Reichskanzlerpalais

befand sich in Mitte (Friedrichstadt),
Wilhelmstraße 77 (heute: Nr. 93).

Das von C. F. Richter (1701–1766) 1738/39 gebaute Haus wurde 1875–1878 nach Plänen von Georg Joachim Wilhelm  Kontext: Neumann, Georg Joachim Wilhelm Neumann umgebaut und erweitert. Nach 1933 erfolgte ein erneuter Umbau sowie eine Neueinrichtung, die Paul Ludwig Troost (1878–1934), Gerdy Troost und Leonhard Gall (* 1884) besorgten. So entstand 1934/35 ein Saalbau mit einer darunter gelegenen Luftschutzanlage. An diesen Komplex anschließend, baute 1942 bis 1944 Carl Piepenburg zudem einen Luftschutzbunker ( Kontext: Führerbunker Führerbunker) mit der Sohle in 12 m Tiefe. Im II. Weltkrieg zerstört, wurde das R. 1949 abgetragen. Es handelte sich um einen Barockbau mit zurückgesetztem zweigeschossigem Mitteltrakt und zwei schmalen Flügeln um einen zur Wilhelmstraße offenen Ehrenhof. Anfänglich nach seinem Bauherrn und langjährigen Nutzer Palais Schulenburg genannt, hatte 1790 Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) das Wohnhaus gekauft und 1792 seiner zur linken Hand angetrauten Gemahlin Julie Wilhelmine Friderike Gräfin von Dönhoff geschenkt. Von 1796 bis 1875 im Besitz der Familie Radziwill, wurde das Palais nach Kauf durch das Reich 1875 für die Zwecke des mit Dienstwohnung ausgestatteten Reichskanzleramtes bis zum März 1878 umgestaltet und modernisiert. Seitdem bürgerte sich die Bezeichnung R. und Reichskanzlei ein, seit 1939 Alte Reichskanzlei. Zugleich war ein Arbeitszimmer für den Reichskanzler – bis 1890 Otto Fürst von  Kontext: Bismarck, Otto Eduard Leopold Fürst von Bismarck – angebaut worden. Dieses Zimmer wurde jedoch dann als Gesellschaftshalle verwendet, da der Kanzler einen anderen Raum wählte. Im Festsaal in der Mitte des Obergeschosses fand 1878 der Berliner Kongreß zur Regelung der Balkanprobleme statt, bei dem Bismarck die Vermittlerrolle übernahm. Von 1901 bis 1930 nutzten die Reichskanzler den ebenfalls 1878 angebauten kleinen Speisesaal als Arbeitszimmer. Von Oktober 1932 bis Mai 1933 diente das R. vorübergehend als Dienstwohnung des Reichspräsidenten Paul von Beneckendorff und von  Kontext: Hindenburg, Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg. 1934–1939 waren hier die Wohn- und Arbeitsräume von Adolf  Kontext: Hitler, Adolf Hitler. Zuvor hatten als Reichskanzler hier u. a. gearbeitet: der spätere Reichspräsident Friedrich  Kontext: Ebert, Friedrich sen. Ebert (mit dem Titel Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten), die Leiter mehrerer Kabinette der Weimarer Republik Hermann Müller (1876–1931), Joseph Wirth (1879–1956), Wilhelm  Kontext: Marx, Wilhelm Marx, Hans Luther (1879–1962), Heinrich Brüning (1885–1970), Franz von  Kontext: Papen, Franz von Papen. Durch das Grundstück führt jetzt die Straße An der Kolonnade. Eine Tafel der Stiftung Topographie des Terrors informiert über die Geschichte des R.

 

© Edition Luisenstadt, 2002
Stand: 19. Mrz. 2002
Berliner Bezirkslexikon, Mitte
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