Eine Rezension von Volker Strebel


Deutschland, ein Tellereisen

Hub Nijssen: Der heimliche König: Leben und Werk von Peter Huchel
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1998, 625 S.

Peter Huchel: „Am Abend nahen die Freunde“
Gedichte. Deutsch/Französisch.
Edition Toni Pongratz, Hauzenberg 1997

 

In einer Adnote bedankt sich der Autor dieser umfangreichen Biographie bei seinen Freunden und Kollegen „für das jahrelange Anhören meines Gehuchels“. Dieser sympathische Zug belegt indirekt den Eindruck, den diese Lektüre hinterläßt. Jemand hatte sich die Mühe gemacht und Schritt für Schritt Lebensstationen von Peter Huchel ausgeleuchtet. Um die zwölf Jahre hat Hub Nijssen recherchiert, Zeugen aufgespürt und Archive durchforstet. Der Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ begünstigte den Zugriff des Forschers auf manche Quellen, erleichterte den Zugang zu den Zeitzeugen in Mitteldeutschland. Die in Staufen lebende Witwe Peter Huchels, Monika Huchel, hat Hub Nijssen kräftig mit Informationen versorgt und mit Wohlwollen dessen akribische Arbeit verfolgt. Das Ergebnis liegt als überarbeitete Doktorarbeit vor und kann sich sehen - und vor allem lesen lassen.

Hub Nijssen geht Peter Huchels Leben und Werk chronologisch in 76 Kapiteln nach. Huchels Herkunft wird recherchiert, seine prägende Kindheit bei den Großeltern in Alt-Langerwisch und auch die bald einsetzenden politischen Ereignisse wie z. B. der Kapp-Putsch und seine Folgen: „Weshalb Huchel am Kapp-Putsch teilnahm, hat er nie gesagt. Es wird wohl aus Abenteuerlust und Abneigung gegen den Alltagstrott in der Schule gewesen sein.“

Hub Nijssen hat auch eingebürgerte Vorurteile aufs Korn genommen, etwa die von allen Biographen verbreitete „Mitgliedschaft“ Huchels in der Künstlergruppe „Kolonne“. Bereits seit den zwanziger Jahren war der sich politisch links orientierende Peter Huchel mit bekannten Schriftstellern befreundet. Namen wie Ernst und Karola Bloch, Alfred Kantorowicz, aber auch Oda Schäfer und Sebastian Haffner stellen dem geselligen, aber auch eigenbrödlerischen Dichter ein gutes Zeugnis aus. Im Gegensatz zu den meisten von ihnen war Huchel während der Nazizeit nicht emigriert, was später nur jene zu bösartigen Spekulationen veranlaßte, die ihn nicht kannten. Deutlich polemisiert Hub Nijssen an dieser Stelle gegen den englischen Germanisten Stephen Parker.

Die Landschaft der Mark Brandenburg hatte es Huchel seit seiner Kindheit angetan. Dem weiten Himmel, den grünen Seen mit ihrem Binsengestrüpp, dem Rauschen des Windes spürte Huchel in seinen Gedichten nach: „Diese Lokalitäten (...) befinden sich nicht etwa in den Büchern anderer Dichter, sondern fünfzehn Minuten von meinem Hause entfernt. Und meine Sprache zieht aus dieser schilfigen Landschaft der Kolke und Luche ihr Leben.“

Huchel besaß die Eigenart, Verse so lange vor sich hinzuraunen, bis sie die rechte Form hatten. Daher erklären sich auch die häufigen Überarbeitungen: Huchels Art, Gedichte zu schreiben, war ein unablässiger Prozeß der Anpassung. Eine „Abwechslung der hohen und tiefen Vokale“ in den Versen kennzeichnet „Huchels Meisterschaft in der Klangmalerei“.

1948 wurde Peter Huchel die Leitung der hervorragenden Zeitschrift „Sinn und Form“ übertragen - eine diffizile Aufgabe. Nach einem guten Jahrzehnt (1962) enthob man ihn auf Grund politischer Querelen dieses Amtes. Kurt Hagers Angriff im Parteiblatt „Neues Deutschland“ auf die Zeitschrift „Sinn und Form“ machte die Runde, als er ihr wünschte, „daß sie einmal aus ihrer feinen Zurückhaltung und Beschaulichkeit, die etwas von der Art englischer Lords an sich hat, ihrer noblen Betrachtungsweise und philosophischen Skurrilität heraustreten möchte und einmal parteilich zu den so nahen und wichtigen, so großen und erhabenen Problemen des Schönen in unserem sozialistischen Aufbau (...) Stellung nehmen möchte“.

Eine fast zehnjährige Zeit schrecklicher Isolation in Wilhelmshorst war die Folge. Einzig die Freundschaften mit mutigen Schriftstellern wie dem Tschechen Ludvík Kundera und jungen DDR-Autoren wie Reiner Kunze, Wolf Biermann, Rolf Schneider oder Uwe Grüning hielten Huchel aufrecht. Die zehn Jahre im Westen, von 1971 bis 1981, hat Huchel, soweit die Kräfte reichten, noch weidlich genutzt. 1970, noch in der DDR, hat Huchel mit Mireille Gansel einige seiner Gedichte ins Französische übertragen. Einige seiner Gedichte gehören zu den besten der deutschen Literatur dieses Jahrhunderts.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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