Eine Annotation von Hans Aschenbrenner


Brasser, Fons:

Stillgelegt

Westberliner S-Bahnhöfe in den achtziger Jahren.
Mit Texten von Armando, Cherry Duyns und Alfred Gottwaldt.

Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1997, 150 S.

 

Mit eindrücklichen Bildern hat der niederländische Fotograf Fons Brasser das triste Schattendasein dokumentiert, daß die S-Bahn im Westteil Berlins in den Jahren der deutschen Teilung fristete. Das nahm noch zu, als der Mauerbau von 1961 den S-Bahn-Ring gleich mehrfach unterbrach. Die grenzüberschreitenden S-Bahn-Strecken, die bis dahin in den Ostsektor und in die Vororte geführt hatten, wurden stillgelegt. Der Zustand der S-Bahn im Westen Berlins wurde immer grotesker. Mit dem Beginn eines S-Bahner-Streiks wurden die Signale auch auf dem Nordring und fast allen Teilstücken auf „Halt“ gestellt; die wenigen noch betriebenen S-Bahn-Züge rollten fast nur noch zur „Grenzübergangsstelle Friedrichstraße“. Im Jahre 1984, als nach Verhandlungen zwischen dem Senat von Berlin (West) und dem Verkehrsministerium der DDR die Verkehrsgesellschaft BVG den Betrieb der verbliebenen S-Bahnen im Westteil übernahm, waren von knapp 145 km Streckenlänge noch ganze 21 km in Benutzung, und von 78 Bahnhöfen waren 58 stillgelegt.

Etwa so wird in dem vorliegenden Buch, hier verkürzt wiedergegeben, die Ausgangssituation beschrieben, als Fons Brasser seinen Plan faßte, das Ganze in Bildern festzuhalten. Ihn faszinierten die toten Strecken des S-Bahn-Netzes, das einstmals als „Triumph der Technik“ gefeiert worden war, und der Anblick der „Geisterbahnhöfe“. Drei Jahre lang, von 1983 bis 1985, machte er seine Aufnahmen: von morbiden Empfangsgebäuden, überwucherten Gleisen, weggebrochenen Bahnsteigen, einer einstürzenden Prunkarchitektur der Jahrhundertwende. Sein erstes Foto betraf den S-Bahnhof Pichelsberg. Dabei kam ihm der Gedanke, sich durchgängig der Form von Doppelporträts zu bedienen: immer Eingang und Bahnsteig ins Bild zu bringen. Insgesamt enthält das Schwarzweißbilderbuch 60 Frontalaufnahmen der verfallenen Bahnhofsgebäude und ebenso viele Aufnahmen der verlassenen, von Pflanzen überwucherten Bahnsteige.

Nicht immer auszumachen ist der Bahnhofsname; er steht, ebenso wie das Datum der Aufnahme, unter den Bildern. Gegliedert ist das Buch in Kremmener Bahn, Lehrter Bahn, Siemensbahn, Olympiabahn, Ringbahn, Wannseebahn, Anhalter Bahn. Dazu gibt es jeweils eine einfache Skizze, die den Überblick erleichtert. Mit einer Nikon-Kamera mit Normalobjektiv bei natürlichem Licht fotografiert, kann man bei allem fortgeschrittenen Verfall stets sogar noch ein wenig erahnen, wie es an Ort und Stelle einmal ausgesehen haben mag.

Vieles konnte seit der Wende instandgesetzt werden. Wiedereröffnungen von Streckenabschnitten und Lückenschluß stehen, auch wenn es immer wieder einmal Verzögerungen (z. B. im Augenblick beim Zwei-Milliaden-Mark-Vorhaben „Nordkreuz - Nordring“) gibt, auf der Tagesordnung. Das Berliner S-Bahn-Netz wird dichter und weiter, die Fahrgastzahlen steigen. Eine letzte Aufnahme machte Fons Brasser im übrigen noch 1990, ein Jahr nach dem Fall der Mauer. Sie zeigt den Bahnhof Bornholmer Straße, im einstigen Grenzgebiet zwischen Ost und West gelegen. Dieser Bahnhof wurde relativ früh wieder hergerichtet und in Betrieb genommen. Welchen „toten Bahnhöfen“ das noch bevorsteht, wird dem kundigen Betrachter beim Blättern in dem großformatigen Buch wohl ebensowenig entgehen wie die Feststellung, welche es - wie der „Bornholmer“ - gleichfalls schon geschafft haben.

Fotografie als „verzweifelter Versuch“, die vernachlässigte Vergangenheit festzuhalten - dies steht als Leitmotiv auch über Brassers späteren Themen: die „Nieuwe Hollandse Waterlinie“ (Befestigungsanlagen zur Verteidigung Amsterdams), Interieurs von Wassertürmen, Interieurs von Kirchen an der Zuiderzee, Interieurs von Leuchttürmen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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