Eine Rezension von Kathrin Chod


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Andrei S. Markovits/Simon Reich: Das deutsche Dilemma
Die Berliner Republik zwischen Macht und Machtverzicht.

Aus dem Amerikanischen von Gisela Schillings.
Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 367 S.

 

Deutsche Tornados über Jugoslawien - ein Thema, das eine heiße Debatte im Bundestag auslöste: „Joschka Fischer sprach von einer Zäsur und der Gefahr, in ein militärisches Debakel verstrickt zu werden. Rudolf Scharping argumentierte, daß deutsche Flugzeuge in der Luft keine Garantie für Frieden auf der Erde seien.“ Die von den Verfassern des vorliegenden Buches skizzierte Debatte fand tatsächlich statt, nur nicht 1999, sondern 1995, und die zitierten Politiker saßen noch nicht in der Regierung, sondern auf den Bänken der Opposition. Bereits damals befaßte sich einer der Autoren, der amerikanische Politologe Andrei S. Markovits, intensiv mit der deutschen Linken, ihrer Geschichte und vor allem auch ihrer Perspektive. Gemeinsam mit Philip S. Gorski resümierte er 1997 in dem Buch Grün schlägt Rot, daß es vor allem die Lernfähigkeit der deutschen Linken sei, die hoffen ließe, daß sich die Ära der Konservativen dem Ende zuneigt. Genau diese atemberaubende „Lernfähigkeit“ erklärt nicht nur den scheinbar überraschenden Sinneswandel einiger Politiker, sondern auch ihren Weg an die Macht. Wie sie nun mit dieser Macht umgehen sollten, darüber haben sich Andrei Markovits und Simon Reich in Das deutsche Dilemma so ihre Gedanken gemacht. Für sie steht Deutschland mit dem Übergang von der Bonner zur Berliner Republik gleichzeitig vor der Entscheidung, ob es, bereits an der Schwelle zur internationalen Großmacht, die Stellung eines Hegemonen anstreben will oder die eines Landes, das strukturell gesehen, einer Vorherrschaft durchaus fähig wäre, aber aus ideologischen Gründen jedes Führungsverhalten scheut. Durch freien Handel und friedliche politische Beziehungen verfüge Deutschland heute über mehr Ressourcen als jemals in der Vergangenheit, doch werde es, nach Meinung der Autoren, von einem Denken bestimmt, das zwar internationalistisch orientiert sei, aber immer noch zögere, seiner zentralen Stellung in der neuen Weltordnung Rechnung zu tragen. Markovits und Reich widmen sich in einem Großteil ihrer Arbeit der Beschreibung des Status quo und analysieren beispielsweise die deutsche Wirtschafts- und Finanzmacht in Europa. Darüber hinaus gehen sie auf die Fragen ein: Wie schätzen Optimisten und Pessimisten die deutsche Entwicklung ein? Wie beurteilt die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten und in verschiedenen Ländern Europas Deutschland und die Deutschen? Ausblicke bleiben eher rar. Immerhin sehen die Autoren nicht die Gefahr einer deutschen Hegemonie in Europa. Die deutsche Wirtschaftsmacht werde weiter steigen, im Gegensatz dazu sehen die beiden Amerikaner aber einen Mangel an kulturellem Einfluß: „Ohne kulturelle Macht muß ein dominantes Land, wenn es seine Hegemonie sichern will, auf Gewalt zurückgreifen. Da die Berliner Republik ihre Interessen nicht mit Waffengewalt durchsetzen wird, sind wir der Meinung, daß Deutschland eine Hegesie bleiben und sich nicht zur Hegemonialmacht entwickeln wird, und zwar deshalb, weil die deutsche Kultur in den Schlüsselbereichen des öffentlichen und privaten Lebens in Europa nicht zum akzeptierten Standard werden kann.“

Im Gegensatz zu der genauen Analyse der gegenwärtigen Politik steht ein doch sehr simples Geschichtsbild, das die Autoren wohl auch mit Vorwortschreiber Joschka Fischer teilen. So sehen sie etwa im preußischen Junkertum die entscheidende Macht sogar noch im nationalsozialistischen Deutschland. Was man bei amerikanischen Politologen wohl noch tolerieren kann, ist bei einem deutschen Politiker einfach peinlich. Fischers im Vorwort skizziertes klischeehaftes Schwarzweißbild deutscher Geschichte, in dem der deutsche Nationalstaat als Wurzel allen Übels ausgemacht wird, erinnert in seiner Einseitigkeit an frühe DDR-Schulbücher. Vielleicht sollte man aber seine Einschätzungen auch nicht gar so ernst nehmen, genau wie seine hier geäußerte These, wonach der Gewaltverzicht, neben anderen Prinzipien, zu den Kontinuitäten der westdeutschen Außenpolitik zählte, die auch im vereinten Deutschland Grundtugend jeder deutschen Außenpolitik bleiben sollte. Joschka Fischers Vorwort zur deutschen Ausgabe bedeutet den Autoren, wie sie sagen, viel mehr, als sie hier ausdrücken können. Nachdem sie sich bereits Gedanken gemacht hatten, ob Kohls Nachfolger „dem Westen im allgemeinen und den Vereinigten Staaten im besonderen mit ebensoviel Sympathie“ begegnen würden, schreiben die beiden Amerikaner über den grünen Politiker im Juni 1998: „Nur eines sei gesagt: Die Präsenz Fischers und von Leuten seiner politischen Gesinnung im öffentlichen Leben der Berliner Republik stimmen uns als Deutschlandkenner, Politik wissenschaftler und amerikanische Juden mit engen europäischen Beziehungen vorsichtig optimistisch, was die zukünftige Rolle Deutschlands in Europa betrifft.“ Daß ein Jahr später aus der Präsenz des grünen Politikers eine geradezu Omnipräsenz des deutschen Außenministers geworden ist, dürfte also ganz dem Geschmack von Markovits & Co. entsprechen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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