LÄNDERFUSION / FUSIONSVERTRAG
(1995)
Am
5.5.1996 scheiterte die geplante Fusion der Länder Berlin und Brandenburg.
In einer Volksabstimmung über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes
Berlin-Brandenburg kam die gleichzeitige mehrheitliche Zustimmung in
beiden Ländern nicht zustande: Während in Berlin 53,4 Prozent
die Fusion bejahten (Berlin-West: 58,7 Prozent; Berlin-Ost 44,5 Prozent),
lehnten in Brandenburg 62,7 Prozent der Abstimmungsberechtigten die
Fusion ab. Die Abstimmungsbeteiligung der insgesamt 4 425 815 Abstimmungsberechtigten
lag in Brandenburg bei 66,6 und in Berlin bei 57,8 Prozent. Bei der
Beantwortung der Zusatzfrage "Soll das gemeinsame Land gebildet werden
im Jahr 1999 oder im Jahr 2002?" sprach sich die Mehrheit der Berliner
für 1999 aus, die Brandenburger stimmten überwiegend für
2002 (allerdings waren bei der Zusatzfrage in Brandenburg mehr als 45
Prozent der Stimmen ungültig, weil viele Fusionsgegner gänzlich
auf das Kreuz verzichtet hatten).
Im Falle der Zustimmung auch der Mehrheit der Wahlberechtigten in Brandenburg
im Volksentscheid am 5.5.1996 wäre ein neues Bundesland von ca.
30 000 km² (Berlin: 892, Brandenburg: 29 059 km²) entstanden, in dem
rund 6 Mill. Menschen (3,46 Mill. in Berlin und 2,55 Mill. in Brandenburg)
leben. Mit einem Bruttoinlandprodukt von etwa 180 Mrd. DM pro Jahr (Berlin
135, Brandenburg 47) wäre ein gemeinsames Land im Bund auf den
6. Platz (hinter Niedersachsen und vor Rheinland/Pfalz) vorgerückt.
Mit dem Ausgang der Abstimmung kam weder dies noch das von manchen Politikern
erhoffte und erwartete Signal für die Neuordnung der Länder
im übrigen Bundesgebiet zustande.
Der
höchste Anteil von Nein-Stimmen lag in folgenden Bezirken: |
Brandenburg:
Berlin: |
Frankfurt/Oder
Prignitz
Spree-Neiße
Potsdam
Ostprignitz-Ruppin
Oder-Spree
Hohenschönhausen
Marzahn
Hellersdorf
Mitte
Friedrichshain
Lichtenberg
Prenzlauer Berg |
66,9 %
65,5 %
65,2 %
65,2 %
63,8 %
63,1 %
62,7 %
59,6 %
58,0 %
56,0 %
55,6 %
54,7 %
53,7 % |
Den
höchsten Anteil von Ja-Stimmen hatten folgende Bezirke |
Brandenburg:
Berlin: |
Potsdam-Mittelmark
Teltow-Fläming
Havelland
Oberhavelland
Brandenburg/H
Zehlendorf
Steglitz
Wilmersdorf
Charlottenburg
Spandau
Schöneberg
Reinickendorf |
39,3 %
38,9 %
38,6 %
37,6 %
37,5 %
67,9 %
62,3 %
62,0 %
60,8 %
59,5 %
58,7 %
58,7 % |
Aber auch nach Altersgruppen zeigte das Abstimmungsverhalten große Unterschiede. Die Ja-Stimmen verteilten sich wie folgt (Prozent):
Alter |
Berlin |
Brandenburg |
18-24 25-34 35-44 45-59 60 J. und älter |
46 51 53 68 70 |
24 27 33 50 61 |
Quelle: Berliner Zeitung v. 7. Mai 1996, S.2
Beim Abstimmungsverhalten einzelner Berufsgruppen
fällt vor allem das Plädoyer der Selbständigen (Berlin:
68 Prozent, Brandenburg : 52 Prozent) und Rentner (Berlin: 69 Prozent,
Brandenburg: 59 Prozent) für die Länderfusion auf. Die geringste
Zustimmung war unter Arbeitern (Berlin: 51 Prozent, Brandenburg: 30 Prozent)
sowie Arbeitslosen (Berlin: 55 Prozent, Brandenburg: 35 Prozent) zu verzeichnen.
Dem Volksentscheid am 5.5.1996 war eine mehr
als fünfjährige Vorbereitung vorausgegangen. Wichtigste Schritte
waren dabei:
| Februar
1991: Das Berliner Abgeordnetenhaus beschließt, grundsätzlich
eine Fusion mit Brandenburg anzustreben; |
|
29.Februar 1992: Eine gemeinsame Regierungskommission zur Länderfusion
nimmt die Arbeit mit dem Ziel auf, bis Ende 1992 eine Grundsatzentscheidung
herbeizuführen; |
|
5.Dezember 1992: Die Kommission legt Eckpunkte einer für 1999
geplanten Fusion vor. Ein Fusions-Staatsvertrag soll im Herbst 1993
fertig sein und ein Volksentscheid im Herbst 1994, spätestens
Frühjahr 1995, stattfinden; |
|
12./19.Januar 1993: Die Landesregierungen beschließen die Aufnahme
förmlicher Verhandlungen; |
|
Dezember
1993: Die Fertigstellung des Staatsvertrages scheitert an der fehlenden
Einigung in Finanzfragen; |
|
18.März 1994: Der Bundesrat billigt die Übergangsfinanzierung
für ein gemeinsames Bundesland; |
|
Juni 1994: Die gemeinsame Regierungskommission legt den ersten Entwurf
zum Staatsvertrag vor; |
|
27.Oktober 1994: Während bisher eine "Neugliederung" durch Bundesgesetz
möglich war (wie 1952 im Falle der Entstehung von Baden-Württemberg),
erhielt die Fusion Berlin-Brandenburg ihre grundgesetzliche Basis
erst durch eine Änderung des Grundgesetzes: Artikel 118a GG
ermöglicht nun die Fusion "nach Vereinbarung beider Länder"; |
|
Februar 1995: Der Potsdamer Landtag verabschiedet einen Forderungskatalog
für weitere Verhandlungen mit Berlin; |
|
27.April 1995: Der Regierende Bürgermeister Diepgen und der brandenburgische
Ministerpräsident Stolpe unterzeichnen den Staatsvertrag der
Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen
Bundeslandes (Neugliederungs-Vertrag) sowie den Staatsvertrag zur
Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg
über den Neugliederungs-Vertrag; |
|
22.Juni 1995: Mit nötiger Zweidrittelmehrheit werden die Verträge in den jeweiligen Landesparlamenten beschlossen. |
Im
Vorfeld des Volksentscheides war es zu einem langen und zähen Schlagabtausch
zwischen Fusionsanhängern und -gegnern gekommen. Für die Länderfusion
warben die SPD und CDU, Unternehmerverbände und der DGB; dagegen
sprachen sich einige Brandenburger SPD-Landräte, die ÖTV,
die PDS sowie Bündnis 90/Grüne (mit Unterschieden in Berlin)
aus. Die Befürworter machten unter dem Motto "Gemeinsam sind wir
stärker - gemeinsam erreichen wir mehr", bei durchaus unterschiedlicher
Akzentsetzung, sieben Gründe für ein gemeinsames Land Berlin-Brandenburg
geltend (Vgl. BERLIN-BRANDENBURG 1995/7-16). Es waren dies die Argumente:
1. |
Vorteile für die Wirtschaftsentwicklung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze; |
2. |
Höhere Leistungskraft durch Wegfall teurer Länderkonkurrenz; |
3. |
Eine gewichtige Stimme im Bund und in der Europäischen Union; |
4. |
Gemeinsame Raumordnung und Landesplanung; |
5. |
Moderne leistungsfähige und bürgernahe Verwaltung in Stadt und
Land; |
6. |
Werkstatt der Einheit und Reformprojekt für den Bundesstaat; |
7. |
Historische Zusammengehörigkeit |
Dem wurden folgende "kritische Fragen und Gegenargumente" entgegengehalten (Vgl. BERLIN-BRANDENBURG 1995/17-21):
1. |
Nur
eine Neugliederung des Bundesgebietes insgesamt gewährleistet
eine ausgeglichene Länderstruktur; |
2. |
Alle
Probleme zwischen Berlin und Brandenburg lassen sich durch Staatsverträge
und Verwaltungsvereinbarungen genauso gut lösen; |
3. |
Die
Situation für die Bildung eines gemeinsamen Landes ist "noch
nicht günstig"; |
4. |
Berlin
ist als Kommune finanziell nicht lebensfähig und die Brandenburger
Kommunen werden durch Sonderregelungen für Berlin benachteiligt; |
5. |
Beide
Partner haben wechselseitige Befürchtungen vor einer Übermacht
des jeweils anderen; |
6. |
Die
Gleichzeitigkeit von Regierungsumzug, Verwaltungsreform und Länderzusammenschluß
überfordert Berlin unnötig. |
Das Abstimmungsergebnis hat auf seine Weise
bestätigt, daß es den Fusionsbefürwortern, vor allem
in Brandenburg und Berlin-Ost sowie unter breiten Teilen der Jugend,
nicht gelungen war, mit ihren Argumenten zu überzeugen. Im November
1996 einigten sich M. Stolpe und E. Diepgen in Potsdam darauf, die Zusammenarbeit
nach der gescheiterten Fusion zwischen den Ländern künftig
mit Hilfe eines "Kooperationsrates" fortzusetzen. Im November 1999,
nach der Landtagswahl in Brandenburg und der Wahl zum Abgeordnetenhaus
in Berlin, wurden neue Absichtserklärungen zugunsten eines "zweiten
Anlaufs" zur Länderfusion abgegeben. Innenminister J. Schönbohm
(CDU) sprach von einem denkbaren Neuanlauf 2004, M. Stolpe von 2010.
Quellen und weiterführende Literatur:
Butz 1992/5; Escher 1992/103-109; Materna 1992/111-116; Bundeszentrale
für politische Bildung 1993/32-35; Ribbe/Schmädeke 1994/278-285;
Berlin-Brandenburg 1995/7-22; Lehmann 1995/470; Hartmann u.a. 1996/17
ff.; Berlin und Brandenburg 1996/9 ff.; Landesabstimmungsleiter 1995/3-87;
99 Fragen und Antworten; Berliner Zeitung v. 6., 7. u. 13. Mai 1996;
Berliner Kurier v. 21. November 1996
(c) Edition Luisenstadt (Internet-Fassung),
2004
Stadtentwicklung
|