Eine Rezension von Waldtraut Lewin


Nichts mit Madame Butterfly - die Schmetterlinge sind die Männer

Ursula Richter: Bräute der Nacht
Die spirituelle Erotik des alten Japan.

Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1998. 270 S.

 

Das hört sich natürlich mächtig nach was an, zumal Bastei-Lübbe das Cover des Bändchens mit Phallus-Symbolen verziert hat. Aber wer denkt, hier irgendwelche erotischen Sensationen erlesen zu können, der irrt sich. Ursula Richter, in Japan lebend, gibt sich durchaus wissenschaftlich seriös in ihrer Untersuchung über - ja, worüber nun eigentlich? Für mich geht es, ein bißchen weniger hoch gegriffen, eigentlich nicht um „erotische Spiritualität“ (was auch immer das sein mag), sondern schlicht und simpel um das sexuelle Verhalten der Geschlechter im heutigen Japan und um die historischen Wurzeln, aus denen heraus einige Dinge so gewachsen sind, wie sie sind - man muß voraussetzen, daß sie sehr häufig unser Kopfschütteln herausfordern. Ich selbst habe bei mehrfachen Aufenthalten im Land der aufgehenden Sonne vor den gleichen Fragen gestanden wie Frau Richter und bin mit ähnlichen Antworten konfrontiert worden. Richter bleibt nicht beim Erscheinungsbild stehen. Sie bohrt weiter, sucht und fragt, findet Antworten. Insofern ist der Autorin Kompetenz zuzuerkennen.

Sie präsentiert uns eine ganze Reihe typisch japanischer Phänomene, wie zum Beispiel die Institution der Mama-san (der mitfühlenden und ein zweites Zuhaus spendenden Kneipenwirtin), das Geishatum und daneben die Prostitution, die ihre Wurzeln im Rituellen hat, das Mädchenkind als Objekt der Begierde, die Ehe als Geschäft, die Rolle der Frau im modernen Japan schlechthin. Über gegenwärtige, von ihr erlebte Beispiele, über die Literatur und über die Interpretation tradierter Rituale, deren Herkunft in Japan zum Teil selbst nicht mehr gekannt wird, obwohl man sie ausführt, gelangt sie zu interessanten mythologisch-historischen Erkenntnissen. Deutlicher als an anderen geographischen und geschichtlichen Orten markiert sich in Japans Mythen und Riten der Bruch, der abrupte Übergang von einer matriarchalisch dominierten Kultur (Japans Schöpfer-Gott ist noch heute eine Göttin, Amaterasu die Mutter des Kaiserhauses!) zu einer extrem Druck ausübenden patriarchalischen Gesellschaftsstruktur.

Ihre Schlußfolgerungen sind so einleuchtend wie zwingend: Aufgrund einer sakral bedingten grundsätzlich verschiedenen Auffassung der Geschlechter von ihrer Rolle in der Partnerschaft ist Japan weiter als jedes andere Land der Welt von einer Mann-Frau-Gleichberechtigung entfernt. Noch immer ist nicht die Frau in der Rolle des „Schmetterlings“ (das ist eine typisch europäische Verkennung der Situation, die sich wohl am äußeren Erscheinungsbild des Kimono-Mädchens festmacht), sondern der Mann, der mit der größten Selbstverständlichkeit seine sexuelle Freizügigkeit in Anspruch nimmt. Die Frau ist die duldende Blume, die auf einen Besuch zu warten hat. Die Vorstellung, Befriedigung in der Lust der Partnerin zu finden, ist dem japanischen Mann so fremd wie der Frau der Gedanke an eine geschlechtliche Emanzipation, ein Heraustreten aus der Rolle der Duldenden.

Das Buch könnte für alle, die sich eingehender mit der Kultur Japans beschäftigen möchten oder, wie es mir ging, auf ihren Reisen mit irritierenden und äußerst fremdartigen Verhaltensweisen der Gastgeber konfrontiert werden, eine wirkliche Hilfe sein. Es ist klar und unambitioniert geschrieben, arbeitet viel mit dem Beispiel, vermag zu überzeugen. Und macht sehr deutlich, daß wir aus dem Fernen Osten noch viele Überraschungen zu gewärtigen haben, sei es in der Kunst oder in der Realität. Der Reiz des Fremden in einer Welt, die nur noch über wenige Geheimnisse verfügt - wir sollten es zu würdigen wissen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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