Eine Rezension von Licita Geppert


Der gespaltene Waldemar

Horst Bosetzky: Der letzte Askanier

Roman.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1999, 409 S.

 

Der askanische Markgraf Waldemar hinterließ bei seinem Tode ein Machtvakuum, das die Mark Brandenburg auf Jahrzehnte zum Instrument von Kirche und Krone im Kampf um die Macht des Kaisers werden ließ. Als nach dreißig Jahren der wiederauferstandene Waldemar zum Friedensfürst erkoren wurde, veränderte sich plötzlich die Machtlage entscheidend. Bosetzky hat sich in das Leben seines Protagonisten derart vertieft, daß er eine überzeugende Version für ein Phänomen bietet, das nicht nur die Mark Brandenburg lange Zeit in Atem hielt, sondern das ganze riesige Heilige Römische Reich und die katholische Kirche. Hat es Wiedergänger auch zu allen Zeiten gegeben, so wurden sie in der Regel schnell entlarvt und konnten nicht lange überleben. Um Waldemar jedoch, den letzten Angehörigen des Hauses Askanien, das die Mark Brandenburg über lange Zeit beherrschte, rankt sich seit nunmehr 650 Jahren ein großes Geheimnis. Der Fall Waldemar gewinnt nicht nur durch seine Gestaltung durch die Feder eines Kriminalautors die Dimension eines historischen Kriminalfalls; er war und ist spektakulär, und die Lösung, die Bosetz-ky anbietet, ist wirklich bestechend.

Markgraf Waldemar starb im Jahre der Herrn 1319 bei einem Reitunfall und wurde in Chorin zur letzten Ruhe gebettet. Er hinterließ keine Erben, und so ging das Land schließlich an die Wittelsbacher, an den achtjährigen Ludwig, der fürderhin zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Bruder der Brandenburger geheißen wurde. Ludwig sollte mit Leib und Seele Bayer bleiben, er würde die Berge lieben, die Sonne und Wärme der südlichen Regionen, das flache, neblige Brandenburg mußte ihm unwirtlich erscheinen. Seine Pflichten hier würden ihn später obendrein daran hindern, sich in seine heimatlichen Gefilde zurückzuziehen. Ludwig war kein Staatsmann. Er hätte, anders als sein Vater, Kaiser Ludwig, lieber ein unbeschwertes Leben gelebt, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als in dem Spiel aller Spiele mitzumischen. Vorerst aber wurde vom Kaiser ein Regent für ihn eingesetzt. So wurde die Mark Brandenburg zum Spielball großmachtpolitischer Interessen. Nach dem Tode Waldemars nun ohne einsatzbereiten Landesherrn, wurde sie zur Achillesferse des Kaisers Ludwig, der weder Geld noch Interesse hatte, diesem Land große Aufmerksamkeit zu schenken. Dies hatte der in Avignon residierende Papst Johannes XXII. erkannt, dessen Favoriten Friedrich von Österreich Ludwig der Bayer ausgeschaltet hatte. Man brauchte nur den polnischen und litauischen König aufzuhetzen und hatte auf diese Weise eine ebenso sparsame wie wirksame Methode zur Schwächung des Kaisers entwickelt. So entschied sich das Schicksal der in der Mark lebenden Menschen im weit entfernten Süden Frankreichs. Es sollte viele Jahrzehnte Düsternis und Verderben für die Mark bedeuten. 1348 hatten die Zustände einen solchen Grad der Unerträglichkeit erreicht, daß von verschiedener Seite über eine Lösung des Problems nachgedacht wurde. Eine Auferstehung Waldemars als Integrationsfigur schien einigen Fürsten politisch durchaus wünschenswert.

Zum selben Zeitpunkt genas in Jerusalem ein frommer Pilger, der seit nahezu dreißig Jahren im heiligen Land gelebt hatte, von einem schweren Unfall, der ihm das Gedächtnis geraubt hatte. Nachdem er wieder zu Kräften gelangt war, machte er sich auf die Reise ins heimische Brandenburg, mit keiner Erinnerung im Kopf außer dem, was man ihm über seine Identität berichtet hatte. Der Weg war lang und gefahrenreich, aber die schäbige Pilgerkutte hatte ihm ausreichend Schutz geboten. Ein Ring war sorgfältig in ihren Saum eingenäht: der Siegelring des Markgrafen Waldemar. Der Müller Jakob Rehbock hatte auch eine Geschichte parat, wie er in Besitz desselben gelangt war. Von nun an bewegt sich die Handlung im Rahmen einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung. Rehbock erreichten die Gerüchte vom wiederauferstandenen Waldemar, der als frommer Pilger durch die Lande ziehe. Als eine Bäuerin in ihm den alten Markgrafen zu erkennen glaubte, fand der Müller Rehbock zu seiner neuen Bestimmung. Nun setzt ein politisches Intrigenspiel ein, das Bosetzky völlig zu Recht mit den Verteilungskämpfen der heutigen großen Konzerne vergleicht. Henning von Nienkerken, ein Abenteurer und ausgebuffter Taktiker, stellt sich an die Seite des Müllers und formt aus ihm den Markgrafen, der vor den Augen der Welt bestehen kann. Und die Welt liegt ihm zu Füßen, jedenfalls die maßgeblichen kirchlichen und weltlichen Fürsten, dann auch die Städte, vor allem aber das Volk. Auch der spätere Kaiser Karl IV., ein großer Stratege, der sein künftiges Reich mit großem politischen Geschick zu einen weiß, erkennt in Waldemar einen wichtigen Faktor zur Schwächung Ludwigs des Brandenburgers, der in Nachfolge seines Vaters eher halbherzig Ansprüche auf die Kaiserkrone anmeldet. Ein unvergleichliches Ränkespiel setzt nunmehr ein, in welchem die Mark Brandenburg zeitweilig von zwei anerkannten Herrschern hin und her gerissen wird, welche kurioserweise beide durch weitere Finten Karls schließlich als tot erklärt werden konnten - Ludwig in kirchlicher und Waldemar in juristischer Hinsicht. Dieser dokumentarische Teil ist historisch sehr anspruchsvoll gestaltet und verlangt dem Leser einiges an Aufmerksamkeit ab.

Zur Auflockerung stellt Bosetzky Ludwig dem Brandenburger als Gegenspieler Henning von Nienkerkens den fiktiven Meinhard von Attenweiler zur Seite, der - von Abenteuerlust getrieben - im Auftrage seines Freundes und Königs unterwegs ist, den falschen Markgrafen zu entlarven. Dabei hat er zahlreiche gefahrvolle Situationen zu bestehen, die ihn dem Tode, letztlich aber auch seinem Ziele näher bringen. Attenweiler lernt dabei auch Kaiser Karl kennen und kann sich dem politischen Charisma dieses Reichseiners auf die Dauer nicht entziehen. Bosetzky betrachtet Attenweiler als Vorläufer seines Jahrhunderte später agierenden Kriminalkommissars Hansjürgen Mannhardt, und einige moderne Gedankengänge sind ihm durchaus nicht abzusprechen, auch wenn der Autor ausdrücklich darum bemüht ist, den historischen Rahmen zu wahren. Attenweiler kann Karl zwar dazu bringen, Waldemar fallenzulassen, letztendlich aber lebt dieser unbehelligt noch eine Reihe weiterer Jahre, wohlversorgt von seinen Verwandten und - seiner einstigen Geliebten: der Tochter des Müllers Rehbock, die Waldemars Identität unzweifelhaft bestätigen kann.

Verblüffend ist diese Lösung des Rätsels, die der Autor im Nachwort auch psychologisch-medizinisch begründet, vor allem deshalb, weil eine angenommene Schizophrenie Waldemars, sein Nicht-Wissen um seine wahre Identität, den logischen Zusammenhang zu allen historisch überlieferten Ungereimtheiten herstellt und diese zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden vermag.

Das sorgsam recherchierte Buch (bereits 1997 im Argon Verlag erschienen) ist zweifellos eine Bereicherung des breiten Angebots historischer Romane. Die Anregung dazu hatte Bosetzky sich bei Willibald Alexis’ Der falsche Waldemar geholt, bei dem er auch Anleihen bei der sprachlichen Gestaltung nahm, was sich sehr gut ausnimmt im Hinblick auf damalige Denkweisen, außerdem lockert es die Handlung durchaus auf. In seiner Begeisterung für das The ma erschlägt der Autor den Leser bisweilen mit Namen von Personen und Orten, die man sich merken müßte, um den großen Handlungsbogen verfolgen zu können. Die vielen geschichtlichen Fakten werden aber dennoch auf unterhaltsame Weise vermittelt. Bosetzky schreibt mit der Biographie des Markgrafen Waldemar ein Stück heimatliche Weltgeschichte, ein faszinierendes Kapitel über die Auswirkungen großmachtpolitischer Bestrebungen in einem zeitlich engen Rahmen auf regionaler Ebene. Das 14. Jahrhundert war ja nur eines der vielen wirren Jahrhunderte für Europa. „Was Menschen Weltreich nennen, ist weltweiter Hader und unaufhörlicher Krieg. In aller Welt liegt die einzige Freude in der Ruhepause eines Eremiten.“ (Süleyman der Prächtige) So läßt sich nicht nur das Leben Waldemars auf den Punkt bringen, sondern letztendlich die ganze Weltgeschichte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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