Eine Rezension von Willi Glaser


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Forscher und Erforschtes von Aristoteles bis Francis Crick

 

David E. Brody/Arnold R. Brody: Die sieben größten Rätsel der Wissenschaft und wie man sie versteht
Aus dem Amerikanischen von Michael Zillgitt.

Claassen Verlag, München 1999, 432 S.

 

„Die Wissenschaft ist im Grunde nicht mehr als eine Verfeinerung des alltäglichen Denkens.“ Von dieser einprägsamen Einsteinschen Aussage haben sich der Wissenschaftler Arnold Brody und der Rechtsanwalt David Brody, die Autoren der „Sieben größten Rätsel“, leiten lassen, als sie sich anschickten, Wissenschaftsgeschichte nicht nur schlechthin allgemeinverständlich informativ, sondern auch außerordentlich interessant und spannend zu präsentieren.

Sicher muß man nicht darüber streiten, ob die ausgewählten sieben „Rätsel“ wirklich die größten Entdeckerleistungen aller Zeiten waren; mit Sicherheit waren es fundamentale Etappen der Erkenntnis, die weiteren Forscherdrang herausgefordert haben oder aber Ausgangspunkt für neue Forschungsrichtungen waren.

In jedem der sieben in sich abgeschlossenen Teile verstehen es die Verfasser, nicht nur das wissenschaftliche Ergebnis an sich und die dazugehörige Forscherpersönlichkeit zu würdigen, sondern man erfährt auch wesentliches über die Bausteine, die letztlich Voraussetzung für das Zustandekommen jener fundamentalen Leistung waren. Im Untersuchungsteil „Newton und die Gravitation“ zum Beispiel sind dies insbesondere die epochalen Beiträge von Kepler und Galilei. Kepler war es, der als erster den Versuch unternahm, kosmische Aspekte mit physikalischen Kräften - statt wie bisher - per Deutung durch göttliches Wirken zu erklären. Die drei Keplerschen Gesetze (insbesondere das erste von der elliptischen Bahnbewegung der Planeten mit dem „Standort“ Sonne in einem der Brennpunkte) waren die erste wissenschaftlich begründete Verbindung von Physik und Astronomie. Ebenso gilt Galilei mit seinen Schriften über Bewegung, Gezeiten und fallende Körper sowie als Miterfinder des Teleskops als Wegbereiter der modernen Physik.

Newton erkannte die Leistungen seiner wissenschaftlichen Vorgänger an, als er sagte, daß er „auf Schultern von Giganten stünde“. Newtons Hauptwerk Principia gilt als eines der bedeutendsten Veröffentlichungen, die je in der wissenschaftlichen Spezialdisziplin Physik erschienen sind. Mit drei in lateinischer Sprache verfaßten Einzelbänden war dieses Werk so umfangreich, daß es fünfzig Jahre dauerte, bis das Newtonsche System des Universums durchgängig Lehrgegenstand der Bildungseinrichtungen wurde. Zu Recht zählt man wohl Newtons Entdeckungen zu den sieben größten Leistungen in der Geschichte der Wissenschaften, insbesondere deshalb, weil vieles, was später erforscht wurde, ohne diese Vorarbeiten nicht oder zumindest sehr verzögert realisiert worden wäre. Newton und sein Werk sind bei Brody & Brody übrigens der einzige nicht im 20. Jahrhundert angesiedelte Untersuchungskomplex zu den Highlights der Wissenschaftsgeschichte.

Die Autoren haben die „Sieben Rätsel“ sehr eng verknüpft mit den Mißerfolgen und Erfolgen der ungewöhlichen zehn Persönlichkeiten, denen die Hauptanteile der jeweiligen Lösungsfindung gebühren. Im einzelnen sind dies Isaac Newton für die Entdeckung der Gravitation und der Grundgesetze der Physik, Ernest Rutherford und Niels Bohr (Aufbau der Atome), Albert Einstein (Relativitätsprinzip), Edwin Hubble (Urknall und Entstehung des Universums), Charles Darwin (Evolution und Prinzip der natürlichen Auslese), Walter Flemming und Gregor Mendel (Zelle und Genetik) sowie Francis Crick und James Watson mit ihren Arbeiten zur DNA-Struktur.

Nochmals sei hier angemerkt, daß es den Verfassern durchgängig gelungen ist, die Vorleistungen vorangegangener Forschergenerationen u. a. im Licht der aktuellen gesellschaftlichen Schranken und der Nichtverfügbarkeit der zur Innovation erforderlichen Instrumente und Gerätetechnik als Pionierleistungen zu würdigen. Besonders eindrucksvoll ist dies im Darstellungsteil „Atomaufbau“ gelungen. Der Leser erfährt hier interessante Details von der Atomtheorie der alten Griechen, den Methoden der Alchimisten als den Grund-steinlegern der heutigen Chemie, über die Entdeckung der ersten Elemente und Daltons moderne Theorie zum Aufbau der Atome bis zum System der Elemente des russischen Forschers Mendelejew. Weitere Lebensbilder und Forschungsergebnisse sind hier u.a. dann W.C. Röntgen mit seinen X-Strahlen, die Entdeckung der Alphastrahlung durch Becquerel, der Nachweis der Existenz von Elektronen durch J.J. Thomson und Heinrich Hertz, die Leistungen von Marie Curie, die den Begriff Radioaktivität geprägt und 1903 zusammen mit ihrem Mann Pierre und Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik erhalten hat, bis hin zum heutigen Standardmodell vom Aufbau der Materie aus Quarks und Leptonen, das allerdings nach jüngsten Forschungsergebnissen auch schon wieder angezweifelt wird. Mit einem Diskurs zum Manhatten-Projekt und den daraus resultierenden Unternehmen „Little Boy“ (Hiroshima) und „Fat Man“ (Nagasaki) stellen David und Arnold Brody Überlegungen zu Sinn und Unsinn menschlichen Forschungs drangs an und kommen zu dem Schluß, daß hier wohl Einsteins Prophezeiung Realität wurde.

Bei den durchgängig in sich schlüssig und zum Weiterlesen anregenden Recherchen fällt es schwer, ein Kapitel oder Thema besonders hervorzuheben. Trotzdem ist wohl das Einsteinsche „Relativitätsprinzip“ und die unbeirrbare Suche des genialen Forschers nach Ordnung in einer chaotischen Welt als nachhaltig beeindruckend hervorzuheben.

Die den „Sieben Rätseln“ zugeordnete Bibliographie ist recht umfangreich und umfaßt vorwiegend englischsprachige Literaturhinweise.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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