Eine Rezension von Helmut E. Günter


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Er schreibt, wie’s ist

 

Alexander Osang: Ankunft in der neuen Mitte
Reportagen und Porträts.

Ch. Links Verlag, Berlin 1999, 232 S.

 

Manche Abonnenten lesen die „Berliner Zeitung“ nur deshalb noch immer, weil sie nicht auf Alexander Osang verzichten wollen. Erscheinen längere Zeit keine Beiträge von ihm, sieht sich die Redaktion gezwungen, eine Erklärung für seine Abwesenheit im Blatt abzudrucken. Diese Form der Popularität hat der jetzt 37jährige Theodor-Wolff- und zweifache Egon-Erwin-Kisch-Preisträger Osang nicht von ungefähr erreicht. Die drei bisherigen Sammlungen seiner Reportagen und Porträts und die Legenden um Tamara Danz liegen im Links Verlag inzwischen jeweils in zweiter, dritter oder vierter Auflage vor, und der neue Band verspricht eine gleichermaßen große Publikumsresonanz.

Alexander Osang ist ein Kultautor. Ich fürchte: ein Kultautor des Ostens. Woanders muß man sowieso erst erklären, wer Egonek Kisch war. Worin der besondere Reiz von Osangs Prosa liegt, ist schwer zu sagen. In der Kürze? In der scheinbaren Pointenlosigkeit? Darin, daß die Leute ihn - im Gegensatz zum Rest des Feuilletons - verstehen?

Osang schreibt über Dinge, zu denen er eine Beziehung hat und von denen die Leute glauben, sie verstünden auch was davon. Dabei macht er sich gerne über die Leute lustig. Manche merken es vielleicht gar nicht, dem Rest gefällt es, denn: Er war und ist einer von ihnen. Einer von uns. Einer aus dem Osten, der sich dessen partout nicht schämen will. Inzwischen ist er weit rumgekommen. War mit dem Ehepaar Sanke in Manhattan. Mit Frank Castorf in Belgrad. Bei Charlotte von Mahlsdorf in Schweden. Er hat die Welt gesehen und nicht vergessen, woher er kommt und wie klein die Welt für ihn und uns einmal war. Er versucht nichts zu erklären oder zu kommentieren. Er schreibt, wie’s ist. Punktum.

Wie sein Vorbild (?) Kisch findet Osang seine Stoffe im Alltäglichen: in der zugigen Friedrichstraße, die noch immer kein Boulevard geworden ist, in der verkehrserstickten Brückenstraße an der Jannowitzbrücke, auf dem Polenmarkt jenseits der Oder, im koreanischen Samsung-Werk in Oberschöneweide, auf dem Arbeitsamt VI in Lichtenberg. Anders als Kischs milde Ironie ist die seine ein bißchen ätzender, was das Lesevergnügen verstärkt, aber auch nicht von der billigen Allwissenheit à la SPIEGEL. Er schreibt in der gleichen, nur scheinbar auf die blanke Schilderung der Realität beschränkten Art über die rechte Szene in Brandenburg, fragt sich und uns vergeblich, was die Menschen auf der Grünen Woche suchen, und liefert überzeugende Porträts der verlorenen Revolutionäre des 89er Herbstes. Er hat Angela Merkel und Täve Schur besucht, Schabowski und den Gründer des Rotary-Clubs in Havelberg.

Ankunft in der neuen Mitte enthält Beiträge, die zwischen Februar 1996 und November 1998 in der „Berliner Zeitung“ gestanden haben. Nur mit Sankes war er schon 1994 in New York. Meine Lieblingsreportage heißt Guten Morgen, Berlin! Der härteste Radiomarkt Europas und seine fröhlichen Frühstücksprogramme. Schlimmeres läßt sich über Berlins morgendliche Dudelfunker kaum schreiben. Sie zu zitieren, wie es Osang tut, heißt sie zu karikieren. Schlimmer: sie bloßzustellen. Das gehört zu Osangs Methode. Der Intelligenzquotient professioneller Radioschwätzer wird offensichtlich nur von dem ihrer Hörer unterboten. Das schreibt Osang nicht etwa. Es steht, alter DDR-Tradition folgend, zwischen den Zeilen.

Ohne Zweifel: Alexander Osang hat etwas gefunden, was bei Journalisten selten genug geworden ist: einen eigenen, unverwechselbaren (und inzwischen häufig nachgeahmten) Stil. Daß der in Osangs schwächeren Beiträgen manchmal ein bißchen manieriert wirkt, sei nur am Rande angemerkt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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