Eine Rezension von Frank Schroeder


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Erbarmungslos und wunderschön

 

Karen Duve: Regenroman

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 300 S.

 

Es regnet in diesem Roman, es regnet unaufhörlich. Nässe und Fäulnis durchdringen alles. Man kann dieses Buch auf einer sonnigen Parkbank lesen und verspürt dennoch stets das Bedürfnis, einen Regenschirm aufzuspannen. Der biblische Vorspruch stimmt auf den Kern des Romans ein: Denn wisse wohl, ich will die Sintflut über die Erde kommen lassen, um alle Geschöpfe, die Lebensgeist in sich haben, unter dem ganzen Himmel zu vertilgen. Alles, was auf der Erde lebt, soll umkommen. So kann man den Regenroman lesen: als Parabel auf die verruchte, verdorbene Menschheit und deren zwangsläufigen Untergang.

Worum geht es: Leon, ein bislang nicht eben erfolgreicher Schriftsteller, erhält für die versprochene Abfassung der Biographie eines Zuhälters hunderttausend Mark Vorschuß und dessen alten, schwarzen Mercedes. Von diesem Geld kauft er sich und seiner frisch vermählten Frau Martina ein verfallenes Haus am Rande eines ostdeutschen Moores. Alles scheint bereit für eine glückliche Idylle. Aber sowohl das Moor als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind tückisch. Eine Schneckenplage macht dem Paar zu schaffen, der unablässige Regen greift die Grundmauern des Hauses an, und bald schon durchdringt die Kälte auch Leons Ehe. Über allem liegt - wie ein nasser Teppich - die verwunschene, unaufhaltsam wuchernde und verdauende Natur des Sumpfes, die schwüle, lähmende Atmosphäre des Verfalls. Zwei in der Nachbarschaft wohnende Schwestern, Mannsweib die eine, nimmersatt und fett die andere, sorgen für erotische Verwirrungen und tragen erheblich zum allgemeinen Zerfall bei. Als schließlich der brutale Zuhälter auftaucht, um sich für das Ausbleiben seines Buches zu rächen, treibt der Regenroman mit der brutalsten und ekeligsten Vergewaltigungsszene der neueren Literatur seinem Höhepunkt zu. Dabei versuchte Karen Duve, eine detailreiche Szene zu schreiben, bei der der Kreis der Voyeure möglichst klein bleibt. Für kaum einen Leser dürften da noch sexuelle Stimuli enthalten sein. In den Einzelheiten bediente sich Karen Duve bei der autobiographischen Schilderung einer britischen Pastorentochter, die von zwei Männern vergewaltigt wurde und deren Geschichte einst weltweit durch die Presse ging. Später erschien ein Buch dazu. Aus dessen Andeutungen machte Karen Duve konkrete Schilderungen. Auch sonst strotzt das Buch vor Handlungssträngen, die die Sintflut rechtfertigen könnten: vom babyzerfleischenden Bullterrier, der schließlich mit einem Stein um den Hals in der Elbe ertränkt wird, bis zum Krämer, der sich an gebrauchter weiblicher Unterwäsche erfreut. Der Roman endet, wie er begann: mit einer Leiche.

Die Schilderungen Karen Duves sind atmosphärisch äußerst dicht, mit kurzen Sätzen schafft sie außergewöhnliche Stimmungen. Strukturell und von der Handlung her erscheint der Regenroman ganz einfach, jedoch nicht simpel. Die Handlung ist mit sicherer Hand getimt, mit feinem Gespür für den innehaltenden Moment und den explosiven Augenblick. Der Text ist eine einzige Beunruhigung, meistens unterschwellig, und damit konventionellen Grusel- und Horrorgeschichten allenfalls seelenverwandt. Zahlreiche Elemente der Schauerromantik Edgar Allan Poes und E.T.A. Hoffmanns haben in die Prosa Karen Duves Einlaß gefunden: das einsame Haus am Moor, Regen und wallender Nebel, zwei unheimliche Schwestern, die in grausiger Langsamkeit alles überschleimenden Wegschnecken, ein ungewöhnlich großer Salamander, der Leons Arm bespuckt und ihm so die Haut versengt. Immer wieder ertappt man sich bei der Überlegung, daß das Buch mit all den Leichen doch noch zum Kriminalroman kippen könnte, was es jedoch nie tut. Die Bedrohung durch Nässe und Fäulnis wird raffiniert verschärft durch fiktive Wetterberichte, die den zehn Kapiteln vorangestellt werden, gesteigert von der eher harmlosen starken Bewölkung mit vereinzelten Schauern im ersten, bis hin zum Orkantief und Sturm mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 120 km/h im letzten Kapitel. Karen Duves erster Roman ist wie das Moor, in dem er spielt: Erbarmungslos und wunderschön, doppelbödig und unberechenbar.

1990 entschloß sich die damals 29jährige Karen Duve, nach diversen Gelegenheitsjobs fortan nur noch von ihren Texten zu leben. Sie erhielt neben Stipendienaufenthalten im Rowohlt-Haus in New York und dem Stuttgarter Schloß Solitude mehrere Auszeichnungen für ihr erzählerisches Werk, darunter den Preis für junge Prosa, Arnsberg, den Open-Mike der LiteraturWerkstatt Berlin und den Bettine-von-Arnim-Preis. Bereits 1995 erschien von ihr die Kurzgeschichten-Sammlung Im tiefen Schnee ein stilles Heim, im Herbst dieses Jahres ist bei Suhrkamp unter dem Titel Keine Ahnung ein Band mit Erzählungen angekündigt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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