Eine Annotation von Wolfgang Buth


Dückers, Tanja:

Spielzone
Roman.

Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 208 S.

 

Die 1968 in Berlin geborene Tanja Dückers hat nach ihren Kurzprosa- und Lyrikbänden Morsezeichen (1996) und Fireman (1996) mit Spielzone nun ihren ersten Roman vorgelegt. Es ist kein Roman im ursprünglichen Sinne mit durchgehender Handlung, sondern (wie der Verlag auf der Rückseite des Schutzumschlags schreibt) ein Patchwork-Roman über das Szeneleben in Berlin in vielen kleinen, einzelnen Schilderungen der verschiedensten Begebenheiten.

Die Autorin schildert Berlin Ende der 90er Jahre, eine Stadt zwischen Provinzialität und Szeneleben. Dückers’ Figuren, sehr gut beobachtet, leben in der Szene Berlins, in den verkommenen Wohnungen und Hinterhöfen, auf Friedhöfen, auf Parties, vor der Kasse im Supermarkt. Sie leben, zumeist ohne geregelte Arbeit, am Rande der Gesellschaft. Sie sind jung, haben das Leben noch vor sich, wie man so sagt.

Tanja Dückers wählte die beiden Stadtbezirke Neukölln und Prenzlauer Berg aus. Im ersten Teil des Romans („Die Thomasstraße“) wird uns die Gegend um den Hermannplatz und die Hermannstraße vorgestellt - mit skurrilen Typen, die sich verrückt kleiden und sich auf dem nahe gelegenen Thomasfriedhof zum Kiffen und Colatrinken treffen. Sie beobachten Spanner beim Spannen, während sich die beiden Paradiesvögel Elida und Jason für alle sichtbar hingebungsvoll vorm Fenster lieben. „Aus einem Augenwinkel sehe ich noch, wie die beiden in ihrer über und über mit blauen Plastikblumen dekorierten Badewanne liegen, Kiwis löffeln und ihre Zungen über ihre Körper gleiten lassen. Müssen sie denn nie einmal Dinge tun wie den Müll runtertragen oder Schuhcreme kaufen?“ So, wie das Szenepaar der Inbegriff der unausgelebten Sehnsüchte der Leute ringsum ist, so dient der Thomasfriedhof als Ort nichtalltäglicher, abgehobener Aktivitäten - für Parties, aber auch für Diskussionen über Leben und Sterben.

Sehr nachdenklich die Schilderung der Rentnerin Rosemarie Menzlin, die das Grab ihres Mannes pflegt und sich mit einem jungen Mädchen über Liebe und Ehe, über Leben und Tod unterhält. - Trotzdem, so scheint es, ist Neukölln für die jungen Akteure langweilig, fast verslumt, ohne Szene und Spaßkultur.

Deshalb zieht es die Studentin Katharina aus Neukölln in den Bezirk Prenzlauer Berg. (Der zweite Teil des Romans heißt „Die Sonnenburger“.) Dort geht man, wenn man etwas auf sich hält, nicht auf den Friedhof, sondern genießt das pralle Leben auf Parties, in Klubs, in Kneipen und Privatwohnungen. Sie trifft auf Szenegänger zwischen 20 und 30, die ständig auf der Suche nach den angesagten Treffs sind und ihr freizügiges Sexualleben ausstellen. „Eigentlich ... lebe ich hier auch nicht viel anders als in der Thomasstraße, außer daß alle Bars gleich um die Ecke sind ... Beide Bezirke sind so etwas wie Tummelplätze für überdrehte und verschrobene Existenzen und weisen darin einige Ähnlichkeiten auf. Begriffe wie ,Ost‘ und ,West‘ greifen dort längst nicht mehr. Da ist etwas anderes entstanden.“ - Wenn auch manches anders ist, neu ist, holt sie der Überdruß an der Spaßkultur ein. Die Sehnsucht bleibt, nach dem Richtigen, nach etwas Unbekanntem, der altmodischen Liebe.

Spielzone ist eine gute Beobachtung und Schilderung des Szenelebens in den Berliner Stadtbezirken Neukölln und Prenzlauer Berg.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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