Mitte (Spandauer Vorstadt),
Rosa-Luxemburg-Platz 23/Linienstraße 227.
Aus der 1890 gegründeten Freien Volksbühne spaltete sich 1892 ein Flügel als Neue Freie Volksbühne ab, der nach 1902 starken Zuwachs erhielt und dadurch auch die Mittel, ein eigenes Haus zu bauen. Spenden der Vereinsmitglieder erbrachten fast eine Million Mark für den Bau des Theaters, das 19131914 nach Entwürfen von Oskar Kaufmann im Stil der beginnenden Moderne auf einer Grundfläche von mehr als 3500 qm errichtet wurde. Sechs dorische Säulen gliedern die in der Mitte vorschwingende Fassade. Ein mächtiges plastisches Dach hob das Gebäude aus der Umgebung heraus. An der Stirnfläche war der Anspruch Die Kunst dem Volke eingemeißelt. Die Bühne mit einer Gesamtbreite von 40 m besaß den ersten festen Kuppelhorizont und eine versenkbare Drehbühne. Der Zuschauerraum mit 1968 Plätzen verfügte über drei Ränge, die sehr weit nach vorn zur Bühne gezogen waren. Im II. Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstört, wurde das Gebäude 19521954 von Hans Richter vereinfacht wieder aufgebaut. Bei einem weiteren Umbau in den sechziger Jahren wurde die Zahl der Zuschauerplätze auf 800 verringert. Das Foyer erhielt seitliche Ausstellungsräume. Erster Intendant der V. war Max Reinhardt. 1924 bis 1927 wirkte Erwin Piscator hier und inszenierte die ersten großen Erfolge des proletarischen politischen Theaters in Deutschland (Fahnen, 1924, und Sturmflut, 1926). 1933 verstaatlicht, gingen NS-Agitations- und Propagandastücke in dieser Zeit hier in Szene (z. B. Dorf bei Odessa von Herbert Reinecker). Die Spaltung Berlins führte auch zu einer getrennten Entwicklung der V. Im Westen der Stadt entstand die Freie Volksbühne als Besucherorganisation und als Theater. Im Osten fand das Ensemble der V. ab 1949 im Theater am Schiffbauerdamm eine Heimstatt, bis es 1954 wieder an seinen ursprünglichen Spielort zurückkehren konnte. 1956 entstand hier mit dem Theater im 3. Stock (110 Zuschauerplätze) eine Nebenbühne. Vor allem zu Beginn der 70er Jahre unter Leitung von Benno Besson entstanden hier wegweisende Inszenierungen mit Schauspielern wie Angelica Domröse (* 1941), Rolf Ludwig, Hilmar Thate (* 1931) und Stücken wie die Die schöne Helena (1972) von Peter Hacks (* 1928), die Die Bauern von Heiner Müller, Der Gute Mensche von Sezuan von Bertolt Brecht. Seit der Wende leitet Frank Castorf die Bühne, der mit provokanten Inszenierungen besonders junge Zuschauer ins Theater zieht, u. a. Des Teufels General (1997/98), Die Dämonen (1998/99), Berliner Republik (1999). Das Gebäude der V. steht unter Denkmalschutz. Eine Gedenktafel erinnert an die Tänzerin Oda Schottmüller, die hier ihren ersten Auftritt hatte und als Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime hingerichtet wurde.