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Von Goethefexen
und Philistern

Goethe-Rezeption damals: Verehrung, Anhimmelung, Gleichgültigkeit

 

In den zwei bisher noch nicht veröffentlichten Texten zur Goethe-Rezeption bekunden sich drei Einstellungen zum Phänomen Goethe. Das Enkomion (Lobschrift!) „Wie ich zu Goethe kam“ stammt handschriftlich von dem süddeutschen Landschaftsmaler Hermann Ebers (1881-1955), einem Sohn des heutzutage kaum noch bekannten Dichters (oder Schriftstellers) und Ägyptologen Georg Ebers (1837-1898), dessen historische Romane z. B. von Kaiser Wilhelm II. mit Vorliebe gelesen wurden. Wie immer man auch des Sohnes Bekenntnisse zu Goethe deuten oder werten will: Sie sind offenkundig sehr ernsthaft gemeint.

Das letztere läßt sich von dem zweiten, kürzeren Text nur sehr eingeschränkt behaupten. Hier werden, karikaturistisch überspitzt, zwei Repräsentanten/innen der Goethe-Rezeption (bzw. Nicht-Rezeption) recht gekonnt entworfen und zu Papier gebracht, und zwar als handschriftliches Widmungsgedicht in das 1910 bei Ullstein erschienene Buch: „Goethe Sein Leben und Schaffen Dem deutschen Volke erzählt von Ludwig Geiger“. In einem weiteren Sinne geht es in diesem Gedicht um „Kulturbanausen“ versus „Kulturbeflissene“.

Genug des Kommentars: Die Texte sollen für sich sprechen.

Bernd Schmeisser

Wie ich zu Goethe kam.

Bei meinem ersten Zusammentreffen mit Gerhart Hauptmann - es war ein heiterer Bowlenabend auf Hiddensee - fing er sogleich an, von dem zu reden, was ihm in seiner Jugend die Werke meines Vaters gewesen seien. Unter anderem sagte er da ungefähr: „Es mag manches veraltet sein in diesen Romanen und dem heutigen Geschmack nicht mehr entsprechen, aber das Wesentliche ist ja immer, was für eine Persönlichkeit aus einem Werke spricht und aus dem Ihres Vaters hat man herausgetüftelt, daß ihn noch etwas von der Goetheschen Aura umgab.“ Mir haben diese Worte damals sehr wohl getan und mir vieles bestätigt, was ich als das Beste und Wertvollste im Wesen meines Vaters rückerinnernd liebte und verstehe. War es so, wie Hauptmann sagte, so wird mir auch erklärlich, daß in mir der Boden für ein inniges Verhältnis zu allem, was ich von und über Goethe las und hörte, schon frühzeitig vorbereitet war.

Ich muß noch ein kleiner Junge gewesen sein, als zum ersten Mal eine Dichtung von ihm in mir einen starken Widerhall fand, mein Herz mitschwang im Wohllaut seiner Worte und ich tief berührt wurde von der schlichten Unmittelbarkeit seines wundervollen dichterischen Aus drucks. Es war irgendwo in einem lichten Frühlingswald, durch den ich mit meiner guten Tante Helene ging, die meine ganze Kindheit hindurch immer wieder die Stellvertreterin meiner vielbeschäftigten Mutter gewesen ist. War es ein blaues Leberblümchen oder eine weiße Frühlingsanemone, die uns am Wege entgegenleuchtete, ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, daß die Tante stehenblieb und, mir das kleine Blümchen weisend, Goethes Worte rezitierte:

„Ich ging im Walde so für mich hin
Und nichts zu suchen, das war mein Sinn“ -

dies köstliche Gedicht, von dessen beziehungsreicher persönlicher Bedeutung ich damals natürlich noch nichts ahnte, traf so sehr den Ton, in dem meine zu inniger Naturliebe erwachende Seele damals schwang, daß ich es bald auswendig konnte, und ich war stolz darauf, nun auch etwas von diesem Goethe mir zu eigen gemacht zu haben, von dem mir bisher nur der Name als der eines Ehrfurcht Gebietenden bekannt gewesen war.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, was in den folgenden Jahren der Schulzeit mir von Goetheschen Dichtungen einen besonderen Eindruck gemacht hat. Es war da allzuviel, was auf ein aufgeschlossenes Gemüt an geistigen Werken einwirkte, um sie in der Erinnerung noch sichten zu können. Das eigentliche Band jedenfalls, das mich für immer an Goethe knüpfen sollte, wurde erst geschlungen, als ich etwa 14 Jahre alt war, und ich erinnere mich, als sei es heute gewesen, noch immer an Ort und Stunde dieser beglückenden Ereignisse.

Um es beschreiben zu können, muß ich etwas weiter ausholen. Oberhalb unseres Tutzinger Anwesens lag der Frauenberg, der Sommersitz der Familie Kühlmann. Der jüngste Sohn des Hauses Karl oder wie er allgemein genannt wurde: Charly war etwas jünger als ich, und ich hatte eine Bubenfreundschaft mit ihm, die manchmal eine rechte Lausbubenfreundschaft war. Denn Charly steckte voll dummer Streiche, zu denen er, für gewöhnlich in das adelige Internat „Julianeum“ in Würzburg eingesperrt, während der Ferien besonders neigte. Grundgescheit und witzig, war er ein schwer zu bändigender Junge, und sein Vater sah seinen Umgang mit mir, der ich älter und ruhiger war, gern, obwohl ich mich oft genug von Charly zu allerlei Unfug verleiten ließ. Als er mich näher kennenlernte, faßte Vater Kühlmann eine besondere Neigung zu mir, und ich habe der verständnisvollen Güte dieses prachtvollen alten Herren sehr viel zu verdanken. Er war damals noch Generaldirektor der türkischen Eisenbahnen, was eine sehr gut dotierte Stellung gewesen sein muß, denn Kühlmanns lebten auf großem Fuß. Er war von reizender Freigebigkeit und hat mir mit manchem kleinen Geschenk eine Freude gemacht, am meisten aber damit, daß er mich hier und da mit Charly auf Touren oder sogar Reisen mitnahm. Eine davon galt seiner Geburtsstadt Landsberg am Lech, deren Ehrenbürger er war. Wir fuhren damals mit der Bahn bis nach Peissenberg und gingen an einem schönen Sommernachmittag zu der Aussichtshöhe hinauf, wo wir uns für die Nacht in dem dortigen Wirtshaus einquartierten. Nach dem Abendessen hatten wir uns auf einer Bank niedergelassen und genossen die unvergleichliche Aussicht von diesem, der bayrischen Alpenkette vorgelagerten Berg.

Da saßen wir drei, Vater Kühlmann, Charly und ich ohne viel zu reden, ein wenig ermüdet von dem heißen Sommertag und der kleinen Bergwanderung. Die Sonne versank hinter den zackigen Gipfeln der fernen Allgäuer Alpen, und allmählich verschwammen die Wälder und Wiesen zu unseren Füßen, die tief eingerissenen Fluß- und Bachtäler des Oberlandes mit seinen Dörfern und Weilern zu einer Harmonie in Grau. Sie trennte vom Himmel, der in einem fahlen Gelb vom Nachglanz der Abendsonne leuchtete, das seltsam transparente Blau der Berge, die von Osten in schön geschwungenen Konturen zum königlichen Massiv der Zugspitze schwangen, um nach Westen zu sich wieder in der Ferne zu verlieren. Aus dem sanft abfallenden Wiesengrund vor uns begannen leichte Nebel aufzusteigen, die Dämmerung begann. War es der Duft von Heu, der die Luft durchwogte oder der Ruch von Lindenblüten, der ihm jene Strophe ins Gedächtnis rief, jedenfalls sagte der alte Herr mitten aus der Stille heraus, schlicht und ohne Pathos, die Worte:

„Wenn sich lau die Lüfte füllen
Um den grün umschränkten Plan,
Süße Düfte, Nebelhüllen
Senkt die Dämmerung heran.
Lispelt leise süßen Frieden,
Wiegt das Herz in Kindesruh,
Und den Augen dieses Müden
Schließt des Tages Pforten zu!“

Ich saß wie verzaubert, so tief hatten mich Dichterworte noch niemals angerührt. Es war der Augenblick, der mich für mein ganzes Leben an Goethe band.

Vater Kühlmann mußte wohl gemerkt haben, wie sehr mich diese Worte beeindruckten, denn während der ganzen kleinen Reise hatte er immer wieder irgend ein schönes Zitat aus dem Faust bereit, das auf die Situation, in der wir gerade waren, stets paßte, als sei es dafür gemacht, und das sie dichterisch umrahmte und verklärte. Er konnte nicht nur jenen wundervollen Gesang auswendig, mit dem Ariels Geister am Anfang des zweiten Teils der Tragödie den Faust einschläfern, sondern die ganze Dichtung Wort für Wort.

Wie schön war doch diese ganze heitere und doch für mich so gehaltvolle Sommerfahrt, zu der der Himmel in wolkenloser Bläue lachte! Erst das putzige Schongau, das hinter seinem weißen Mauerkranz über dem grün dahinrauschenden Lechfluß tront und dann Landsberg mit seinen mittelalterlichen Toren und Bastionen, wo der Zauberkünstler Domenikus Zimmermann mit dem Wunderbau seines Rathauses den Ernst des Stadtplatzes durch ein Rokokolächeln aufzuheben weiß. Hübsch war auch der Abend dort, wo die Stadtväter ihrem Ehrenbürger im besten Gasthaus ein Bankett gaben, an dem wir Buben auch teilhaben durften und so viel von dem prachtvollen Ratswein zu trinken bekamen, daß wir beide mit Kanonenräuschen ins Bett sanken. Das heftige Haarweh, das wir anderen Tages daraufhin hatten, verflog allmählich bei einer Wagenfahrt durch schönes sommerliches Land, die uns nach Diessen am Ammersee brachte. Dort begeisterten wir uns an der überwältigenden Kraft und der grandiosen Farbensymphonie der Klosterkirche, die ein Letztes an Raffinement barocker Raumgestaltung bedeutet, und dann gingen wir in das Refektorium, in dem damals ein Wirtschaftsbetrieb geführt wurde, um zu Mittag zu essen.

Da hing nun ein tief nachgedunkeltes Bild von Christi letztem Abendmahl. Auf den ersten Blick schon war ich von ihm angetan, und es fesselte mich während des ganzen Essens. Vater Kühlmann, der mich während der kleinen Reise aus seiner umfassenden Bildung heraus bei allem, was wir an schönen alten Dingen sahen, über ihren Kunstwert und ihre stilistische Eigentümlichkeit in liebevoller und gar nicht schulmeisterlicher Weise belehrt hatte, erklärte mir, daß es ein altvenezianisches Bild sei. Ich habe es niemals wiedergesehen, aber rückerinnernd glaube ich annehmen zu können, daß es dem Tintoretto nahestand. Kein Wunder also, daß es mich so sehr ansprach und ich in eine Art von kleinem Schönheitsrausch vor ihm geriet.

Als Reaktion darauf muß ich wohl ein wenig elegisch geworden sein, denn in einigen Stunden sollte ja schon die genußvolle Fahrt ihr Ende haben. Und vielleicht, weil er mich in einer ernsten Stimmung sah, wollte mir der gute Vater Kühlmann noch etwas fürs Leben mitgeben. Dabei waren es wieder Worte Goethes, durch die er zu mir sprach. Er nahm mir mein Notizbuch aus der Hand und schrieb hinein:

„Im Refektorium des Klosters Diessen, wo das schöne Bild hängt:
Nach ewigen ehernen Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden.“

Und dann besann er sich und schien zu rekapitulieren, was er menschlich an mir beobachtet hatte während unseres Zusammenseins. Er muß mich wohl schon damals als „Empfindungstyp“ erkannt haben, den am tätigen Zupacken im Leben mancherlei Stimmungen und innere Hemmungen nur allzuoft hinderten. Und so schrieb er denn noch darunter:

„Was heute nicht geschehn, ist morgen nicht getan
Und keinen Tag soll man vergessen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Sogleich beherzt beim Schopfe fassen,
Er wird es dann nicht fahren lassen
Und wirket weiter, weil er muß.“

Als ich das nächste Mal nach München kam, habe ich mir dann von meinem kleinen Taschengeld für 75 Pfennige eine Volksausgabe des Faust besorgt, die ich noch heute besitze und von der ich unzertrennlich war. Auch auf allen Reisen meiner Jugend hat sie mich begleitet. Sie war mir nicht nur ein Spender unausschöpflichen Genusses, sondern auch ein Tröster und Helfer in mancher Seelennot. Zumal in meiner schwersten, als ich meinen kindlichen Glauben zu verlieren begann und verzweifelt nach einem Halt und einer Stütze suchte, die ihn mir irgendwie ersetzen konnte. Eine angeborene Sensibilität hatte sich in den Jahren beginnenden Heranreifens zum Manne zu einer inneren Reizbarkeit sondergleichen gesteigert und ich war in eine Grübelei verfallen, die mich Tag und Nacht entsetzlich quälte. Immer wieder gegen die Bindungen ankämpfend, die mich an einen Glauben fesselten, den ich verstandesmäßig - so glaubte ich wenigstens - längst überwunden hatte, rang ich mit allen geistigen und seelischen Kräften um eine Weltanschauung, die mir zum Leitstern meines jungen Lebens hätte werden können. Da fiel mein Blick auf jene Worte des alt gewordenen Faust, die auf unendlich viele Menschen die gleiche erlösende Wirkung getan haben mögen, die sie in mir tun sollten. Ich hob mir diese Worte heraus als Trost und Heilung meiner Skrupel und Zweifel und trug sie in mir fort und fort als stete Mahnung zu einem tätigen, einem produktiven Leben. Ständig klang es mir seitdem in den Ohren:

„Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt:
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um!
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
Er wandle so den Erdentag entlang;
Wenn Geister spuken, geh’ er seinen Gang;
Im Weiterschreiten find’ er Qual und Glück;
Er, unbefriedigt jeden Augenblick!“

War ich damit einer reinen Diesseitigkeit verfallen? Ich glaube es nicht. Zwar sah ich hinfort das Transzendente als etwas an, woran ein schaffensfrohes Leben sich nicht zu verlieren brauchte, aber auch als „Geisterspuk“ habe ich es niemals betrachtet. Konnte man nicht auch bald nachdem Goethe den Faust jene Worte hatte sprechen und ihn, den Erblindeten, im Überglück des Vollgefühls seines Schaffens sein Ende hatte finden lassen, konnte man da nicht sehen, wie der Dichter die überirdischen Mächte wieder zu Wort kommen ließ? Jedoch nicht strafend und rächend ließ er sie dem Manne gegenüber auftreten, der sie noch verleugnet hatte, sondern seine Seele aufnehmend in den Mutterschoß ewig segnender Liebe, weil sie ein volles Menschentum durchlebt und durchlitten hatte.

Nach der Verpuppung in ein oft allzu nachdenkliches und selbstquälerisches Wesen, das mich während der Entwicklungsjahre gehalten hatte, schlüpfte ich dann als ein recht selbstsicherer und lebensfroher Jüngling heraus ins Licht des damals so reichen Welttreibens. Die erste große Liebe kam und manch kleine. Das „Leidvoll und freudvoll, gedankenvoll sein, langen und bangen in schwebender Pein“ erlebte ich mit aller Intensität der Jugend und war doch glücklich dabei, wie eben „die Seele, die liebt“. Das war die Zeit, in der sich mir die Goethesche Frühlyrik erschloß. Sie veredelte mir mein eigenes Stürmen und Drängen und sang mit bei all’ jenem „Neigen von Herzen zu Herzen“, das ich damals durchlebte. Und so könnte ich alle Stufen menschlicher und künstlerischer Entwicklung meines Lebens durchgehen, und immer würde etwas, was ich Goethe und immer wieder nur ihm verdanke, mitschwingen. Ich habe wenig über ihn gelesen, aber seine Werke immer wieder. Manches hat sich mir erst spät erschlossen, etwa der westöstliche Divan, den ganz innerlich zu erfassen wohl einem jeden erst im Stadium voller Reife möglich ist. Goethe hat mich nie verlassen, und er wird immer bei und in mir bleiben, solange mir das Schicksal noch erlaubt, auf dieser Welt zu weilen. Jenes Erlebnis des längst entschwundenen Sommerabends am Hohen Peissenberg hat sich mir in tausend Varianten immer wieder erneut, das Erlebnis des eigenen Erlebten in der großen, umfassenden und dichterisch verklärten Schau des Goetheschen Geistes und sein Weiterwirken auf Leben, Schaffen und Erkennen.

Widmungsgedicht im Buch Goethe Sein Leben und Schaffen Dem deutschen Volke erzählt von Ludwig Geiger 1910 Ullstein & Co Berlin-Wien

„Else
So ist dem rechten Goethefex
Geheiligt jeder Tintenklex
Den jener nur so aus Versehen
- Plitsch - ließ auf seinem Blatt entstehen
Und was er liebte was er haßte
Was er nicht mochte, was ihm paßte
Ist diesem eitle Himmelsnahrung
So wie beim Kater mir ein Harung
- Dem andern ist das völlig wurst
Er sorgt beizeiten für den Durst
- Bei Gott nicht aus der Wasserleitung -
Und liest nichts als die Morgen-Zeitung
Läßt der Zigarre Ringeln schweben
Und wenn er satt ist, denkt er eben
Wer dichten muß und sowas treiben
Hats schlimm genug, ich laß es bleiben
Die Dichter sind mir zu proletig
Ich hab das Gottseidank nicht nötig

Wie edler sind doch dahingögen
Die Menschen die wo Künste pflögen
Und unter diesen allermeist
Der welcher einen Goethe preist
Hält stetig sich sein Leben vor
Rankt lesend sich an ihm empor
Und wird ein edler, großer, guter
(Ich kann nix für, jetzt reimt sich Puter)
Und wird ein edler, schöner Geist
(Der nämlich, der den Goethe preist.)

Ich rechne mehr zur ersten Sorte
Mich rühren schwer nur Dichterworte
Und andrer Leute Lebensbahn
Die geht mich ganz und garnichts an
Sei sie nun strahlend oder duster
Von Goethe oder meinem Schuster.
Zu sagen ists ja zwar gefährlich
Doch ich bin frech, und nenn das ehrlich

Dagegen von der höhern Sippe
Die früh berührt der Musen Lippe
Ist mir ein Exemplar bekannt
Mit dem ich ziemlich nah verwandt
Das sonst auch in der Künste Diensten
(Mit, glaub ich, großen Geldgewinsten)
Den Teil der Greizer, welcher singt,
Auf eine höhere Stufe bringt.
Das, glaub ich heulte laut und leise
Wenn es nicht wußte - beispielsweise
Was anno 1780
Den ersten Juli in der Nacht sich
So zwischen 2 und 3 herum
Ihr Goethe träumte - und warum.

Nun that ich hier ein Büchlein kaufen
Ist mir so quasi zugelaufen
Da steht das drin, da stehts zu lesen
Als wär man selbst dabeigewesen
Was Goethe, wann, wie jung wie alt
Wo, ob es warm war, od. kalt
In Weimar, oder in Italigen
Nur einmal oder viele maligen
Gefühlt, gehört, geweint, gelacht
Gethan gegessen und gedacht
Das ist sowas für meine Schwester
Schenk ich ihr das bin ich ihr Bester Carl

Weihnachten 1910
Carl s./1. Else.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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