Eine Rezension von Heidrun Schmidtke


Offene Fragen zur „Einbräunung Ostdeutschlands“

Jürgen Elsässer: Braunbuch DVU. Eine deutsche Arbeiterpartei und ihre Freunde.

Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1998, 144 S.

 

Eine Analyse zum Wiedererwachen rechtsradikalen Gedankenguts und rechtsradikaler Handlungen vorzulegen ist ohne Zweifel ein Verdienst, aber leider bleiben in dem Buch viele Probleme unangesprochen, und die Lektüre hinterläßt einen faden Geschmack.

Letztendlich geht es in dem von Jürgen Elsässer vorgelegten Text um die Frage, warum der in Ostdeutschland anscheinend besonders nahrhafte Boden für rechtsradikale Einstellungen und Handlungen relativ schnell und problemlos rekultiviert wurde. Der von der DVU bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 1998 errungene Stimmenanteil (12,9 %) wird als Indiz immer wieder angeführt, der bei weiteren Wahlen des Jahres 1998 befürchtete Vormarsch rechter Parteien auf Landesebene ist zum Glück ausgeblieben. Das ändert aber nichts an der bekannten Tatsache, daß rechtsradikales Gedankengut in der Bevölkerung stärker verbreitet ist, als es die abgegebenen Stimmen für rechte Parteien erkennen lassen. Sozialwissenschaftliche Forschungen der letzten Jahre haben den Anteil rechtsradikaler und/oder rechtsextremer Einstellungen bei der ostdeutschen Bevölkerung auf 3 bis 17 % je nach Definition und Untersuchungsmethode beziffert.

Eingedenk dieser Zahlen ist die Frage, wie es zur „besonderen Einbräunung Ostdeutschlands“ (so Jürgen Trittin im Vorwort) kam, durchaus berechtigt.

Der gängigen These von der „Protestwahl“, daß die Leute die DVU aus Enttäuschung über den deutschen Einigungsprozeß und seinen unmittelbaren Folgen wählten, will sich Elsässer nicht anschließen. Einheits- wie Modernisierungsverlierer müssen nicht per se nach rechts tendieren. Gezeigt wird dies an der geringeren Anfälligkeit von Frauen gegenüber rechten Tendenzen, obwohl gerade sie von Elsässer zu den Verliererinnen gezählt werden. (Nur nebenbei: Auch hier ist Vorsicht vor Vereinfachungen geboten.)

Als Kern der „Einbräunung Ostdeutschlands“ werden gewisse Persönlichkeitsstrukturen ausfindig gemacht, die „Schweine jede Schweinerei machen lassen, sei es Ausländer aufklatschen oder Fidschis jagen... Nicht die objektive Lage, sondern subjektive Verarbeitung dieser Lage ist entscheidend für Brutalisierung des Individuums.“

Selbst auf die Gefahr hin, daß die Rezensentin eines platten Ökonomismus verdächtigt wird: Die objektive Lebenslage ist nicht mit psychischen und sozialpsychologischen Gegebenheiten zuzudecken, ihr ist auch keineswegs eine Alibifunktion im Sinne einer Verelendungstheorie zuzuschreiben. Aber der Trend, soziale Tatbestände zu psychologisieren, wie es im Kapitel „German Psycho. Jung, männlich, frustriert: Massenpsychologie des Faschismus am Beispiel der DVU-Wählerschaft“ dargestellt wurde, ist völlig überzogen. Bieten Wilhelm Reich und die Freudsche Psychoanalyse für alles und ewig ein Erklärungsmuster? Oder die neueste Variante zur Erklärung des im Osten stärker verbreiteten autoritären Charakters, der durch die Krippenerziehung förmlich in die Wiege ostdeutscher Kinder gelegte Untertanengeist, der, mit Gefühlsstau und Sexualtrieb verbunden, nun plötzlich - und bei Einzeltätern wie Kay Diesner - zur Explosion kommt? Genug davon.

Ein wichtiger Tatbestand, den Elsässer bei seinem Braunbuch nur ungenügend ausbaut, ist das soziale Umfeld, in dem rechtsextreme Einstellungen und Handlungen gedeihen konnten und gedeihen. Nicht wenige sind der Auffassung, daß vor allem junge Leute sich als „Vollstrecker des Volkszorns“ sehen, in dem sie das, was viele angeblich denken, in rechtsextreme und fremdenfeindliche Aktionen umsetzen.

Interessant ist Elsässers Versuch, zwischen der von der DVU geradezu fetischisierten Arbeit und der Zeit zwischen 1933-1945 ein Verbindungsstück herzustellen. „Die Arbeit ist oft das einzige, was zerbrechliche Charaktere stabilisiert.“ Nun wird versucht, aufgrund des hohen Stellenwertes der Arbeit im Wertgefüge der Ex-DDR-Bürger und der heutigen Bewohner der neuen Bundesländer, daran anzukoppeln.

Sozialpädagogische oder sonstige Einflußnahme auf rechte Jugendliche ist nach Elsässers Auffassung fehlgeschlagen. Wenn Geld für Rechte da ist, und sie stellen ja eine wichtige Zielgruppe dar, und erlebnispädagogische Maßnahmen installiert sind, scheinen sich Ursache und Wirkung zu vertauschen. Mit Skins zu arbeiten heißt für Elsässer, sie zu verwöhnen, aber faktisch prügeln sie weiter und besetzten ganze Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Nebenbei werden die von der PDS gestarteten Versuche zur Lösung dieser Probleme gleich mit abserviert. Hier scheinen auch die besten Konzepte der Sozialpädagogik nichts bewirken zu können.

Zwischendurch sind die von Andreas Spannbauer sehr informativ geschriebenen Textabschnitte zum DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey und zur internen Struktur der DVU eine wohltuende Abwechselung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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