Eine Rezension von Birgit Pietsch


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Wissenswertes über die Literaturmetropole Berlin

 

Michael Bienert: Berlin
Wege durch den Text der Stadt.

Klett-Cotta, Stuttgart 1999, 227 S.

 

Es gibt viele Möglichkeiten, sich einer Stadt zu nähern, eine davon ist die auf den Spuren berühmter Dichter und Schriftsteller. Wenn dieser oder jener Ort als Schauplatz eines Romans vor dem geistigen Auge wiederauferstehen soll, verlangt das zwar oft einige Vorstellungskraft, entschädigt aber für diese Mühe, verleiht es doch oft ganz banal scheinenden Stät ten etwas Weihevolles. So bieten also verschiedene Reiseveranstalter literarische Spaziergänge an. Auf den Spuren Theodor Fontanes, Unterwegs mit Joseph Roth ... so oder so ähnlich lauten die Angebote von Agenturen. Was als Führung funktioniert, taugt auch für das Konzept eines Buches. Warum also nicht das Ganze zu Papier bringen, mag sich Michael Bienert gedacht haben, um so dem Interessierten ein Lese- und Wanderbuch mit auf den Weg zu geben. Wer den acht Stadtrundgängen Bienerts folgt, begegnet nicht nur den klassischen Dichtern der Vergangenheit wie Chamisso, Heine oder Fontane, sondern auch Autoren der Gegenwart wie Christa Wolf, Wolf Biermann oder Irina Liebmann. Einmal begegnen wir Orten, die so nicht mehr vorhanden sind. Etwa auf den Spuren von Wilhelm Raabe in der Sperlingsgasse, eine der wenigen Straßen, die nach einem literarischen Werk benannt wurden und wo nun wirklich überhaupt nichts mehr an die Spreegasse erinnert, die Raabe 1856 zu seiner Chronik der Sperlingsgasse anregte. Ein anderes Mal läßt Bienert seine Leser von einer Person führen, die nie gelebt hat: Mit dem Romanhelden aus Berlin Alexanderplatz, Franz Bieberkopf, geht es durch den „wilden Osten“. Hier findet sich auch Bienerts Plädoyer dafür, daß man, anstatt der in der Literatur aufbewahrten Vergangenheit nachzujagen, sie lieber als Wahrnehmungsschule gebrauchen sollte. Wenn man den heutigen Alexanderplatz etwa mit der gleichen Wachheit anschaue wie Döblin, dann würde er dem seinen unversehens ähnlich. Mit Heinrich Heine als Stadtführer erlebt man den Prachtboulevard Unter den Linden neu und ist überrascht, wie zeitgemäß die Zeilen Heines zu Berlin sind. Poetische Interieurs schildert Bienert in seinen sechs Skizzen zu Literaturorten in Berlin, die gleichzeitig Museen oder Gedenkstätten für Literaten sind: so die Mori-Ogai-Gedenkstätte in der Luisenstraße oder das Gerhart-Hauptmann-Museum in Erkner.

Insgesamt vermittelt Bienert in seinem Buch nicht nur Wissenswertes über die Literaturmetropole Berlin, sondern gibt auch Anregungen zum Nachwandern.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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