Eine Rezension von Volker Strebel


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„... Sehnsucht nach dem frischen Geruch Rußlands“

 

Thomas Urban: Vladimir Nabokov - Blaue Abende in Berlin

Propyläen Verlag, Berlin 1999, 248 S.

 

Spätestens seit dem handfesten Skandal um den angeblich pornographischen Roman Lolita ist Vladimir Nabokov ein international bekannter Schriftsteller - zumindest war er seit dieser Zeit finanziell unabhängig und konnte sorgenfrei vom Schreiben leben. Der US-Bürger Nabokov zog sich damals an den Genfer See in der Schweiz zurück, wo er fortan mit seiner Frau in einer Hotelsuite lebte.

Nur wenigen Lesern war es bekannt, daß der 1899 in Rußland geborene Vladimir Nabokov fünfzehn Jahre lang, von 1922 bis 1937, in Berlin gelebt hatte.

Der Slawist Thomas Urban beschäftigt sich seit langer Zeit mit Vladimir Nabokov und dessen Literatur. Im vorliegenden Buch beleuchtet der Autor besonders diese fünfzehn Berliner Jahre, wofür er zum Teil bisher uneingesehenes Material aus russischen Archiven verarbeiten konnte.

Im Berliner Exil verfaßte Vladimir Nabokov seine ersten Romane. Sein geometrischer Schach-Roman korrespondierte auf eigenartige Weise mit einem Berliner Stadtmythos. Metaphern der Entfremdung zeigen, daß sich Nabokov in der Berliner Fremde nicht besonders wohl gefühlt hatte. Dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, daß Nabokovs Vater, ein damals berühmter russischer Liberaler, in Berlin einem Attentat fanatischer Monarchisten zum Opfer gefallen war.

Andererseits fiel in Nabokovs Berliner Zeit die endgültige Entscheidung für den Beruf des Schriftstellers, auch wenn die wirtschaftliche Situation dadurch oft genug erschwert wurde. In Berlin heiratete Nabokov die Schauspielerin Vera Slonima, und in Berlin kam in einer kleinen Privatklinik in der Nähe des Bayrischen Platzes am 10. Mai 1934 der Sohn Dmitrij zur Welt.

Vor allem zu Beginn der 20er Jahre war Berlin erste Anlaufstelle für russische Emigranten. Fast eine halbe Million russischer Flüchtlinge und Emigranten hatte sich hier eingefunden. Ein fruchtbarer Boden für einen regen kulturellen Austausch. Unzählige russische Vereine, Klubs sowie Theater prägten das „russische Berlin“, als deren Chronist oft Vladimir Nabokov genannt wird. 1923 zählt die Statistik 86 russische Buchhandlungen und Verlage sowie 39 regelmäßig erscheinende Zeitschriften.

Bemerkenswert ist, daß sich das russische und das deutsche kulturelle Leben eher parallel voneinander entfalteten. Die Fremdheit schien überwogen zu haben. Dazu kam das Heimweh der Emigranten, die eigentlich, wie im Falle der Familie Nabokov, Vertriebene waren: „Blaue Abende in Berlin, der blühende Kastanienbaum an der Ecke, Verwirrungen, Armut, Liebe, der Mandarinenschimmer frühreifer Ladenbeleuchtungen und eine geradezu physisch schmerzende Sehnsucht nach dem frischen Geruch Rußlands.“

Da Nabokov mit einer jüdischen Frau verheiratet war, mußte er 1937 Berlin verlassen. Und obwohl die Nabokovs ihren Lebensabend in Europa verbrachten, hat Vladimir Nabokov Deutschland nicht wieder besucht. Manche Kommentatoren sprachen von einer antideutschen Einstellung Nabokovs. Dazu muß erwähnt werden, daß Nabokov auch seine russische Heimat nie mehr betreten hat, obwohl sich unter Umständen Möglichkeiten geboten hätten. Seine Abscheu gegen erlebte Massenhysterie, egal welcher Couleur, mag ihn daran gehindert haben. Über die in Berlin erlebte Naziherrschaft schrieb Nabokov: „Ein grausiger Kitsch, der sich zu einem Regime auswuchs, das in seiner baren, düsteren Vulgarität nur mit dem Rußland der sowjetischen Ära zu vergleichen ist.“

Es ist bemerkenswert, daß Vladimir Nabokov, der bereits als Emigrant in Berlin Zusammenkünfte mit sowjetfreundlichen Schriftstellern wie Ilja Ehrenburg vermieden hatte, noch 1962 seine Teilnahme an einem Schriftstellerkongreß in Großbritannien absagte, weil dort ebenfalls Ilja Ehrenburg als Repräsentant Moskaus auftreten sollte.

Thomas Urbans wertvolle Studie deckt derlei Hintergründe auf und ermöglicht ein neues Bild von Vladimir Nabokov. Er war beileibe nicht, wie oft vermutet, jener naiv-unpolitische Zeitgenosse, sondern ein unbestechlicher Verfechter von Freiheit und Demokratie.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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