Eine Annotation von Gisela Reller


Eppel, Asar:

Die Straße aus Gras

Erzählungen.
Aus dem Russischen von Thomas Wiedling.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1998, 249 S.

 

Die neun Erzählungen in Die Straße aus Gras wurden 1979/80 geschrieben; sie sind datiert. Ihr Erscheinen zum Ende der Perestroika wurde eine Sensation für die russischen Leser.

Für Asar Eppel (ein russischer Jude(?), der Verlag läßt uns darüber im unklaren) ist nichts unbeschreiblich - nicht einmal eine typisch russische Toilette, die eigentlich wirklich unbeschreiblich ist: „Bekanntlich hat unser Volk zu derartigen Örtchen ein selten nachlässiges und schmuddeliges Verhältnis. Ihm, sprich dem Volke, ist’s nichts wert, es vernachlässigt die Grundkenntnisse des Zielens, beschmutzt den Rand der Öffnung, pißt auf den Boden, läßt Fingertapser an der Wand. Die Bretter saugen alles auf, alles trocknet an, die absichtliche Schmuddeligkeit zieht eine erzwungene Schmuddeligkeit nach sich, genau überm Loch zu sein wird immer schwieriger und schwieriger ... aber das Volk läßt es nicht gut sein - wohin auch sonst?“ 42 Buchzeilen ist dem Autor das verschwiegene Örtchen wert.

Ein Jammer, meint Asar Eppel an einer Stelle des Buches, daß (auch) von derart unliterarischen Dingen die Rede sein muß ..., doch um der Wahrheit des Lebens willen könne er diese täglichen Dinge nicht unerwähnt lassen...

Asar Eppel schreibt über die alltäglichsten Dinge in einem oft naiv anmutenden Stil, bezieht hier und da den Leser mit ein, läßt handelnde Personen auch schon mal im niedlich wirkenden Jiddisch sprechen. An manchen Stellen aber ist er fast obszön, es wird gefickt, gekackt, gepinkelt. Auch satirisch kann er sein, aber nicht schalkhaft-lächelnd, nicht jiddisch-verschmitzt.

Der Verlag schreibt in kargen vier Zeilen zum Buch, daß Asar Eppel mit kunstvollen Worten eine vergangene Welt zeichnet - die des russischen Judentums. Die Menschen in den „Straßen aus Gras“ sind bitterarm, meist ungebildet, hungern und frieren. Hier und da in den Erzählungen ist mal von einem Juden die Rede, von einem Judenbengel, einem Judenrock, ansonsten könnten die Menschen, die Asar Eppel so überaus eindrucksvoll beschreibt, auch Russen sein. Sie leben in der Vorstadt von Moskau, nahe Chimki - bis dahin sind die Deutschen im Zweiten Weltkrieg vorgedrungen. Der Krieg, in drei Erzählungen mit seinen furchtbaren Nebenerscheinungen nur angedeutet, läßt uns vermuten, daß die einmalig detailreichen Geschichten in den vierziger Jahren spielen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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