Eine Rezension von Gerhard Keiderling


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Vom Fürstenstaat zur Republik

 

Hartwig Brandt: Der lange Weg in die demokratische Moderne
Deutsche Verfassungsgeschichte von 1800 bis 1945.

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, 226 S.

 

„Es zählt zu den Auffälligkeiten der Epoche, daß die Französische Revolution die deutschen Geister augenblicklich entflammte und doch die politischen Verhältnisse erst langfristig veränderte.“ Die Gültigkeit dieser Aussage weist Hartwig Brandt, Ordinarius für Neuere Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal, in seiner Verfassungsgeschichte Deutschlands nach. Den Fürstenstaat des späten 18. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt nehmend, zeigt er den tiefgreifenden Einfluß der Ereignisse von 1789 und des napoleonischen Regimes auf die staatliche Ordnung im deutschsprachigen Raum: „Damals ging das alte, das reichische Deutschland unter, und mit ihm verschwanden die Elemente, welche das Alte prägten: die ,gotische‘ Kaiserverfassung, der geistliche Territorialstaat, die ritterliche Kleinherrschaft.“ Doch die „Modernitätswende“ benötigte einen längeren Zeitraum, zumal das aufgelöste Reich ein dreigeteiltes Territorium zurückließ: die linksrheinischen, Frankreich zugeschlagenen Gebiete, den Rheinbund und die souveränen Mächte Österreich und Preußen. Die Befreiungskriege, das Reformwerk der Preußen Stein, Hardenberg und Scharnhorst und die nationale Bewegung entwickelten eine eigene Schwerkraft. Dennoch blieb etwas Halbfertiges zurück. Der auf dem Wiener Kongreß von 1815 zusammengeschusterte Deutsche Bund machte alle aufkeimenden Hoffnungen zunichte. Es gab zwar vereinzelte Verfassungsstiftungen, aber keine nationale Verfassungsbewegung. Erst die Revolution von 1848/49 brachte diese auf den Weg. Sie hatte „alle diese Tendenzen und Bestrebungen zu festeren Formen gefügt“, so daß trotz ihres Scheiterns die Verfassung der Paulskirche „die prospektive Ordnung eines deutschen Nationalstaates“ war, von der die Verfassungsväter von Weimar und Bonn zehrten. „Verfassungsstaat und nationale Bewegung (1848-1866)“ und „Verfassungsstaat und konstitutionelle Stagnation (1866-1914)“ lauten die weiteren Kapitel, die sich auf Preußen-Deutschland konzentrieren.

Der Autor bewältigt sein Pensum bis 1914 mit großer Sachkenntnis und Detailtreue. Leider fallen die Schlußkapitel „Verfassungsstaat und gespaltene Republik (1914-1933)“ und „Totaler Staat und politische Destruktion (1933-1945)“ recht knapp aus. Dem Scheitern der Weimarer Republik lagen gewiß schwerwiegendere Faktoren zugrunde als Notstandspolitik und „NS-Populismus“. Was den Neuanfang nach 1945 anbetrifft, so ist dem Autor zuzustimmen: „In der Entwicklung beider deutscher Staaten seit 1949 gibt es Gemeinsames und Trennendes. Beide waren Kunstprodukte der Weltpolitik, abgeschnitten von ihrer eigenen Geschichte durch die Brandstätte des ,Dritten Reiches‘. Beiden fehlte [...] die ungebrochene Tradition, die ,Identität‘.“ Die deutsche Verfassungsgeschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts über das Schicksalsjahr 1945 hinaus hatte also auch ihre Brüche, bevor sie wieder zur Kontinuität fand.

Es ist ein Vorzug dieses Buches, Verfassungsgeschichte nicht als Ideenexkurs oder rechtstheoretischen Exkurs darzubieten, sondern - wie es im Vorwort heißt - als „eine Geschichte politischen Handelns ,in Verfassung‘“. Es werden also die jeweiligen Sozial- und Machtverhältnisse, die Rolle der Parteien und die Entwicklung des modernen liberal-demokratischen und republikanischen Denkens in die Betrachtung einbezogen. Ein ausführliches Literaturverzeichnis ist dem Band beigefügt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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