Eine Rezension von Hans-Rainer John


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Stewardessen sind doch die besseren Frauen

 

Gerd Graenz: Begegnung Unter den Linden
Roman.

Universitas Verlag, München 1999, 192 S.

 

Das ist ein ärgerliches Buch. Ärgerlich die arrogant-herablassende Art, wie hier Lebensverhältnisse in der ehemaligen DDR dargestellt werden (die Schilderungen könnten aus der Zeit des Kalten Krieges stammen), ärgerlich auch das literarische Unvermögen des Autors, seinen Stoff zu bewältigen, und die Oberflächlichkeit bei der Zeichnung der Charaktere. Dr. Gerd Graenz (76) ist ein österreichischer Banker, der 1988/89 als Repräsentant seines Unternehmens in Berlin tätig war. Offenbar hatte er das Bedürfnis, seine damaligen Tagebucheintragungen zu verwerten. Aber nicht jeder Banker entpuppt sich im Alter als ein Literat. In diesem Falle gilt wohl der Spruch „Schuster, bleib bei deinem Leisten“.

Miller, Manager eines amerikanischen Weltkonzerns, wird im April 1989 nach Ostberlin entsandt, um eine Repräsentanz aufzubauen. Schon auf dem Flugplatz erschnuppert er eine muffige, unfreundliche Atmosphäre, und tatsächlich entdeckt er nur geduckte, einheitlich grau gekleidete, freudlose Menschen, die so gut wie nie lachen und die Schmuck, Uhren, Pelze und Schuhe nur aus dem Westfernsehen kennen. Die Luft stinkt nach Schweiß, die Straßen sind schmutzig, in den Häusern riecht es nach Kohlsuppe, und in den Interhotels sind die Betten hart und viel zu schmal, die Wäsche ist zerschlissen und löchrig, sie riecht nach Ersatzseite (!), die Zimmer sind spärlich eingerichtet und abgewohnt, das Wasser ist lauwarm, die verrostete Dusche tröpfelt nur spärlich, und das Essen schmeckt fad und wird lieblos zubereitet. Daß keine Bierbüchsen und Tetrapacks die Straßen verunzieren (weil es nur Mehrwegpackungen gibt), daß keine Obdachlosen, Stadtstreicher und Drogensüchtigen herumlungern (weil man solche gar nicht kennt), daß es keine Arbeitslosen gibt, keine Straßendirnen und Pornoläden, fällt unserem Miller nicht weiter auf. Er besucht die Deutsche Staatsoper, aber da vermißt er Glanz und Fülle, Smoking und Abendkleider, Perlen und Smaragde, nur ein paar Gläser warmen Sekts stehen herum. Und die Musik, die Inszenierung? „Alles irgendwie gewollt, schlecht nachgemacht.“ Die Zuschauer, viele Jugendliche darunter (als wäre allein das schon disqualifizierend), sitzen gelangweilt herum, und die wenigen wirklich Interessierten fühlen sich fehl am Platz. Als Kommentar zu der anerkannten und blühenden europäischen Theatermetropole Ostberlin ist das wohl erbärmlich.

Besagter Mister Miller, der ohne Frau und Kinder lebt, seine sexuellen Bedürfnisse vorzüglich unterwegs bei Stewardessen befriedigt, entdeckt plötzlich mitten auf der Rungestraße an der Jannowitzbrücke eine wunderschöne, elegant gekleidete Frau von Mitte dreißig, die sein erotisches Interesse erregt und seine Einladung zum Mittagessen auch sofort annimmt. Es handelt sich um Anne, die hier wohnt, eine leitende Mitarbeiterin des DDR-Kulturministeriums, recht klug wohl und, wie sich später herausstellt, gut am Herd und gut im Bett. Nun entwickelt sich eine leidenschaftliche Liaison, die beide auch nach Feldberg, Schwerin und Leipzig führt, aber Miller zu keinen tieferen Einsichten bezüglich der hiesigen Lebensverhältnisse verhilft. Diesmal freilich ist es Miller mit der von allen bewunderten Frau namens Anne ziemlich ernst, denn er denkt an eine Ehe. Inzwischen wird er auf einen noch einflußreicheren Posten nach Zürich berufen, in der DDR dagegen vollzieht sich gerade die Wende. Der Staat geht den Bach hinunter, Anne wird freigesetzt. Beide Koffer für Zürich sind schon gepackt, die Tickets sind gebucht, die Taxe zum Flugplatz ist vorgefahren, da erteilt Anne ihrem Mister Miller eine Absage: Sie vermag ihr Land nicht zu verlassen. Miller fliegt allein und tröstet sich (wieder) mit einer Stewardeß.

Die Geschichte wird fast ausschließlich aus Millers Perspektive erzählt. (Die zwei Ausnahmen, nur wenige Zeilen umfassend - Anne verhandelt über ein Theaterfestival in Schwerin, der Kulturminister verabschiedet Anne nach der Wende -, sind tatsächlich ein Stilbruch.) In Annes Denken und Fühlen wird so kein Einblick gewährt. Was sie, die als „sozialistischer Elitekader mit Parteikarriere“ (was immer man sich auch darunter vorstellen soll) apostrophiert wird, bewegen sollte, sich mit einem solchen Manne zu liieren, der ihrem Denken meilenfern sein müßte (zumindest kontroverse Standpunkte müßten doch hin und wieder ausgetragen werden), bleibt unenthüllt. Ein Rätsel bleibt ebenso, was Anne am Ende zum Bleiben bewegt, nachdem sie die Koffer schon gepackt, die Zusage zu Reisebegleitung und Eheschließung erteilt hat und weder Beruf noch familiere Bindungen der Abreise im Wege stehen.

Die Untiefen dieser Story - die Schilderungen des Geschlechtsverkehrs sind übrigens groß und vulgär - werden mit Versatzstücken aus des Autors Tagebuchnotizen collagiert. Da werden Berliner Bauwerke historisch erläutert (Anne fungiert als Stadtführer), da wird aus Personenzetteln und Programmheften der Theater zitiert, da wird der Ablauf der Wende in ein paar oberflächlichen Schritten nachgezeichnet. Gerade bei letzterem hat der Autor große Möglichkeiten verschenkt. Die historische Demonstration vom 4.11.89, vorwiegend von Kulturschaffenden initiiert, zielte auf einen reformierten, demokratischeren, effektiveren Sozialismus. Gerade unter Künstlern breitete sich Entsetzen aus, als die von ihnen angestoßene Entwicklung in Richtung eines bedingungslosen Anschlusses an die BRD überschwappte. Was hätte dieses Moment für einen Charakter wie Anne ergeben können - aber eine oberflächliche kapitalistische Frohnatur wie Mister Miller hätte solchen Zusammenbruch bei der Partnerin wohl gar nicht zu registrieren vermocht.

Literarisch ist das Buch bedeutungslos, politisch ist es ein Störfaktor für das Zusammenwachsen der Deutschen. Wer in der DDR gelebt hat, wird sich entweder totlachen oder schwarzärgern. Ist es Unfähigkeit zur Recherche oder Oberflächlichkeit und Desinteresse oder Bösartigkeit gar, was hier zu solch handfestem Beleg für die abschreckende Überheblichkeit des Westens geführt hat ?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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