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Seidenproduktion und Seidenhandel in Berlin

Eine neue Ausstellung im Knoblauchhaus

Das Knoblauchhaus, Poststraße 23 - dieses einzige erhaltene Originalgebäude aus der historischen Altbebauung des 18./19. Jahrhunderts im Nikolaiviertel - ist 1988 als Beispiel bürgerlicher Wohnkultur der Berliner Biedermeierzeit vom Märkischen Museum eingerichtet worden. Schon damals konnte der Öffentlichkeit mitgeteilt werden, daß ein bedeutender Teil der Originalgegenstände aus dem Privatbesitz der Familie Knoblauch zur Verfügung gestellt worden sei - nur ging im beiderseits prestigeträchtigen Gerangel um ein deutsch- deutsches Kulturabkommen damals weithin unter, daß die weitverzweigte Familie (ebenso wie die mit ihr verschwägerte und mit der Geschichte des Hauses ebenfalls verbundene Familie Keibel) ihre diversen Sitze inzwischen in der Bundesrepublik hatte. Es war ein Verdienst des Familienseniors Paul Knoblauch, der in der Nähe von Stuttgart lebt, daß ein von ihm kurzerhand in der Vorbereitungsphase unternommener Ausflug nach Ostberlin sofort zu einer von beiderseitiger Sympathie getragenen engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Leiterin des Hauses, Hannelore Bolz, und den Familien führte. Paul Knoblauch war auch der Spiritus rector des inzwischen gegründeten „Fördervereins des Museums Knoblauchhaus", an dessen Wirken bei Gelegenheit der Würdigung dieser musealen Stätte gern und dankbar erinnert wird.
     Bolz und Knoblauch gedachten, sichtlich gerührt, mit bewegten Worten ihres ersten Zusammentreffens und des ihm folgenden, nun schon acht Jahre währenden Miteinanders bei der Bewahrung und Ausgestaltung eines Kleinods Berliner Bau- und lokaler bürgerlicher Familien- wie Unternehmensgeschichte, als am Abend des 9. Mai 1996 in Anwesenheit des Generaldirektors

der Stiftung Stadtmuseum Berlin (Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins), Prof. Reiner Güntzer, und einer beträchtlichen Anzahl von Vertretern der Familien Knoblauch und Keibel, durch einen instruktiven Beitrag von Kurt Winkler (Leiter der Abteilung Handel, Handwerk und Gewerbe der Stiftung) die neueste Ausstellung des Knoblauchhauses eröffnet wurde. „Sie kleidet den Reichen - Sie naehret den Armen" (das Motto auf einer Gedenkmedaille, die der preußische Minister Graf Ewald von Hertzberg, Gutsherr auf Britz - das er zu einem Musterbetrieb für Seidenproduktion ausbaute - 1793 prägen ließ) beschäftigt sich mit Berliner Seide und Seidenhandel. Das paßt hervorragend in diese Lokalität, denn die Keibels und Knoblauchs waren seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts profilierte und verwandtschaftlich verbundene „Manufakturisten" in der Seidenbranche, ja, die „Seiden Band Fabrik Carl Knobloch" existierte in der Poststraße 23 bis weit in unser Jahrhundert hinein, und das Haus diente der Familie als Wohnhaus gar bis 1945. Die Sonderausstellung brilliert mit Sachzeugen, die überzeugend den hohen Stand der Herstellung von Seidenprodukten in und um Berlin im 18./19.Jahrhundert belegen: Seidentapeten, -taschen, Seidenjacken (sogenannte Caracos) und -kleider, seidene Hüte und Schuhe, Schärpen und - in Preußen wie für den Export besonders wichtig! - Ordensbänder. Eine großzügige Stiftung der Familie Knoblauch läßt den Besucher auch seidene Strümpfe (die sind als persönliche Verbrauchsgegenstände verständlicherweise in musealen Sammlungen besonders rar!) sehen und stellt eine Schute (eine biedermeierliche feminine Kopfbedeckung) der Henriette Knoblauch (1818-1834, Nichte von Eduard Knoblauch, dem Architekten der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße) vor. Musterbücher, Lehrtafeln und -bücher über Seidenraupenzucht und etliche auf Seidenbau, Seidenproduktion und Seidenhandel bezügliche Edikte vervollständigen die Schau.
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Daß während der französischen Besetzung Berlins 1806-1808 zugunsten des konkurrierenden Gewerbestandorts Lyon das Berliner Seidengewerbe durch Besatzerwillkür gezielt in eine tiefe existentielle Krise getrieben wurde, verschweigt (angesichts des gemeinsamen deutsch- französischen Marsches nach Maastricht- Europa?) allerdings die Museumshöflichkeit.
     Die Ausstellung wird ergänzt durch ein wissenschaftliches Begleitheft, das von der Stiftung zwar als Katalog bezeichnet wird, aber die gewöhnlichen Merkmale eines solchen (Aufzählung und Beschreibung der Objekte) vermissen läßt - dafür jedoch in sechs instruktiven Beiträgen in die allgemeine Problematik der Seidenproduktion, die Geschichte des Seidengewerbes in Preußen, die spezielle Seidenbandherstellung und die Knoblauch- Keibel'sche Familiengeschichte einführt.
     Eine höchst verdienstvolle Aufzählung der letzten verbliebenen Zeugen preußischen Seidengewerbes im Berliner Stadtgebiet - der im 18. Jahrhundert in Menge gepflanzten Maulbeerbäume, deren Blätter den Seidenraupen als Futter dienten - fand in dem Beiheft leider keine Aufnahme und muß auf einem zusätzlichen Informationsblatt mitgeteilt werden. Wir sehen es als unsere Pflicht an, sie auch an dieser Stelle bekanntzumachen:

Charlottenburg:
- ein Baum vor der Orangerie am Schloß

Friedrichshagen:
- ein Baum Bölschestraße 126

Friedrichshain:
- ein Baum auf dem Schulhof des Andreas- Gymnasiums in der Koppenstraße

Kreuzberg:
- mehrere Bäume und Sträucher im Victoriapark
- ein Baum auf dem Hof Adalbertstraße 67-70

Lichterfelde:
- ein Baum Carl-Bendel- Straße 42

Lübars:
- ein Baum vor dem südlichen Portal der Dorfkirche

Pankow:
- mehrere Büsche an der stadtseitigen Bushaltestelle in Blankenfelde
- ein Baum im Volkspark Blankenfelde
- ein Baum an der Ecke Dietzgen-/ Blankenburger Straße

Staaken:
- mehrere Büsche in der Maulbeerallee 24/26/28

Steglitz:
- ein Baum auf dem Althoffplatz
- ein Baum in einem Vorgarten nahe der Ecke Wendel-/ Ringstraße

Weißensee:
- ein Baum am Eingang zum Pfarrhaus, Romain-Rolland- Straße 54-56
- ein Baum Pistoriusstraße 66
- ein Baum Charlottenburger Straße 86 (Hof)
- ein Baum Rothenbachstraße 48-51
- eine zu Bäumen ausgewachsene Hecke, Streustraße 32-45
- ein Baum neben dem Pfarrhaus am Kirchhof Blankenburg, Alt- Blankenburg

Zehlendorf:
- drei Bäume auf dem Friedhof Clayallee 357
- ein Baum an der Dorfkirche Zehlendorf.

Der Baum in der Friedrichstraße 129, Mitte, ist der Aufmerksamkeit des Vereins offenbar entgangen. Auf dem Schulhof des Andreasgymnasiums in der Friedrichshainer Koppenstraße konnte dagegen nur ein Gingkobaum entdeckt werden.

     Die Ausstellungsdauer ist vorläufig bis zum 2. Januar 1997 festgesetzt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr

Kurt Wernicke

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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