LÖSUNG
DER WOHNUNGSFRAGE ALS SOZIALES PROBLEM
Die
Wohnungsfrage war eines der großen und ständigen Probleme der
Stadtentwicklung von Berlin-Ost. Im Jahre 1949 existierten im "demokratischen
Sektor" 380 412 Wohnungen und 36 878 vorgemerkte Wohnungssuchende. Von
1949-1958 wurden 175 000 Wohnungen wieder instandgesetzt und von 1952-1960
45 404 Wohnungen neugebaut; im Jahrzehnt von 1961-1970 waren es 58 608
neugebaute und 11 740 modernisierte Wohnungen. Insgesamt wurden im Ostteil
Berlins nach dem II. Weltkrieg 360 000 Wohnungen errichtet, davon 273
000 in Plattenbauweise; 800 000 Bürger, ca. zwei Drittel der Ostberliner
Einwohner, leben in Neubauwohnungen.
1971 leitete der VIII. SED-Parteitag mit dem Beschluß über
das langfristige Wohnungsbauprogramm in der DDR auch für Berlin-Ost
eine neue Etappe in der Stadtentwicklung und im Städtebau ein. Das
zentrale Ziel der DDR-Wohnungsbaupolitik wurde nach dem Kurswechsel von
der Ulbricht- zur Honecker-Ära in der Formel von der "Lösung
der Wohnungsfrage als soziales Problem" ausgedrückt. Ihren politischen
Anspruch begründete die SED damit, "ein altes Ziel der revolutionären
Arbeiterbewegung" verwirklichen zu wollen (SED-Parteiprogramm 1976). War
damit anfangs noch das Ziel verbunden, "bis 1990 die Wohnungsfrage zu
lösen" und darunter ursprünglich noch verstanden worden, daß
jeder Anspruchsberechtigte eine Wohnung erhalten könne, so legte
die SED-Führung in den 80er Jahren, nachdem die Unerfüllbarkeit
der Zielsetzung bis 1990 immer offenkundiger geworden war, das Schwergewicht
auf die Lösung der Wohnungsfrage "als soziales Problem", wobei 1986
(XI. SED-Parteitag) nur noch erklärt wurde: "Jeder Bürger wird
über angemessenen Wohnraum verfügen." Am 3.2.1976 hatte das
Politbüro des ZK der SED die "Aufgaben zur Entwicklung der Hauptstadt
der DDR, Berlin, bis 1990" beschlossen und darin festgelegt, insgesamt
in den 15 Jahren bis 1990 in Berlin-Ost 300 000 bis 350 000 Wohnungen,
davon 200 000 bis 230 000 durch Neubau, zu beschaffen und dabei bis 1980
die Zahl der vorhandenen Wohnungen der Zahl der Haushalte anzunähern,
um schließlich bis 1990 "das Wohnungsproblem so wie vorgesehen zu
lösen." Von den knapp 500 000 Wohnungen Ost-Berlins sollten bis 1990
rund 80 000 Wohnungen abgerissen werden, "weil die Substanz verschlissen
ist". (BERLINER ZEITUNG, 27./28.3.1976)
Besonders danach setzte in Berlin-Ost eine rege Bautätigkeit ein,
die in den 80er Jahren das Bautempo in Berlin-West deutlich überholte.
Fertiggestellte
Wohnungen in beiden Teilen Berlins
Zeitraum von |
Berlin-West |
Berlin-Ost |
Insgesamt |
1950-1960
1961-1970
1971-1980
1981-1990 |
159 391
190 488
141 249
65 061 |
54 080
58 608
89 364
159 181 |
213 471
249 096
230 593
229 242 |
1950-1990 |
556 189 |
361 213 |
917 404 |
Quelle: Peters 1995/223
Fertiggestellte Wohnungen im Jahresdurchschnitt
in beiden Teilen Berlins
Zeitraum von |
Berlin-West |
Berlin-Ost |
Insgesamt |
1950-1960
1961-1970
1971-1980
1981-1990 |
15 939
19 048
14 125
6 506 |
5 408
5 860
8 934
15 418 |
21 347
24 909
23 059
92 424 |
1950-1990 |
13 904 |
9 030 |
22 934 |
Quelle: Peters 1995/223
Gesamtkosten einer Wohnung in beiden Teilen
Berlins
(auf der Grundlage der jeweils gültigen Preisbasis)
Jahr |
Berlin-West |
Berlin-Ost |
1950
1970
1990 |
13 800 DM
66 200 DM
217 000 DM |
12 298 M
47 127 M
61 603 M |
Quelle: Peters 1995/223
Die L. sollte als "Einheit von Neubau, Modernisierung und Werterhaltung"
erfolgen, d.h. sowohl in Gestalt umfangreicher Neubauten in Großsiedlungen
am Stadtrand von Berlin-Ost (Marzahn
[1975-1987], Hohenschönhausen
[1979-1989], Hellersdorf
[1981-1989]) als auch von Baulückenschließungen in der Innenstadt
sowie der Stadterneuerungsmaßnahmen in den alten Mietskasernengebieten
Ost-Berlins (Arnimplatz, Arkonaplatz, Husemannstraße). Ein Vergleich
der durchschnittlich fertiggestellten Neubauwohnungen je Kalendertag verdeutlicht
das Bautempo: 1949 waren es 7 Wohnungseinheiten, 1970 19, 1983 60 und 1985
91. Zwischen 1971 und 1985 wurden 168 396 Wohnungen neugebaut und 80 352
modernisiert (von 1976 bis 1990 waren es zusammen 328 000 Wohnungen). Betrug
der Anteil der in Berlin-Ost neugebauten Wohnungen an allen neugebauten
Wohnungen der DDR 1976 9,3 Prozent, so lag er 1985 bei 19,9 und 1988 bei
18,2 Prozent (20 081 von 110 511 Wohnungen).
Während aber in den 60er Jahren der Wohnungsneubau in Berlin-Ost zu
fast 80 Prozent noch an 49 Standorten erfolgte, konzentrierte er sich 1981-1985
auf die Wohngebietskomplexe Marzahn,
Kaulsdorf, Hellersdorf,Hohenschönhausen
und Salvador-Allende-Viertel II, in denen nunmehr etwa 80 Prozent des Ostberliner
Wohnungsbaus realisiert wurden. Allein in dem 1976 begonnenen größten
NeubaugebietMarzahn
(seit 1979 Stadtbezirk) entstanden 1976-1987 62 135 Neubauwohnungen, das
sind ca. 61 Prozent aller neuerrichteten Wohnungseinheiten Berlins. Als
schließlich in Vorbereitung der 750-Jahr-Feier Berlins eine "Beschleunigung
der Ausgestaltung der Hauptstadt der DDR" beschlossen worden war, mußten
die Ostberliner Bezirke 1985/86 ein zusätzliches Wohnungsbauprogramm
mit 20 000 Neubau- und 10 000 Modernisierungswohnungen in Angriff nehmen.
Unter diesem politischen Druck wurde eine neue Großsiedlung in Altglienicke,
im Südosten Berlins, für die es keinerlei Vorlauf in der Erschließung
gab, ins Visier genommen.
In keinem anderen DDR-Bezirk lag der Ausstattungsgrad der Wohnungen im Durchschnitt
so hoch wie in Berlin-Ost: 1989 hatten von 100 Ostberliner Wohnungen 88
Bad/Dusche (1971: 59) und 94 Innen-WC (1971: 80); im DDR-Durchschnitt vergleichsweise
1989 von 100 Wohnungen 79 Bad/Dusche (1971: 39) und 72 Innen-WC (1971: 39).
Mit der Erschließung der Neubaugebiete "auf der grünen Wiese"
verlagerte sich in Ostberlin der Schwerpunkt der Wohnbevölkerung immer
mehr in die äußeren Bezirke: "Während noch Ende der sechziger
Jahre 40 Prozent der Bevölkerung in 12 Prozent der bebauten Fläche
der Innenbezirke Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain wohnte, waren
es 1990 nur noch 26 Prozent. Der Anteil von 60 Prozent der Bevölkerung,
der auf 88 Prozent der bebauten Stadtfläche in den äußeren
Bezirken lebte, erhöhte sich auf 74 Prozent bis 1990." (PETERS, G.
1995/217)
Dominierende Eigentumsform am Wohnungsbestand in Berlin-Ost war das Volkseigentum
mit einem Anteil von 57 Prozent sowie das genossenschaftliche Wohnungseigentum
mit einem Anteil von 15 Prozent (1981).
Obwohl im Ostteil Berlins nach 1945 insgesamt 360
000 Wohnungen errichtet wurden, davon 273 000 in Plattenbauweise und damit
800 000 Menschen, das waren zwei Drittel der Einwohner Ost-Berlins, in diesen
Neubauwohnungen leben, wurde letzten Endes der verkündete Anspruch
nicht erfüllt. "Mit der Realisierung von insgesamt 219 000 neugebauten
und 109 000 modernisierten Wohnungen im Zeitraum von 1976 bis 1990 wurde
die 'Wohnungsfrage' in der östlichen Stadthälfte jedoch nicht
gelöst. 1990 gab es noch über 95 000 Wohnungssuchende", resümiert
Günter Peters, Mitgestalter des Baugeschehens im Osten Berlins in maßgeblicher
Position des Ostberliner Magistrats über einen langen Zeitraum. (PETERS,
G. 1995/218)
MARTIN
KESSEL (1901-1990), 1959: DER MAGNETISMUS BERLINS
"Der Magnetismus Berlins besteht weniger in irgendwelchen Vorzügen
als eben darin, daß hier alle Schattierungen vorhanden sind;
wenn überhaupt, bestehen diese Vorzüge gerade in einer Unsumme
offen zutage liegender Fragwürdigkeiten, deren Sezierung und
Entgiftung die spezielle Aktivität des Berliners herausfordern."
Quelle: Martin
Kessel: Die sokratische Stadt. In: Merian. Das Monatsheft der Städte
und Landschaften, Sonderheft Berlin, Hamburg 1959, S. 3
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Quellen und weiterführende Literatur:
Schulz/Gräbner 1976/11 ff.; Kürth/Kutschmar 1978/246-248, 256-257;
Bauer/Hühns 1980/322-433; Gißke 1987/5f.; Statistisches Jahrbuch
der DDR 1989/50, 68, 168 u. 172; 40 JahreDDR 1989/45-47; Stimmann 1985/7;
Schulz/Gräbner 1987/16ff.; Zimm 1989/254-257; Stadtidee 1992/195; Peters
1992-1/54-59; Berlin Handbuch 1993/1387-1393; Berliner Wohnquartiere 1994/195
ff.; Hain 1995/16-19; Peters 1995/216-224; 237-246; Topographischer Atlas
1995/128-135; Berliner Zeitung, 27./28. März 1976; Stadt der Architektur
2000/337-357
(c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004
Stadtentwicklung
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