kann. Bis voraussichtlich 2004 wird daher der Tunnel nicht befahrbar sein.
     Das sehr optimistisch begonnene Projekt ist immer teurer geworden, der Berliner Untergrund wurde unterschätzt. Die Bahn hat sich übernommen. Mittlerweile wurde massiv gekürzt, so am Lehrter Bahnhof und am Bahnhof Papestraße. Der Senat hat im Juni 2001 die Verlängerung der U 5 gestoppt. Man darf auf Weiteres gespannt sein!
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2001
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