Eine Rezension von Helmut Caspar


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Prinz im Schatten des Königs

 

Eva Ziebura: Prinz Heinrich von Preußen

Stapp Verlag, Berlin 1999, 495 S.

 

„Durch seine Geburt geworfen in die Wirbel eitlen Dunstes, die der Pöbel nennt Ruhm und Größe“, gehörte Prinz Heinrich von Preußen, der 14 Jahre jüngere Bruder Friedrichs des Großen, zu den herausragenden Persönlichkeiten der preußischen, ja mehr noch der europäischen Geschichte des 18. Jahrhunderts. Die von dem vielgerühmten Feldherren und Diplomaten, Lebemann und Mäzen verfaßte Inschrift an der Grabespyramide im Rheinsberger Schloßpark umschreibt die Größe und Tragik eines Mannes, der nach eigenen Worten von den Leidenschaften der anderen geplagt und von den eigenen getrieben wurde, oft Verleumdungen ausgesetzt und Opfer der Ungerechtigkeit war, doch oft durch die Freundschaft getröstet wurde, der glücklich in der Abgeschiedenheit seiner Gedanken und noch glücklicher war, „wenn seine Dienste dem Vaterland nützlich sein konnten oder der leidenden Menschheit“. Was sich hinter dieser Eloge verbirgt, in der sich der Prinz als jemand bezeichnet, der nicht der beste der Menschen sein konnte, doch nicht „zur Zahl der Bösen“ gehörte, schildert Eva Ziebura in der exzellenten Biographie dieses Hohenzollern, der von seinem alles dominierenden königlichen Bruder Friedrich II. und dessen Nachfolgern nur selten liebevoll behandelt wurde, obwohl er sich in seinem langen Leben herausragende Verdienste um sein Land erworben hat. Obwohl Heinrich vom „Gift des Hasses“ gegen den Großen König zerfressen war, übte er sich ihm gegenüber in Loyalität und Ehrerbietung, immer auch in der - letztlich vergeblichen - Hoffnung, von dem königlichen „Übervater“, der in alles hineinregierte, endlich auch als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden. Die Zwistigkeiten zwischen den beiden Brüdern, die Ziebura eindrucksvoll schildert, waren allerdings kein Hindernis, daß Friedrich dem verschwenderisch lebenden, finanziell immer klammen Prinzen mehr als einmal mit beträchtlichen Zuschüssen unter die Arme griff, was von diesem zwar dankbar, aber gleichwohl wie selbstverständlich angenommen wurde.

Die Autorin hat nicht nur die veröffentlichten Werke und Korrespondenzen Friedrichs II. und anderer Persönlichkeiten ausgewertet, sondern auch ungedruckte Schreiben des Prinzen an Freunde und Verwandte. Daneben wurden kaum bekannte Denkschriften und Instruktionen im Geheimen Preußischen Staatsarchiv Berlin-Dahlem herangezogen, die Heinrichs politischen Weitblick und seine Fähigkeit eindrucksvoll erkennen lassen, militärische Situationen zutreffend zu bewerten. Sie zeigen den Prinzen, der sich als Freund alles Französischen Henri Louis nannte und, wie eine Bücherliste an die Königin Luise zeigt, von zeitgenössischer deutscher Literatur nichts wußte, als brillanten Denker, dem allerdings verwehrt wurde, maßgeblichen Einfluß auf die Geschicke seiner Zeit zu nehmen, weshalb er sich immer wieder nach Rheinsberg „in seine Hütte“ zurückzog, um Feste zu geben und Theater zu spielen. Die märkische Residenz, die jetzt wieder auflebt und sogar ihr nach 1945 durch Vernachlässigung zerstörtes Schloßtheater zurückbekommt, war immer Ziel königlicher und fürstlicher Besuche, und was sich hier ereignete, gehört zu den amüsant zu lesenden Passagen in dieser Biographie. Seltsam blaß allerdings bleiben Schloß und Park, doch sind kunst- und architekturhistorische Beschreibungen und Wertungen sicher nicht Aufgabe der Autorin, dafür gibt es andere Literatur.

Lebendig wird in dem Buch ein Weltbürger und Musensohn, der mit bedeutenden Geistern seiner Zeit korrespondierte, am Ende seiner Tage schon eine Legende war und bald vergessen wurde und gegen dessen testamentarische Verfügungen sich die Nachlaßverwalter sträflich vergingen, wie am Ende der Biographie auch zu erfahren ist. Eva Ziebura schildert das Leben eines Fürsten, der die Teilung Polens betrieb und nach Frieden und Ausgleich mit dem revolutionären Frankreich strebte. Aufgrund der Thronfolgeregeln in Preußen war es dem Prinzen verwehrt, König zu werden, dennoch legte er seinen ganzen Ehrgeiz darein, in der großen Politik mitzumischen, was zu Reibereien mit dem jeweiligen Herrscher und zu zeitweiliger Isolation führte. Die aufgrund seiner hervorragenden Beziehungen zu den Höfen in Sankt Petersburg, Stockholm und Paris, wo man Heinrich mit offenen Armen empfing und mit Ehrungen überhäufte, erteilten Ratschläge und bisweilen auch ganz handfesten Interventionen sind Heinrich zu Hause schlecht vergolten worden. Nur in Kriegs- und Krisenzeiten war seine Hilfe gefragt, wie in der Biographie an markanten Begebenheiten aus dem Siebenjährigen Krieg und nachfolgenden Waffengängen beziehungsweise bei verschiedenen Friedensverhandlungen belegt wird. Daß der kleingewachsene, oft kränkliche Prinz für Preußen wichtige militärische Siege errang, führte zwar zu materieller Belohnung, nicht aber zu einem von Heinrich ersehnten herzlichen Einvernehmen mit dem König und schon gar nicht zu einem wichtigen Staatsamt oder hohen Militärposten.

Das Buch bringt dem Leser einen Mann nahe, der nicht gerade mit Schönheit ausgestattet war. Man erfährt, daß alle, die mit ihm Umgang pflegten, dem Charme des überaus belesenen, bisweilen auch als Schauspieler und Musiker dilettierenden Prinzen erlegen waren. Wie Friedrich der Große liebte Heinrich keine Frauen, sondern Männer, gelegentlich machten sich die Brüder in jungen Jahren ihre Liebhaber sogar streitig. Eva Ziebura schildert anhand kaum bekannter, weil für die borussische Heldengeschichte auch peinlicher Briefe und Begebenheiten aus dem prinzlichen Intimbereich, daß Heinrich bisweilen in der Wahl seiner Freunde danebengriff und sich hat ausnehmen lassen. Das Beispiel seines überaus kostspieligen Favoriten Kaphengst, dem Theodor Fontane in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg sarkastische Worte widmet, steht für solche Mißgriffe. Daß beide Hohenzollern keine Kinder hatten, hielt sie allerdings nicht davon ab, ihnen nahestehende junge Personen bei sich aufzunehmen, ihnen eine gute Ausbildung zu geben und für ihr Fortkommen zu sorgen.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, daß Heinrichs Bruder Friedrich, der Bauherr des Rheinsberger Schlosses, in der märkischen Residenz viel stärker und sogar durch ein Bronzedenkmal präsent ist, obwohl er nur wenige Jahre hier lebte, als der Prinz, der Schloß und Park 1744 als Geschenk erhielt. Der 200. Todestag im Jahr 2002 wird Anlaß sein, Heinrich mehr Gerechtigkeit als bisher widerfahren zu lassen. Dazu liefert Eva Ziebura wichtiges Rüstzeug.

Leider hat das Buch zwei Mängel. Zum einen ist es - allerdings nicht durchgängig und daher recht irritierend - nach den neuen Rechtschreibregeln abgefaßt und enthält außerdem zahlreiche Druckfehler. Zum anderen werden historische Porträts, ja selbst Fotografien aus heutiger Zeit, in miserabler Qualität und ganz verwaschen wiedergegeben. In Neuauflagen wäre das unbedingt zu verbessern.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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