25   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Nächstes Blatt
Dieter Hanauske
Die »Lösung der Wohnungsfrage«

Zum Wohnungsbau in West- und Ost-Berlin 1962-1990

»Der Wohnungsbau bleibt in dieser Stadt auf dem Bausektor das Problem Nr. 1. Wir haben zwar über 220 000 Wohnungen seit dem Ende der Blockade fertiggestellt. Es wohnt also jeder vierte Berliner heute in einer Nachkriegsneubauwohnung. Trotzdem haben wir immer noch eine hohe Zahl von Wohnungssuchenden und eine noch höhere Zahl von solchen, die eine bessere Wohnung, eine andere, gesündere, meist auch größere Wohnung haben wollen. Dazu kommt der laufende Bedarf, vor allem durch Eheschließungen verursacht, aber auch der Bedarf für die Versorgung der Menschen, die um den 13. August hierher gekommen und hier geblieben sind, und neuerdings die Versorgung der Facharbeitskräfte mit Familien, die aus Westdeutschland oder aus dem Ausland zu uns kommen.«
     So umriss der sozialdemokratische Bausenator Rolf Schwedler im Abgeordnetenhaus die wohnungsbaupolitische Bedarfslage in West-Berlin ein Jahr nach der Errichtung der Berliner Mauer. Und er fuhr fort: »Wir werden nicht aufhören, diese Stadt im Blick auf ganz Berlin zur

Hauptstadt Deutschlands, hauptstädtisch auszubauen, zumal wir wissen, wie stark auch heute noch unsere Bauten ausstrahlen über die Mauer und die Stacheldrahtverhaue hinweg zu unseren Freunden auf der anderen Seite. Denn gerade in Berlin ist Bauen nicht zuletzt auch eine politische Aufgabe.«
     In Westberliner Sicht war also eine Weiterführung des seit der ersten Hälfte der fünfziger Jahre sehr umfangreichen Wohnungsneubaus aus Bedarfs- und systempolitischen Gründen unabdingbar. Dazu kam noch ein echter wohnungspolitischer Faktor: Das »Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht« von 1960 - nach seinem Initiator, Bundeswohnungsbauminister Paul Lücke (CDU) vielfach als »Lücke-Plan« bezeichnet - sah mittelfristig auch für Berlin (West) die Abschaffung der Wohnraumbewirtschaftung, des Mieterschutzgesetzes und der Mietpreisbindung für Altbauwohnungen vor. Berlin sollte somit, wie alle dem Bundesrecht unterliegenden Kreise und Städte, »Weißer Kreis« werden. Um die befürchteten negativen Auswirkungen dieser über kurz oder lang unvermeidlichen Liberalisierung des Wohnungsmarkts abzudämpfen, wurde ein massiver Wohnungsneubau zur möglichst schnellen Verringerung des Wohnungsmangels als probates Mittel angesehen und in die Tat umgesetzt.
BlattanfangNächstes Blatt

   26   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Sozialer Wohnungsbau in West-Berlin

Im Zentrum des öffentlichen Interesses standen dabei drei Großsiedlungen, die entsprechend der seit Anfang der sechziger Jahre dominierenden städtebaulichen Grundvorstellung (»Urbanität durch Verdichtung und Verflechtung«) von 1962/63 bis zur Mitte der siebziger Jahre als »Trabantenstädte« am Stadtrand entstanden. Es handelte sich um das Großvorhaben »Britz-Buckow-Rudow« (BBR) - seit 1972 offiziell als »Gropiusstadt« bezeichnet - im Bezirk Neukölln, das »Märkische Viertel« in Reinickendorf und die Siedlung »Falkenhagener Feld« in Spandau. Mit fast 19 000 Wohneinheiten (Gropiusstadt), 17 000 Wohneinheiten (Märkisches Viertel) und rund 11 500 Wohneinheiten (Falkenhagener Feld) erreichten diese neuen Stadtteile eine Größenordnung, die über die Dimensionen des bisherigen Wohnsiedlungsbaus weit hinausging. Die Wohnungen wurden überwiegend in Hochhäusern untergebracht, die großenteils mit vorgefertigten Großtafeln erbaut wurden, im Einzelnen aber durchaus differenziert gestaltet waren.
     So sehr sie auch das architektonische und städtebauliche Interesse auf sich zogen, es entfielen auf diese drei Großsiedlungen doch nur etwa 18 Prozent des gesamten Wohnungsbaus in West-Berlin während ihrer Bauzeit von 1962 bis 1975. Der weitaus größte Teil des

Wohnungsneubaus erfolgte hier in den sechziger und siebziger Jahren im Form zahlloser Einzelbauvorhaben und Kleinprojekte sowie von Wohnsiedlungen und -anlagen kleinerer und mittlerer Dimension. Zu letzteren zählten zum Beispiel die Siedlung am Zabel-Krüger-Damm in Reinickendorf (ca. 2 200 Wohnungen, erbaut 1966-1971), die Neubebauung um den Mehringplatz mit ca. 1 500 Wohnungen (1967-1975), die Thermometersiedlung in Lichterfelde mit etwa 2 700 Wohnungen (1968-1974), die Hochhaussiedlung am Tirschenreuther Ring in Marienfelde mit etwa 2 500 Wohnungen (1968-1974), die Rudolf-Wissell-Siedlung nördlich der Heerstraße in Spandau mit 3 400 Wohnungen (1963-1977) und das spektakuläre Projekt der Überbauung der Stadtautobahn in Wilmersdorf an der Schlangenbader Straße (1976-1981, 1 215 Wohnungen).
     Diese Wohnanlagen wurden weitestgehend im rechtlichen Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet, wie überhaupt fast 90 Prozent aller von 1962 bis 1990 fertiggestellten Westberliner Wohnungen als Sozialwohnungen gebaut wurden, das heißt als öffentlich geförderte Wohnungen mit bestimmten Miet-, Bezugs- und Gestaltungsbindungen. Aus dem System des sozialen Wohnungsbaus erwuchsen dabei seit den sechziger Jahren mehrere grundsätzliche Probleme, die in den folgenden Jahrzehnten an Schärfe zunahmen.
BlattanfangNächstes Blatt

   27   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt

Hochhäuser am Dannenwalder Weg im Neubaugebiet Märkisches Viertel im Bezirk Reinickendorf, Ortsteil Wittenau
Schon früh zeigte sich zum Beispiel das so genannte Fehlbelegungsproblem. Damit war die Tatsache gemeint, dass immer mehr Sozialwohnungsmieter bzw. -haushalte die Einkommensgrenzen des sozialen Wohnungsbaus deutlich überschritten, die sie zum Zeitpunkt ihres Wohnungsbezugs noch eingehalten hatten - womit die Subventionierung der entsprechenden Sozialwohnungen de facto zu einer »Fehlsubventionierung« wurde.
     Auch die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus bereitete wegen der steigenden Baukosten zunehmende Schwierigkeiten. Vom Wohnungsbauprogramm 1969 an wurde
das Förderungssystem daher von der Kapitalsubventionierung (Vergabe öffentlicher Baudarlehen) auf die so genannte Ertrags- oder Lastensubventionierung umgestellt, das heißt auf die staatliche Subventionierung derjenigen finanziellen Lasten, die sich für die Bauherren aus den auf dem Kapitalmarkt aufgenommenen Hypothekendarlehen ergaben. Mittel- und langfristig führte diese Förderungsmethode aber durch die Kumulation der eingegangenen Zahlungsverpflichtungen und sich als notwendig erweisende Anschlussfinanzierungen zu einer ständig wachsenden Belastung des Westberliner Landeshaushalts.
BlattanfangNächstes Blatt

   28   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Die vor allem seit Anfang der siebziger Jahre explosionsartig ansteigenden Kostenmieten kamen verschärfend hinzu.
     Der Gesamtbetrag der öffentlichen Förderung des Wohnungsbaus in West-Berlin lässt sich für den Zeitraum von 1961 bis 1990 auf eine Größenordnung von etwa 34 Milliarden DM beziffern.
     Seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde der soziale Wohnungsbau - und damit der Wohnungsbau insgesamt - stark reduziert. Man erwartete nämlich im Westteil der Stadt, bedingt durch den kontinuierlich wachsenden Wohnungsbestand bei gleichzeitig rückläufiger Bevölkerungszahl, spätestens für die achtziger Jahre einen - jedenfalls global - ausgeglichenen Wohnungsmarkt und befürchtete größere Wohnungsleerstände, würde der Wohnungsneubau in dem bisherigen hohen Umfang fortgeführt werden.

Plattenbauten dominieren im Ostteil

Im Ostteil Berlins war dagegen der gesamte Wohnungssektor in der Ära Ulbricht bis Anfang der siebziger Jahre eher stiefmütterlich behandelt worden. Die Wohnungsbauzahlen blieben in den sechziger Jahren nicht nur absolut, sondern auch in Relation zur Einwohnerzahl weit hinter den Westberliner Produktionsziffern zurück.

Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Ostberliner Neubauwohnungen in diesem Jahrzehnt bereits zu 70 bis 80 Prozent im Montagebau errichtet wurden und die »Typenprojektierung« zum entscheidenden Merkmal der sozialistischen Industrialisierung des Bauens geworden war. In verschiedenen Block-, Streifen-, Großtafel- und vor allem Plattenbauweisen wurden Wohnungsbautypen mit Bezeichnungen wie Q3A, QX, QP, P2 und WHH GT entworfen und gebaut.
     So erfolgte auch die Bebauung des westlichen Teils der Karl-Marx-Allee (bis 1961: Stalinallee) zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz in Großplattenbauweise. Von 1959 bis 1965 entstanden hier etwa 4 700 Wohneinheiten. Weitere größere Wohnviertel wurden im Bezirk Lichtenberg errichtet: das Hans-Loch-Viertel von 1963 bis 1967 (4 300 Wohneinheiten) und das Wohngebiet am Tierpark von 1968 bis 1972 (5 000 Wohneinheiten). Erwähnenswert sind ferner die Wohnbebauung am Leninplatz (jetzt: Platz der Vereinten Nationen) mit ca. 1 200 Neubauwohnungen (1968-1970) und die Bebauung der Fischerinsel im Bezirk Mitte. Hier ging der völligen Neubebauung mit ca. 1 500 Wohnungen (1967-1973) im Jahr 1965 der Abriss des im Zweiten Weltkrieg großenteils verschont gebliebenen alten Fischerkiezes voraus.
BlattanfangNächstes Blatt

   29   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Für alle seit Anfang der sechziger Jahre errichteten Wohngebiete galt die gesetzlich vorgeschriebene Konzeption des »komplexen Wohnungsbaus«, wonach parallel zum Bau der Wohngebäude auch die notwendigen Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Kinderkrippen und -gärten, Ambulatorien, Handels-, Dienstleistungs- und Gastronomieeinrichtungen sowie Sport- und Spielplätze zu schaffen waren.
     Im Jahr 1973 kündigten Erich Honecker, seit 1971 Nachfolger von Walter Ulbricht als Erster Sekretär des ZK der SED, und Bauminister Wolfgang Junker die »Lösung der Wohnungsfrage« in der DDR bis 1990 als sozialpolitisches Großvorhaben der SED an, das durch den Neubau bzw. die Modernisierung von 2,8 bis 3 Millionen Wohnungen verwirklicht werden sollte. Über die sachpolitische Notwendigkeit hinaus, die nach wie vor sehr ungenügende Wohnraumversorgung der DDR zu verbessern, war dieses groß dimensionierte politische Vorhaben als »einer der zentralen Legitimationspfeiler des sozialistischen Systems konzipiert«. Es war »ein letztes Mittel der Staatspartei gegen den fortschreitenden Akzeptanzverlust in der Bevölkerung«.
     Der industrialisierte staatliche Wohnungsbau mit seinen hohen jährlichen Fertigstellungsziffern sollte der schwindenden »Motivations- und Bindekraft« des sozialistischen Gesellschaftsmodells à la DDR entgegenwirken und wurde »rhetorisch zum grundlegenden Beweis des Systemvorsprungs aufgewertet«.
Grundsätzlich standen Quantitätsziele im Vordergrund: »Unser Wohnungsbau ist Massenwohnungsbau, und die Aufgabe der Architekten, Städtebauer und aller Bauschaffenden besteht in der bedingungslosen Verwirklichung der quantitativen Ziele.«

Ost-Berlin wird Großbaustelle

Der Massenwohnungsbau der DDR war Montagewohnungsbau. In Ost-Berlin wurden insgesamt etwa 273 000 Wohnungen in Montagebauweise errichtet, die seit 1973 als fast ausschließliche Baumethode zur Anwendung kam. Von 1962 bis 1990 entstanden hier ca. 93 Prozent der Neubauwohnungen bzw. etwa 85 Prozent aller fertiggestellten Wohnungen im Montagebau, während in West-Berlin von 1964 bis 1990 nur etwa 15 Prozent aller bewilligten Sozialwohnungen im Fertigteilbau erstellt wurden.
     Der Ostberliner Wohnungsbau der siebziger und achtziger Jahre wurde dominiert durch den Plattenbautyp WBS 70 (»Wohnungsbauserie 70«), der bei weit mehr als 100 000 Neubauwohnungen zum Einsatz kam. Gegenüber früheren Plattenbauweisen wies er eine Reihe technischer Vorteile wie geschosshohe Großplatten, eine höhere Laststufe, dreischichtige Außenwandplatten und stark vereinheitlichte Gebäudeabmessungen auf. Zugleich ermöglichte er aber eine größere Vielfalt der Einzelelemente und konnte auch beim Bau von Gemeinschaftseinrichtungen eingesetzt werden.

BlattanfangNächstes Blatt

   30   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Christine Hannemann hat die seit 1972 gebauten Wohnungstypen der WBS 70 in die Tradition der Diskussion der zwanziger Jahre über die »Wohnung für das Existenzminimum« gestellt. Das »Prinzip« ihrer Entwicklung sei »die eindeutige Nutzungszuweisung der Räume entsprechend den notwendigen Möbelstellflächen und den Bewegungsabläufen beim Wohnen« gewesen. Überhaupt beruhten die im staatlichen Wohnungsbau verwendeten Grundrisstypen auf dem »Konzept der Kleinfamilie in der Kleinstwohnung, zusammengefasst in sozialistischen Wohnkomplexen, die nach dem Prinzip der Funktionstrennung strukturiert waren«.
     Im Rahmen des 1973 beschlossenen Wohnungsbauprogramms der DDR als dem »Kernstück« der SED-Sozialpolitik räumte die Partei Ost-Berlin eine privilegierte Stellung ein. Um die Hauptstadt der DDR zu einer »sozialistischen Metropole« auszubauen, wurde sie bevorzugt mit bauwirtschaftlicher Kapazität versorgt. Auf der XII. SED-Bezirksdelegiertenkonferenz im März 1976 wurden die Maßnahmen zur »Lösung der Wohnungsfrage« in Ost-Berlin dahin gehend konkretisiert, dass »bis 1990 alle Wohnungen in einen guten baulichen Zustand zu versetzen [...], 200 000 bis 230 000 Wohnungen neu zu bauen und rund 100 000 Wohnungen zu modernisieren« seien.
     Um dieses Ziel zu erreichen, beschränkte man sich nicht auf die Leistungsmöglichkeiten
des Wohnungsbaukombinats Berlin, sondern zog zusätzliche Baubrigaden aus allen Teilen der DDR heran: »Berlin wurde zur Großbaustelle, auf der in großem Umfang Bauarbeiter aus anderen Bezirken der DDR eingesetzt wurden - im Jahre 1985 nicht weniger als 26 000«.
     Der weit überwiegende Teil des Ostberliner Massenwohnungsbaus konzentrierte sich am östlichen Stadtrand. 15 Jahre nach dem Baubeginn der großen Westberliner Stadtrandsiedlungen begannen die Baumaßnahmen in Marzahn, das zur größten Wohnsiedlung in ganz Deutschland werden sollte. Von 1977 bis 1990 entstanden hier 59 200 Wohneinheiten. Damit übertraf diese Megasiedlung die Summe aller Wohnungen in den drei größten Westberliner Siedlungen noch um mehr als 10 000. In unmittelbarer Nähe zu Marzahn wurden seit 1979 bzw. 1981 zwei weitere Großsiedlungen gebaut: In Hohenschönhausen und Hellersdorf entstanden bis zu Wiedervereinigung Berlins weitere 37 100 bzw. 42 400 Wohneinheiten. Insgesamt wurden damit etwa drei Viertel der Neubauwohnungen bzw. 70 Prozent aller Wohnungen, die von 1977 bis 1990 in Ost-Berlin fertiggestellt wurden, in diesen drei riesigen Stadtrandsiedlungen errichtet. Ihre 410 000 Bewohner machten 1990 fast ein Drittel der Ostberliner Bevölkerung aus.
     Diese Siedlungen mit ihren WBS-70-Bauten wurden zu Synonymen für die Plattenbauweise, für »die Platte« schlechthin.
BlattanfangNächstes Blatt

   31   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
1 Neubauwohnungen, instand gesetzte bzw. ausgebaute Wohnungen, Umbauwohnungen, Rekonstruktionswohnungen
2 Durch die Errichtung neuer Gebäude und Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden fertiggestellte Wohnungen
3 Bezogen auf die jahresdurchschnittliche Bevölkerungszahl
BlattanfangNächstes Blatt

   32   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Anordnung der meist länglichen Baukörper erfolgte überwiegend in der Weise, dass sich abgewinkelte, mäanderartige oder Großinnenräume bildende Bebauungsformen ergaben. Auch Scheiben- und Punkthochhäuser wurden errichtet. Die Geländehöhe lag meistens bei 5, 6, 11, 18 oder 21 Geschossen.
     Zwar war die Ost-Berliner Wohnungsbauentwicklung in der Ära Honecker durch die Stadterweiterung im Osten geprägt, es gab aber in den siebziger und achtziger Jahren auch einige innenstadtnähere und weniger gigantische Bauprojekte. Dazu zählte als besonders prominentes Beispiel die 1970 bis 1979 erfolgende Bebauung der Leipziger Straße mit Wohnhochhäusern, die städtebaulich gegen das an der West-Berliner Kochstraße direkt an der Mauer gelegene Hochhaus des Springer-Verlages gerichtet waren. Sie umfassten in bis zu 25 Geschossen etwa 2 000 Wohneinheiten. Auf zusammen ca. 15 500 Wohnungen brachten es drei Einzelwohngebiete, die von 1972 bis 1986 am Fennpfuhl im Bezirk Lichtenberg errichtet wurden. Vier weitere Wohnanlagen entstanden an der Straße Am Tierpark (1974-1982, 3 400 Wohnungen), in Friedrichsfelde-Ost (1978-1981, 2 200 Wohnungen), an der Straße der Befreiung bzw. Alt-Friedrichsfelde (Süd) (1979-1983, 2 800 Wohnungen) und am Ernst-Thälmann-Park im Bezirk Prenzlauer Berg (1983-1986, ca. 1 300 Wohnungen).
     Der ostdeutsche Architekturhistoriker Thomas Topfstedt hat über das große Wohnungsbauprogramm der späten DDR
ein vernichtendes Urteil gefällt: »Der Preis für die damals unter harten Material- und Energiesparzwängen installierte gigantische Wohnungsneubaumaschinerie war ein rapider Verfall der Altbausubstanz und ein allgemeiner Niedergang der Baukultur ... .«
     Dazu kam neben dem außerordentlichen volkswirtschaftlichen Aufwand für das Bauprogramm die laufende hohe Subventionierung der Mieten, was zu einer enormen Belastung und Verschuldung des Staatshaushalts führte. Zwar wurde auch der Westberliner Haushalt durch die Subventionierung der Sozialwohnungen seit den siebziger Jahren in zunehmendem Maße belastet, im Osten führte diese Art der staatlichen Kostenübernahme aber zu fast nicht mehr beherrschbaren finanziellen Dimensionen.
     Ende der achtziger Jahre lag die Mietbelastungsquote in der DDR bei lediglich 2 bis 4 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens von Arbeiter- und Angestelltenhaushalten (plus 1,4 bis 1,9 Prozent Nebenkostenanteil für Strom, Gas, Wasser und Heizung). Das Wohnungswesen wies mit einer Zunahme der staatlichen Zahlungen von 2,1 auf 16 Milliarden Mark von 1971 bis 1988 den stärksten Anstieg aller Subventionsbereiche der DDR auf. In diesem Finanzierungs- und Mietensystem waren die Wohnungsbauinvestitionen wegen der geringen, bei weitem nicht Kosten deckenden Neubaumieten »praktisch nie rückzahlbar«.
BlattanfangNächstes Blatt

   33   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Altbausanierung setzt sich langsam durch

Was den Altbauwohnungsbestand anging, so war dieser in der DDR und Ost-Berlin während der Ära Ulbricht sehr vernachlässigt worden. In West-Berlin begann man dagegen mit der städtebaulichen Sanierung einzelner Mietskasernenviertel bereits am Anfang der sechziger Jahre. Da es Vorbilder hierfür in Westdeutschland nicht gab, orientierte sich die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen an den entsprechenden Erfahrungen in US-amerikanischen Großstädten. Bundeswohnungsbauminister Lücke betonte die antikommunistische Komponente der Westberliner Sanierung: »Bei der Stadterneuerung gerade Berlins geht es zwar gewiß darum, die Funktion des Gemeinwesens >Stadt< zu erhalten und zu verbessern - aber nicht nur darum. Letztlich geht es darum, entlang der Mauer, also angesichts des Bildes eines menschenverachtenden Systems die Grundwerte unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sichtbar zu machen, glaubhaft zu machen, indem wir sie mit dem Mittel des Städtebaues praktizieren.«
     Für die großmaßstäbliche Inangriffnahme der Stadterneuerung in West-Berlin war neben dieser systempolitischen Funktion vor allem auch eine bauwirtschaftliche Überlegung von Bedeutung: Da mittelfristig mit einem kontinuierlichen Rückgang des Wohnungsneubaus gerechnet wurde, sollten die dadurch frei werdenden

bauwirtschaftlichen Kapazitäten in die Sanierungsgebiete verlagert werden.
     Im Jahr 1963 verkündete der Regierende Bürgermeister Willy Brandt das erste groß angelegte Stadterneuerungsprogramm, das sechs ausgewählte Gebiete mit insgesamt 56 000 sanierungsbedürftigen Wohnungen in den Westberliner Innenbezirken umfasste. Die beiden mit Abstand größten Gebiete mit jeweils etwa 16 000 Wohnungen befanden sich an der Brunnenstraße im Bezirk Wedding und in Kreuzberg im Bereich um Wassertor-, Oranien- und Mariannenplatz. Mitte der siebziger Jahre kamen im Rahmen eines zweiten Stadterneuerungsprogramms weitere Sanierungsgebiete mit etwa 50 000 sanierungsbedürftigen Wohnungen hinzu.
     Bis weit in die siebziger Jahre hinein wurde die Westberliner Stadtsanierung fast ausschließlich nach der Methode des großflächigen Totalabrisses der Altbauten mit nachfolgender Neubebauung durchgeführt. Diese »Kahlschlagsanierung« wurde seit Mitte des Jahrzehnts zum Teil durch die Prinzipien der Block-»Entkernung« und »durchgreifenden Modernisierung« abgelöst. Die entscheidende Umorientierung in der Sanierungspolitik fand aber erst zu Beginn der achtziger Jahre statt, als der neue CDU-Senat und alle Westberliner Parteien die Konzeption der »behutsamen Stadterneuerung« übernahmen, die im Bezirk Kreuzberg durch die so genannte Altbau-IBA (Bereich »Stadterneuerung« der Internationalen Bauausstellung) entwickelt worden war.
BlattanfangNächstes Blatt

   34   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Im Rahmen dieser Umorientierung - und aus finanziellen Gründen - wurden die Sanierungsgebiete verkleinert und eine generell kleinteiligere Durchführung der Stadterneuerung beschlossen.
     Zu dieser Wende in der offiziellen Stadterneuerungspolitik war es vor allem auch unter dem Eindruck der Besetzung vieler entmieteter, für eine Sanierung vorgesehener Wohnhäuser gekommen: Die ersten leer stehenden Häuser waren 1979 in Kreuzberg besetzt worden, in ganz West-Berlin waren zeitweise etwa 165 Häuser von solchen »Instandbesetzungen« betroffen. Die politische Krise um die Hausbesetzungen verschärfte die Krise um die immer schwerfälliger werdende Sanierungspolitik des SPD/ FDP-Senats und trug entscheidend zu seinem Sturz und der Ablösung durch einen CDU-Senat im Juni 1981 bei.
     Bereits fünf Jahre zuvor hatte SPD-Bausenator Harry Ristock grundlegende Änderungen der Wohnungsbaupolitik insgesamt vorgenommen: Anstelle der bisherigen Großprojekte in den Außenbezirken oder auf Kleingartengelände erfolgte seit 1976 eine Hinwendung zur Innenstadt, die Verwirklichung kleiner und mittlerer Bauprojekte und eine verstärkte Förderung von Sanierungs-, Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten. Abgesehen von der veränderten Sanierungskonzeption und einer etwas stärkeren Förderung von Eigentumsmaßnahmen behielten die CDU-Bausenatoren der achtziger Jahre Ristocks baupolitische Leitlinien im Wesentlichen bei.
Sie brachten auch die von Ristock initiierte Internationale Bauausstellung Berlin (IBA) zu einem erfolgreichen Ende: Im Hauptausstellungsjahr 1987 demonstrierte die IBA mit ihren beiden Bereichen »Stadtneubau« und »Stadterneuerung« ihre international beachteten baulichen Lösungen zum Thema »Innenstadt als Wohnort«.
     Das Volumen des Westberliner Wohnungsneubaus war in den achtziger Jahren sehr viel geringer als in den drei vorangegangenen Jahrzehnten. Ein verstärktes Interesse galt jetzt ökologischen Aspekten des Bauens und Wohnens und Verdichtungsbaumaßnahmen wie der Schließung von Baulücken, dem Ausbau von Dachgeschossen sowie Ergänzungsbauten und Aufstockungen in bestehenden Wohnsiedlungen.
     Im Unterschied zum parteipolitischen Wechsel in der Führung der Westberliner Stadtregierung blieb die DDR und damit Ost-Berlin bis 1989 faktisch allein von der SED beherrscht. Es existierte eine »vollständige Usurpation des Bauwesens durch die Partei, vermittelt durch die Abteilung Bauwesen des Zentralkomitees der SED«.
     Wie der Bau der großen Stadtrandsiedlungen in Ost-Berlin anderthalb Jahrzehnte später als im Westteil der Stadt begann, so nahm die östliche Staatspartei auch die Stadtsanierung erst mit einem Jahrzehnt Verzögerung im Vergleich zu West-Berlin in Angriff.
BlattanfangNächstes Blatt

   35   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Bis in die frühen siebziger Jahre waren keine nennenswerten Modernisierungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen am Ostberliner Altbauwohnungsbestand zu verzeichnen. Kahlschlagüberlegungen der SED - noch 1976 war der Abriss von 80 000 Wohnungen geplant - gewannen nur bei der Abräumung des Fischerkiezes konkrete Gestalt, während die Partei andererseits bereits 1973 den Grundsatz der »Einheit von Neubau, Modernisierung und Werterhaltung« verkündete.
     Im selben Jahr begann im Bezirk Prenzlauer Berg rund um den Arnimplatz und am Arkonaplatz, Bezirk Mitte, die als »komplexe Rekonstruktion« oder »komplexe Modernisierung« bezeichnete Ostberliner Stadterneuerung. Das Gebiet um den Arnimplatz umfasste etwa 8 300 Wohnungen (Arkonaplatz ca. 3 200 Wohnungen) und diente als Rekonstruktionsversuchsgebiet. Unter anderem ermittelte man hier, dass der finanzielle Aufwand für die Rekonstruktion nur etwa halb so hoch war wie der so genannte Ersatzneubauaufwand bei Abriss und Neubebauung.
     Es war hauptsächlich dieser ökonomische Grund, der in Verbindung mit dem Termin- und Realisierungsdruck des Wohnungsbauprogramms eine relativ geringe Abrissquote bei der Ostberliner Sanierung zur Folge hatte (während andererseits der Totalabriss ganzer Straßenzüge und Altbauviertel bei der Westberliner Sanierung primär auf städtebauideologische Ursachen zurückzuführen war).
Weitere großräumigere Rekonstruktionsgebiete entstanden an der Frankfurter Allee, in der Spandauer Vorstadt, an der Wilhelm-Pieck-Straße (heute: Torstraße) und beiderseits der Husemannstraße im Bezirk Prenzlauer Berg. Im weit überwiegenden Teil der Ostberliner Altbaugebiete unterblieb allerdings die bereits seit langem überfällige Sanierung bis zum Ende der DDR, weil die staatlichen Mittel nicht ausreichten, um Stadterweiterung durch Neubau und Stadterneuerung durch Rekonstruktion in ausreichendem Maße durchführen zu können.

Lösung der Wohnungsfrage weit entfernt

Die politischen Auswirkungen der Sanierungsproblematik waren in Ost und West ganz unterschiedlich. In West-Berlin führte die Krise der Stadterneuerung zu den Hausbesetzungskonflikten und damit zu einer politischen Krise, womit sie beschleunigend zum Senatswechsel 1981 beitrug. Wohnungspolitische und allgemeinpolitische Krise konnten aber im Rahmen des bestehenden parlamentarischen politischen Systems gelöst werden. Anders dagegen in Ost-Berlin. Hier trugen der jahrzehntelange Verfall der Altbausubstanz und die trotz der späten Rekonstruktionsbemühungen insgesamt völlig unzureichende Sanierung maßgeblich zum Legitimationsschwund des leistungsschwachen sozialökonomischen und politischen Systems und damit zu dessen Untergang bei.

BlattanfangNächstes Blatt

   36   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
     Von einer wirklichen »Lösung der Wohnungsfrage« im Sinne einer Wohnraumversorgung, die in idealer Weise alle Bürger in quantitativer und qualitativer Hinsicht zufrieden stellt, waren sowohl Ostals auch West-Berlin zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung der Stadt weit entfernt. In Ost-Berlin waren Ende 1990 nicht weniger als 97 000 Wohnungsuchende registriert, die Altwohngebäude befanden sich größtenteils in schlechtem bis sehr schlechtem baulichen Zustand, und die Neubauwohnungen wiesen sehr knapp bemessene Wohnflächen auf. In West-Berlin gab es Ende 1990 sogar 140 000 Wohnungsuchende, und das Schlagwort von einer »neuen Wohnungsnot« machte die Runde, da sich der Graben zwischen Wohnungsangebot und -nachfrage infolge einer starken Bevölkerungszunahme bei gleichzeitig sehr schwacher Wohnungsbautätigkeit seit Mitte der achtziger Jahre wieder aufgetan hatte.
     War die baupolitische Initiative in den fünfziger Jahren mit der auch propagandistisch stark herausgestellten Bebauung der Stalinallee zunächst von Ost-Berlin ausgegangen und hatte West-Berlin mit der Interbau 1957 und dem Hansaviertel hierauf lediglich reagiert, so vollzog Ost-Berlin die beiden herausragenden Westberliner Wohnungsbau-Entwicklungen der sechziger Jahre,
nämlich den Großsiedlungsbau am Stadtrand und die Sanierung von Mietskasernenvierteln, seinerseits erst in den siebziger Jahren nach, und das hieß: mit einer Verspätung von 10 bis 15 Jahren. Reaktiv verhielt sich die Ost-Teilstadt auch hinsichtlich der Westberliner Initiative einer weiteren Internationalen Bauausstellung (IBA 1984/1987), die seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in Planung war. Ihr hat man im Jahr 1987 zum 750-jährigen Stadtjubiläum eine bloß theoretische »Bauausstellung der DDR« in der Dynamo-Sporthalle entgegengesetzt, daneben allerdings auch einige konkrete Sondervorhaben wie den Aufbau des zentral gelegenen Nikolaiviertels (1980-1987).
     Insgesamt ging die wohnungsbau-politische Initiative mit den sechziger Jahren auf West-Berlin über. Das in den siebziger Jahren von der SED beschlossene, prestigebehaftete Wohnungsbau-Großprogramm der DDR stellte dann zwar gerade auch für Ost-Berlin einen enormen bauwirtschaftlichen Kraftakt dar, ist aber in wohnungs-politischer Gesamtsicht als fast schon verzweifelte Reaktion zu werten - als Reaktion sowohl auf den mittlerweile beträchtlichen Wohnungsversorgungs-Vorsprung West-Berlins als auch auf den zunehmenden Verfall großer Teile des eigenen Wohnungsbestands.
BlattanfangNächstes Blatt

   37   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Dieses Programm war rein mengenmäßig sehr erfolgreich. Mit 207 000 fertiggestellten Neubauwohnungen wurde das selbst gesteckte anspruchsvolle Ziel (200 000 bis 230 000 neue Wohnungen) im Zeitraum von 1976 bis 1990 tatsächlich erreicht. Es verbesserte die Wohnverhältnisse für - grob geschätzt - die Hälfte der Ostberliner Einwohner, die eine modern ausgestattete »Vollkomfort«-Neubauwohnung beziehen konnten. Da zudem die Mieten sehr niedrig waren und sich eine hohe Wohnzufriedenheit der sozial breit gemischten Bewohnerschaft einstellte, kann insoweit der »komplexe Wohnungsbau« im Ost-Berlin der siebziger und achtziger Jahre »als im Sinne des Sozialismus geglückt bezeichnet werden«. Er war andererseits aber mit gravierenden Nachteilen behaftet: Die bauwirtschaftliche Privilegierung Ost-Berlins bedeutete gleichzeitig eine erhebliche bauliche Benachteiligung der übrigen Bezirke der DDR. (Im Verhältnis von West-Berlin zum Bundesgebiet gab es kein entsprechendes Ungleichgewicht.)
     Trotz der Rekonstruktionsbemühungen seit den frühen siebziger Jahren wurde der Ostberliner Altbaubestand insgesamt stark vernachlässigt. (Die Westberliner Stadterneuerung setzte früher ein und war umfangreicher als im Ostteil der Stadt.) Die »Erzeugnisse« der Wohnungsproduktion wurden ganz überwiegend in architektonisch und städtebaulich unbefriedigenden Groß- und Megasiedlungen hergestellt,
deren Gestaltung vor allem durch die Taktstraßen und den Radius der Baukräne bedingt war. (Auch in West-Berlin brachte der Bau von Großsiedlungen zahlreiche Probleme mit sich. Diese Siedlungen hatten aber eine geringere Dimensionierung und großenteils eine abwechslungsreichere Gestaltung, wie überhaupt der Westberliner Wohnungsbau eine insgesamt größere städtebauliche Differenzierung aufwies.) Die bautechnische Qualität des Plattenwohnungsbaus wurde im Laufe der Zeit immer mangelhafter. (In West-Berlin spielte der Fertigteil-Wohnungsbau stets nur eine untergeordnete Rolle.)
     Die Priorität des für die SED auch politisch-propagandistisch außerordentlich wichtigen Wohnungsbauprogramms führte wegen der beschränkten Baukapazitäten zu erheblichen Investitionseinschränkungen beim Industrie-, Verkehrs- und Versorgungsbau sowie bei Baumaßnahmen im Gesundheitswesen. (In West-Berlin gab es keine einseitige Ausweitung des Wohnungsbaus auf Kosten der übrigen baulichen Notwendigkeiten.)
     Die Größe der Neubauwohnungen ließ zu wünschen übrig, denn erstens war die Wohnfläche je Wohneinheit gering, zweitens wurden nicht genügend Kleinwohnungen für die stark wachsende Zahl der Einpersonenhaushalte gebaut. (In West-Berlin war die durchschnittliche Wohnfläche der Neubauwohnungen seit Mitte der siebziger Jahre stets sehr viel höher als in der östlichen Teilstadt.)
BlattanfangNächstes Blatt

   38   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
     Abschließend seien die wichtigsten Ergebnisse der Wohnungsbautätigkeit in beiden Teilen Berlins, wie sie in der Zeit vom Mauerbau bis zur Wiedervereinigung zustande kamen, anhand einiger zentraler statistischer Daten charakterisiert.
     Wie sich aus der Tabelle auf Seite 33 ergibt, wurden von 1962 bis 1990 in Ost-Berlin reichlich 304 000 Wohnungen und in West-Berlin knapp 386 000 Wohnungen fertiggestellt. Damit entfielen ca. 44 Prozent der in dieser Zeit in der Gesamtstadt errichteten Wohneinheiten auf Ost-Berlin (bei einem zwischen etwa 33 und 39 Prozent schwankenden Bevölkerungsanteil).
     Diese Gesamtzahlen verdecken allerdings die Tatsache, dass der betrachtete Zeitraum hinsichtlich der Wohnungsbautätigkeit in zwei sehr unterschiedliche Hälften zerfällt. Bis zur Mitte der siebziger Jahre waren die Fertigstellungsziffern je 10 000 Einwohner im Westteil der Stadt deutlich höher als im Ostteil. Anschließend war es dann umgekehrt, wobei die Fertigstellungsziffern in Ost-Berlin seit Ende der siebziger Jahre - wegen des angelaufenen Plattenbau-Großprogramms und der zur gleichen Zeit stark reduzierten Westberliner Wohnungsbauprogramme - die entsprechenden Ziffern für die westliche Teilstadt um ein Mehrfaches übertrafen. Während von 1962 bis 1975 mit etwa 97 000 Wohnungen nur ca. 27 Prozent aller in der Gesamtstadt gebauten Wohnungen auf Ost-Berlin entfielen (West-Berlin: ca. 264 000 Wohnungen), waren es von 1976 bis 1990
mit etwa 207 000 Wohnungen ca. 63 Prozent (West-Berlin: nur ca. 121 000 Wohnungen).
     In West-Berlin entstanden im Untersuchungszeitraum knapp 90 Prozent aller Wohnungen in den verschiedenen Förderungswegen des sozialen Wohnungsbaus und deutlich über 80 Prozent als Mietwohnungen. Es wurden jährlich etwa die Hälfte bis vier Fünftel der Westberliner Wohnungen von Wohnungsunternehmen und sonstigen Unternehmen erstellt, wobei die seit den fünfziger Jahren dominierenden gemeinnützigen Wohnungsunternehmen seit Ende der siebziger Jahre als Bauherrengruppe stark an Bedeutung verloren. Der Anteil privater Haushalte schwankte je nach Jahr zwischen 14 und 47 Prozent, während öffentliche Bauherren beim Westberliner Wohnungsbau keine nennenswerte Rolle spielten.
     In Ost-Berlin wurden dagegen fast zwei Drittel aller Neubauwohnungen im »volkseigenen«, also staatlichen Wohnungsbau errichtet und ein weiteres knappes Drittel im genossenschaftlichen Wohnungsbau, sodass nur 1,6 Prozent der Neubauwohnungen im individuellen, das heißt privaten Wohnungsbau entstanden. Dies trug entscheidend dazu bei, dass der Anteil des privaten Wohnungsbestands in Ost-Berlin von 75 Prozent (1960) auf 24 Prozent (1989) zurückging, während sich der Anteil des »volkseigenen« Wohnungsbestands gleichzeitig von 21 auf 59 Prozent erhöhte und derjenige des genossenschaftlichen Bestands von ca. 5 auf 17 Prozent zunahm.
BlattanfangNächstes Blatt

   39   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Die durchschnittliche Wohnfläche der in Ost-Berlin fertiggestellten Neubauwohnungen betrug in den sechziger Jahren 50 bis 59 Quadratmeter, in den siebziger und achtziger Jahren bewegte sie sich im Allgemeinen zwischen 57 und 65 Quadratmetern. Die neu gebauten Westberliner Wohnungen wiesen demgegenüber eine Durchschnittswohnfläche von 57 bis 66 Quadratmetern (sechziger Jahre), 63 bis 84 Quadratmetern (siebziger Jahre) und 78 bis 88 Quadratmetern (achtziger Jahre) auf.
     Als Ergebnis der skizzierten umfangreichen Wohnungsbautätigkeit vergrößerte sich der Ostberliner Wohnungsbestand um etwa 205 000 Wohnungen, von 429 000 (1961) auf 634 000 Wohnungen (1990), und der Westberliner Bestand um etwa 220 000 Wohnungen, von 859 000 (1961) auf 1 079 000 Wohnungen (1990). Die durchschnittliche Wohnfläche der vorhandenen Wohnungen erhöhte sich in drei Jahrzehnten (1961-1990) von 53,3 auf 61,8 Quadratmeter in Ost-Berlin und von 56,4 auf 70,7 Quadratmeter im Westen Berlins. Die Verbesserung der Wohnungsversorgung drückte sich auch in der Veränderung des Wohnungsbesatzes aus: Im genannten Zeitraum stieg die Zahl der je 1 000 Einwohner vorhandenen Wohnungen von 419 auf 497 (Ost-Berlin) bzw. von 392 auf 500 (West-Berlin). Im Durchschnitt entfielen Ende 1990 auf jeden Ostberliner 30,7 Quadratmeter und auf jeden West-Berliner 35,4 Quadratmeter Wohnfläche.
     Durch die Vergrößerung des Wohnungsbestands konnte der Wohnungsmangel entscheidend verringert werden. Das Wohnungsdefizit als Differenz zwischen der Zahl der Haushalte und der Zahl der (Normal-) Wohnungen belief sich 1961 in West-Berlin noch auf 186 000, 1964 in Ost-Berlin nur noch auf ca. 50 000 Wohnungen. In West-Berlin sank das Defizit bis 1970 auf 66 000 Wohnungen und für 1979 ist hier bereits ein Angebotsüberhang von etwa 35 000 Wohnungen geschätzt worden. Dieser verwandelte sich allerdings bis 1987 wieder in einen Fehlbetrag von 6 000 Wohnungen, der sich bis 1990 wegen der Bevölkerungszunahme noch erhöht haben dürfte. In Ost-Berlin verringerte sich das Defizit bis 1970 auf knapp 5 000 und verwandelte sich bis 1981 in eine Wohnungsüberzahl von 21 600. Für 1990 ist geschätzt worden, dass die Zahl der Wohnungen die Zahl der Haushalte im Ostteil der Stadt um etwa 60 000 bis 70 000 übertraf, dass hier aber auch 23 000 Wohnungen wegen baulicher Schäden leer standen.
     Das ambitionierte und mit hoher politischer Priorität verfolgte Wohnungsbauprogramm der SED hatte also im östlichen Berlin, so lässt sich zusammenfassend feststellen, seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre nicht nur einen weitaus umfangreicheren Wohnungsneubau als im westlichen Berlin zur Folge, sondern auch einen beträchtlichen statistischen Wohnungsüberschuss.
BlattanfangNächstes Blatt

   40   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattNächstes Blatt
Trotz dieser außerordentlichen baupolitischen Anstrengung gelang es aber nicht, eine bessere Wohnraumversorgung als in West-Berlin zu erreichen, wo der bauliche und Ausstattungszustand des Altwohnungsbestands insgesamt deutlich besser war und blieb als in Ost-Berlin und wo jedem Einwohner zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung bei etwa gleichem Wohnungsbesatz im Durchschnitt 15 Prozent mehr Wohnfläche zur Verfügung standen, als es in Ost-Berlin der Fall war. Der Anteil des Wohnungsbaus (einschließlich Modernisierung und Instandsetzung) am gesamten Bauvolumen ist für den Zeitraum von 1950 bis 1990 auf ca. 40 Prozent im Westteil, aber nur 28 Prozent im Ostteil der gespaltenen Stadt veranschlagt worden.

Wichtige Literatur zum Thema:
- Dieter Hanauske, Die Berliner Wohnungspolitik in den 50er und 90er Jahren. Aus der Geschichte lernen?, Berlin 1993
- Christine Hannemann, Die Platte. Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, 2., durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin 2000
- Günter Peters, Kleine Berliner Baugeschichte. Von der Stadtgründung bis zur Bundeshauptstadt, Berlin 1995
- Wohnen in Berlin. 100 Jahre Wohnungsbau in Berlin (Ausstellungskatalog), Berlin 1999

1 Stenographischer Bericht des Abgeordnetenhauses von Berlin, 27. 9. 1962, S. 293 und 295
2 Berechnet nach: Wohnungsbau-Kreditanstalt Berlin, Geschäftsberichte für die Geschäftsjahre 1988, 1990, 1992

3 Vgl. Hartmut Kalleja, Von der Block- und Streifenbauweise zur Platte, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 31 (1992), S. 293-323; Großsiedlungen. Montagebau in Berlin (Ost) Bestandsaufnahme und Bewertung der industriell errichteten Wohngebäude. Hrsg.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (= Städtebau und Architektur, Bericht 8), Berlin 1992
4 C. Hannemann, Die Platte ..., S. 8 (Vorwort des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann); Hartmut Häußermann/ Walter Siebel, Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens, 2., korr. Aufl., Weinheim/ München 2000, S. 178
5 C. Hannemann, Die Platte ..., S. 95 f.
6 So der Magdeburger Stadtarchitekt Hans-Peter Kirsch; zit. nach: Bauwelt, Jg. 66 (1975), S. 118 Großsiedlungen ..., S. 32 u. 142
7 Die Prozentangaben sind geschätzt nach der Gesamtzahl der in Montagebauweise errichteten Wohnungen und der amtlichen Wohnungsbaustatistik (Ost-Berlin) bzw. den Tätigkeitsberichten der Wohnungsbau-Kreditanstalt Berlin für die Geschäftsjahre 1968-1977 und der amtlichen Bewilligungsstatistik (1973-1990) (West-Berlin)
8 C. Hannemann, Die Platte ..., S. 104 f.
9 Zit. nach: Hans Stimmann, Stadterneuerung in Ost-Berlin vom »sozialistischen Neuaufbau« zur »komplexen Rekonstruktion«. Überblick und Materialien, 2., unveränd. Aufl., Berlin (West) 1988, S. 29
10Rita Gudermann, Wohnungsbaupolitik und -finanzierung in Ost-Berlin 1949-1989, in: Wohnen in Berlin ..., S. 163
BlattanfangNächstes Blatt

   41   Probleme/Projekte/Prozesse Wohnungsbau in Ost und West  Voriges BlattArtikelanfang
- Die Zahlenangaben beruhen auf der amtlichen Statistik und Siegfried Kress, Die Gestaltbarkeit von Großsiedlungen in Plattenbauweise. Möglichkeiten und Grenzen, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 31 (1992), S. 328
- Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR. Dokumentation eines IRS-Sammlungsbestandes biographischer Daten (= REGIO-doc. Dokumentenreihe des IRS, Nr. 3), Erkner 2000, S. 20
- Helmut W. Jenkis, Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik in der DDR. Ein ordnungspolitischer und Effizienzvergleich, in: Kompendium der Wohnungswirtschaft. Hrsg. von Helmut W. Jenkis, München/ Wien 1991, S. 535 u. 537
- Werner Wolff, Bau- und Wohnungspolitik in der DDR, in: Berliner Bauwirtschaft, Jg. 41 (1990), S. 194
- Zit. nach: Berliner Bauwirtschaft, Jg. 16 (1965), S. 748 (die Kursivsetzungen im Original)
- C. Hannemann, Die Platte ..., S. 92
- H. Stimmann, Stadterneuerung in Ost-Berlin ..., S. 11
- Die Zahlen der Wohnungssuchenden nach: G. Peters, Kleine Berliner Baugeschichte ..., S. 249
- R. Gudermann, Wohnungsbaupolitik und -finanzierung ..., S. 181. - Auch die Programmzahl von 100 000 zu modernisierenden Wohnungen konnte von 1975 bis 1990 statistisch erfüllt werden; vgl. Statistisches Jahrbuch Berlin (Ost) 1990, S. 119
- Die Angaben beruhen außer auf der abgedruckten Tabelle auf den folgenden Quellenwerken: Statistisches Landesamt Berlin, Statistisches Jahrbuch, Jg. 1962 ff.; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik, Jg. 8 (1963) ff.; Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Jg. 1974 ff.;
 Statistisches Bundesamt, Fachserie E, Reihe 3 u. 4 ( Berichtsjahre 1962-1975), bzw. Fachserie 5, Reihe 1 u. 2 (Berichtsjahre 1976-1990); Statistisches Jahrbuch Berlin (Ost) 1990, S. 119; Statistisches Bundesamt, Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR, H. 2, 15 u. 20, Wiesbaden 1993-1995; Verband Berliner Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften e. V., Jahresbericht 1979/1980, S. 16-23; Günter Peters, Neues Denken im Städte- und Wohnungsbau in Berlin-Ost, in: Berliner Bauwirtschaft, Jg. 41 (1990), S. 138; Günter Peters, Gesamtberliner Stadtentwicklung von 1949 bis 1990. Daten und Grafiken (= Beihefte zum Projekt Geschichte des Berliner Mietshauses, Beiheft 3), Berlin 1992, S. 36-41 u. 54-59; Dieter Hanauske, »Bauen, bauen, bauen ...!« Die Wohnungspolitik in Berlin (West) 1945 - 1961, Berlin 1995, Statistischer Anhang

G. Peters, Kleine Berliner Baugeschichte ..., S. 249
Bildquellen: Repro Archiv Autor
Quellen Tabelle S. 33 : Spalte 3: Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik, Jg. 8 (1963) - 15 (1970), jeweils die Tabelle »Neugebaute und in Stand gesetzte (ausgebaute) Wohnungen [...]« (1962-1969); Statistisches Bundesamt, Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR.
Heft 2: Wohnungsbau und Wohnungsbestand 1970 bis 1990, Wiesbaden 1993, S. 6 u. 13 (1970-1990).
Spalte 6: Dieter Hanauske, »Bauen, bauen, bauen ...!« Die Wohnungspolitik in Berlin (West) 1945-1961, Berlin 1995, S. 1239, Tab. 5, Sp. 2 (1962-1975); Statistisches Landesamt Berlin, Statistisches Jahrbuch 1992, S. 325 (1976-1990). Spalten 2, 4, 5, 7 u. 8 vom Verf. berechnet.
BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
www.berlinische-monatsschrift.de