Eine Rezension von Bernd Grabowski


Vom Angeln in Kellerlöchern und anderen Kinderspielen

Manfred Bofinger: Der krumme Löffel
Miniaturen einer Kindheit.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 240 S.

 

„Jahrelang lagen wir auf den Knien“, erinnert sich Manfred Bofinger an seine Kindheit. Mit der Nase direkt am Gitterrost, starrte er in dunkle Kellerlöcher, dabei immer in Bereitschaft einen langen Stock, an dem unten ein rechtwinklig gebogener Eßlöffel festgebunden war. Wurde etwas Brauchbares entdeckt, beförderte der Löffel den Schatz nach oben: Geldstücke, Murmeln, Nägel, Schrauben, Knöpfe, Glasscherben, Gürtelschnallen, Fahrradventile, Zigarren- und Zigarettenkippen. Das Aufregendste, so erzählt die Titelgeschichte, sei eine mumifizierte riesige Schabe gewesen. Der krumme Löffel bewährte sich ausgezeichnet, doch beim Versuch, ihn wieder geradezubiegen, zerbrach er.

Bofinger, Jahrgang 1941, vermittelt mit solchen kurzen wie kurzweiligen, heiter-ernsten und pointierten Geschichten - 202 an der Zahl - ein mosaikartiges Gemälde vom Leben im Nachkriegs-Berlin aus der Perspektive eines Lausbuben. Schon damals hatte der phantasie- und humorvolle Zeichner, der übrigens seit 1991 auch Kinderbücher schreibt, viel Phantasie und Humor beim Spiel wie beim Ausknobeln von kuriosen Wettbewerben und Streichen bewiesen. Das allgemeine Elend, die Trümmerwüsten in der Vier-Sektoren-Stadt erwiesen sich dabei nicht als hinderlich. Gleichaltrige werden dem Autor recht geben, wenn er eingangs feststellt, „daß die Jahre der Notbehausungen, der eiskalten Winter und des Hungers aus Kindersicht mitunter auch vergnüglich und freundlich waren“. Ich kann die Erfahrungen nachvollziehen und bestätigen, da ich, 1943 geboren, in der gleichen Gegend gewohnt habe. Bei noch jüngeren Lesern vermag das Buch Aha-Effekte auszulösen: So also war es damals!

Man lernt halbdunkle, feucht-muffige Kellerwohnungen kennen, die gerade in jenen Häusern üblich waren, in denen die Familie Bofinger lebte: in der Krausnickstraße und in der Rheinsberger, beide in Berlin-Mitte gelegen. Man kann einen Augenzeugenbericht von der Sprengung des Bunkers im Humboldthain lesen, über Polizeirazzien auf dem schwarzen Markt und über das einstige Berliner Original, den auf seinem Artistenfahrrad turnenden Strohhut-Emil. Man erfährt, welchen Wert damals Comics und Sanella-Sammelbilder hatten, wie sich die Leute bei den häufigen wie überraschenden Stromsperren verhielten, als was für eine Delikatesse Brausepulver galt. Vorgestellt werden auch die Kinderspiele von früher: murmeln, sammeln von Maikäfern, klettern in den Ruinen, trieseln, Buntmetall klauen, Schwitzkasten-Wettbewerbe, springen von einer Spreebrücke, Kino per Laterna magica und eben das Angeln in Kellerlöchern mit einem krummen Löffel.

Ein Bofinger-Buch ohne Bofinger-Bilder? Zum Glück nicht. Erfreulicherweise hat der Künstler zwei Bleistiftzeichnungen seinen Texten hinzugefügt. Sie stammen aus der Zeit, als es noch eine Kunst war, einen Bleistift aufzutreiben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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