Eine Rezension von Grace Maier


Das Risiko der Perfektion

Philippa Gregory: Die Schwiegertochter

Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger.

Rütten & Loening, Berlin 1998, 400 S.

 

Es ist, wenn auch kein Kriminalroman, so doch eine ziemlich haarsträubende Geschichte. Ein Buch, das wütend macht. Nicht etwa, weil es mißlungen wäre. Im Gegenteil. Hier ist eine Autorin am Werk, die handwerkliches Können, Liebe zur erzählerischen Konstruktion und ein feines Gespür für Figuren und Seelenzustände mit einem ausgeprägten Sinn für Tonlagen und Zwischentöne, Spannungsbögen und überraschende Wendungen verbindet. Was den Adrenalinspiegel während der Lektüre so vehement in die Höhe treibt und intensives Mitgefühl auslöst, ist die facettenreich geschilderte „Schreckensherrschaft“ einer besonders infamen Ausgabe jener Gattung Frau, die allemal gut für Stammtischwitze ist. Die Rede ist von der Schwiegermutter, die natürlich nicht weit sein kann, wenn es um Die Schwiegertochter geht.

Philippa Gregory, der mit ihrem Roman A Respectable Trade (1995, bei Rütten & Loening in Vorbereitung) in England ein Bestseller gelungen ist, der von der BBC verfilmt wurde, hat offensichtlich nicht nur Geschichte und englische Literatur des 18. Jahrhunderts studiert, sondern auch die Abgründe des alltäglichen Lebens - von denen ihre junge, attraktive Heldin Ruth Cleary anfangs kaum eine Ahnung hat.

Die findet das Leben vor allem schön. Und warum auch nicht. Sie ist verliebt in und verheiratet mit Patrick, einem erfolgreichen Fernsehmann, sie hat eine elegante Wohnung in Bristol, einen interessanten Job und wahnsinnig nette Schwiegereltern. Doch bekanntlich ist das Glück launisch, und wem ist es schon bestimmt, immer nur glücklich zu sein. Außerdem wird man durch Glück nicht ein bißchen weiser, meist lernt man doch nur durch Schmerz, Kummer und Leid. Davon hält das Leben für Ruth nun plötzlich und unerwartet eine Menge bereit. Als erstes verliert sie ihre Arbeit als Journalistin beim Rundfunk, die ihr soviel bedeutet. Ein Unglück, das zunächst gar keines zu sein scheint, da sie - was für ein tolles Timing - gerade jetzt zum erstenmal schwanger wird und - wie praktisch - die fürsorglichen Schwiegereltern auch noch ein kleines Haus ganz in ihrer Nähe gefunden haben. The family is happy - außer Ruth. Sie will nämlich nicht aufs Land ziehen, eigentlich möchte sie lieber weiterhin in der Stadt arbeiten, und eigentlich will sie so schnell auch noch kein Kind. Überrollt von den Flutwellen kollektiven Wohlwollens, fügt sie sich jedoch den Umständen, wo doch ihre famose Schwiegermutter, die für alle immer nur das Beste will und Einverständnis mit ihren Plänen einfach unterstellt, alles so perfekt organisiert hat. So nimmt das Drama, das aus der ganz alltäglichen Auseinandersetzung einer Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter resultiert, seinen subtilen Lauf. Die Vollkommenheit der Schwiegermutter wird für Ruth, die zwar die selbstbewußte Frau bei der Arbeit, aber das unselbständige Mädchen zu Hause ist, zum Alptraum und schließlich zur offenen Bedrohung. Die erbarmungslos nette Frau entpuppt sich nach der Geburt ihres Enkels („Die liebe kleine Ruth bekommt unser Baby“.) als Horrorversion aller verhaßten Schwiegermütter, die nur eines will: sich die Rivalin vom Halse schaffen. Und es sieht ganz so aus, als könnte das gelingen, wo ihr die Schwiegertochter doch nahezu schutz- und wehrlos ausgeliefert ist. Zum einen, weil Patrick mehr Sohn als Ehemann ist, zum anderen, weil der Verlust der Arbeit bei der jungen Frau zum Verlust des Selbstwertgefühls und zur Zerstörung von Persönlichkeit führt. Eine Kausalität, die ohne alle Vordergründigkeit sehr gegenwärtig wird. Doch wie gesagt: Meist kommt man nur durch Unglück weiter. Bloß wohin? Diese Frage weckt beim Leser mindestens ebenso gespannte Erwartung wie das Finale eines Kriminalromans.

Philippa Gregory treibt das böse Spiel der Schwiegermutter bis an die Schmerzgrenze, wobei sie der Gefahr, den Bogen zu überspannen, sozusagen nur um Haaresbreite entgeht. Endlich ist auch die Leidensfähigkeit der Protagonistin erschöpft, zeigt sich, daß Beziehungen zwischen Menschen nicht endlos beschwert, nicht überfordert werden dürfen, daß Überforderung schier unausweichlich in die Katastrophe führt. Fragt sich nur, für wen? Gregory hat dem Horrorszenario ein wirklich verblüffendes Ende bereitet, das einem angelsächsischen Meister des schwarzen Humors zur Ehre gereicht hätte.

Wer meint, die „böse Schwiegermutter“ wäre vor allem das Produkt boshafter Phantasie, hat nach der Lektüre dieser spannungsintensiven und erfahrungsgesättigt wirkenden Geschichte allen Grund zu der Annahme, daß es sie wirklich gibt - diese Frauen, deren ganzer Lebensinhalt und wütender Ehrgeiz die perfekte Organisation ihres Haushalts ist, mit Kindern und Mann als Marionetten. Sie gehen auf in der Rolle als Hüter der Ordnung, des Anstands und der Sauberkeit. Wo sie putzen, wächst kein Gras. Wehe dem, der ihnen in die Quere kommt!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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