Eine Rezension von Christel Berger


Ein Friedfertiger in kriegerischer Zeit

Heinz Knobloch: Eine Berliner Kindheit
Zwischen Olympia und Luftschutzkeller.

Jaron Verlag, Berlin 1999, 203 S.

 

Heinz Knobloch ist in letzter Zeit mit mehreren autobiographischen Arbeiten an die Öffentlichkeit getreten. (Nase im Wind. Zivile Abenteuer, 1994; Eierschecke. Dresdner Kindheit 1995; Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen, 1997.) Dabei bekennt er, es sei ihm schwergefallen, über sich selbst zu schreiben, und manchmal sei er im Zweifel gewesen, ob sein Leben überhaupt etwas hergäbe. Aus der Normalität seines Leben hat er ein literarisches Programm gemacht, das sich auch in seinem neuesten Buch bewährt.

Mit dem Satz „Ich wäre lieber in Dresden geblieben“ ein Buch über Berliner Kindheit zu beginnen, paßt zu Heinz Knobloch. Mit neun Jahren zog er im Dezember 1935 nach Berlin, und er wurde bekanntlich - trotz der anhaltenden Liebe zu Dresden - ein Berlin-Kenner der Sonderklasse. Berlins Friedhöfe, alte Gemäuer, Bahntunnel und Streckenführungen, Berlin-Geschichte und vor allem Schicksale von Berlinern wie Moses Mendelssohn, Mathilde Jacob, Sally Epstein oder Wilhelm Krützfeld (der beherzte Reviervorsteher) haben es ihm angetan. Seine Feuilletons erzählen oft von Berlin, aber vor allem: Sie sind berlinisch. Lakonisch, witzig, auf einen Punkt gebracht. Dieser Ehren-Berliner wäre also als Kind lieber in Dresden geblieben.

Berlin jedoch bot dem Vater Arbeit, und so wurde nicht lange gezögert. Der sächselnde Knabe sah sich von nicht sehr toleranten Berliner „Schnodderschnauzen“ umgeben, aber es fand sich auch bald ein Freund, ein „stiller“ Junge. Zwei Außenseiter hatten sich so gefunden. Leider verzog dieser erste Berliner Freund bald, und erst als alte Männer haben sie sich in Marzahn bei einer Lesung wiedergetroffen, und Horst erinnerte sich an ganz anderes aus der gemeinsamen Zeit. Knobloch fügt dessen Erinnerung ein, nimmt sie auf und erzählt von dem erfolglosen Klavierunterricht seiner Kindheit, für den im Unterschied zum Gymnasium das Geld dagewesen war.

So „strickt“ er seine Texte. Bei der Beschreibung des Schulwegs verweilt er an einzelnen Gebäuden, erinnert Schicksale ihrer Bewohner, beschreibt, wie er mit ihnen bekannt wurde, landet oft in der Gegenwart und verknüpft so die Fäden eines Lebens mit der Geschichte einer Straße, eines Stadtviertels und den Erlebnissen von Zeitgenossen und historischen Persönlichkeiten. Ein Teppich voller Bezüglichkeiten, Anekdoten, Lebenserfahrung. Das Buch schließt die Lücke zwischen den bereits erschienenen Eierschecke (die Dresdner Kindheit) und Nase im Wind (Soldatenzeit), und es ist auch in seiner Art als ein Verbindungsglied erkennbar: Von der Geborgenheit und Gemütlichkeit des Dresdner Kindheitsmilieus nun das „zügigere“ Berlin der späten dreißiger Jahre mit Pubertät, Lehrlingszeit und Kriegsbeginn, der zuerst den Vater trifft. Heinz Knobloch erzählt einen Alltag, der ein Gemisch üblicher und unüblicher Vorstellungen jener Zeit ist. Gerade das macht den Reiz des Buches aus und gerät so zu einer scheinbar naiven Rechenschaft über eine Existenz nicht etwa als fanatischer Hitlerjunge, aber auch nicht als bewußter Gegner. Die uneigennützige Hilfe des jüdischen Arztes hat ihn immun gemacht gegenüber wütendem Antisemitismus, aber die Erinnerung an den verschwundenen jüdischen Mitschüler, mit dem er als „deutscher Junge“ auf Geheiß der Großmutter nicht spielen sollte, hat ihn erst viel später belastet. Ein Friedfertiger, skeptisch durch das Vorbild der Eltern, eher unpolitisch in politisierter Zeit - so beschreibt er sich und erinnert an gefundene Nischen für seinesgleichen, aber auch an Erlebnisse, da er Menschenmassen erlebte, die beim Anblick des „Führers“ in Tränen ausbrachen. Die nüchterne Betrachtung aus heutiger Sicht läßt keinen Zweifel offen: Knobloch geht mit sich kritisch um, und er beweist die ihm eigene tätige Kritik: Wo er früher „blind“ war, guckt er nun genau und mehrmals hin. Aus dem „unschuldigen Blick“ ist kritische Prüfung als Lebensprinzip geworden.

Das Besondere des Buches sind wieder das Unspektakuläre sowie die Genauigkeit der Erinnerung, durch Recherche geprüft und bestätigt. Aus der Rolle, die Kino, Radio, Zeitung und Oper in jener Familie spielten, entsteht ein „Sittenbild“, das die Verschiedenheit von Gegenwart und Vergangenheit sinnlich macht. So wird das Buch Kulturgeschichte und Autobiographie, Berlin-Buch und überlanges Feuilleton. Wieder darf der Leser den Flaneur Knobloch mit Gewinn an Wissen und Genuß beim Plaudern und Sehen begleiten, und es macht Spaß, die Straßen und das Haus der Kindheit zu entdecken, wo es immer ganz besonders riecht und geheimnisvolle Ecken und Schlupfwinkel gibt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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