Eine Annotation von Eberhard Fromm
Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft
Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität.
Argument Verlag, Hamburg 1997, 412 S.
In dieser aus einer Dissertation entstandenen Streitschrift geht es dem Autor darum, sich mit der Machtanalyse des französischen Philosophen Michel Foucault (1926-1984) auseinanderzusetzen. Dabei analysiert er einleitend die bisherige Kritik an Foucault - im deutschen Sprachbereich vor allem Jürgen Habermas und Axel Honneth -, skizziert dann seine eigene kritische Position und verdeutlicht die dabei aufgetretenen Veränderungen in seinen Ansichten. Er versteht Foucaults Verschiebungen innerhalb der Machtanalyse weniger als ein Aufgeben dieser Analyse als vielmehr als ihre theoretische Erweiterung und Korrektur. Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff der Regierung (gouvernement), der als eine neue Dimension in der Machtanalyse Foucaults interpretiert wird und dem der Autor eine herausragende Bedeutung für das Verständnis Foucaults beimißt. Wichtige Grundlage der Arbeit Lemkes sind bisher weitgehend unbekannte Vorlesungen Foucaults aus den Jahren 1978 und 1979. Diese Texte sollen in systematischer Form vorgestellt werden.
Die Untersuchung beginnt mit einer Art Genealogie der Machtanalytik bei Foucault (Die Mikrophysik der Macht). Im zweiten Schritt (Die Gouvernementalität) wird Foucaults Konzept der Regierung vorgestellt. Abschließend kommt die Beziehung von Politik und Ethik zur Sprache. Hier wird darauf verwiesen, daß und wie Foucault seine kritischen Untersuchungen als Bestandteil der Tradition der Aufklärung sieht.
Tatsächlich löst der Autor seine einleitend gegebenen Versprechen ein: In übersichtlicher Form entwickelt er die sich verändernden Positionen Foucaults, konzentriert sich auf den Regierungsbegriff und bietet reichhaltiges originales Material des französischen Philosophen an, so daß man sich selbst überzeugen kann, ob und wie die Interpretationen Lemkes stimmen bzw. ausreichen.
Für den Rezensenten von besonderem Interesse waren die abschließenden Ausführungen zu Foucaults Haltung zur Aufklärung. Danach unterscheidet er zwei Traditionslinien: einmal eine Analytik des Wahren und zum anderen eine Geschichte der Wahrheit. Foucaults Kritik richtet sich nach Lemke nicht gegen die Aufklärung an sich, sondern gegen eine bestimmte Form des Umgangs mit der Aufklärung. Vor allem wird jene vereinfachte Alternative abgelehnt, daß man entweder die Aufklärung akzeptiert und in der Tradition des Rationalismus verbleibe oder aber daß man die Aufklärung kritisiert und damit versuche, den Prinzipien der Rationalität zu entkommen. In der Kantschen Bestimmung der Aufklärung sieht Foucault mehr als eine historische Definition, nämlich einen Appell an den Mut.
Ein umfängliches Literaturverzeichnis zu Foucaults Schriften sowie zur Sekundärliteratur stellt eine wichtige Ergänzung der Untersuchung dar. An das Fehlen eines bei solchen Arbeiten besonders hilfreichen Sach- und Personenregisters hat man sich - leider - schon fast gewöhnt.