Eine Annotation von Bernd Heimberger


Böhme, Thomas: Jungen vor Zweitausend

fliegenkopf verlag (in Kommission), Halle 1998, 36 S.

 

Am Schluß streckt uns einer die Zunge raus. Und der heißt nicht Einstein. Der heißt Martin. Der wird nie ein Einstein werden. Darf der denn das, Zunge zeigen, der Martin? Der Bengel darf! Weil er, wie er aussieht, noch nicht strafmündig ist. Weil er, wie er aussieht, auch nicht die Unschuld vom Lande ist. Noch grün hinter den Ohren, sehen Martin & Co manchmal aus, als hätten sie es faustdick hinter den Ohren. Oder sieht das so nur Thomas Böhme? Der hält schon seit Jahren die Linse auf Köpfe, Leiber, also ins Leben von Kindern, die vor dem Erwachsenwerdenmüssen sind, die den Part der Jugendlichen geben, und in denen der Fotograf die Jungen, die Jungen und nichts als die Jungen sieht. Jungen vor Zweitausend ist ein viel zu sachlich etikettierter, sinnlich-sinnreicher Fotoband des Thomas Böhme. Der ist identisch mit dem Leipziger Schriftsteller. Böhme ist ein Freund der Fotografie und des Fotografierens. Er tritt nicht als Fotokünstler auf und ist doch nicht ohne den Ehrgeiz, mit den Mitteln der Fotokunst zu erzählen. Von den vielen verlierbaren Momenten, die das Leben ausmachen. Indem der Porträtist den Porträtierten Lebensmomente „stiehlt“, gibt er sie ihnen für die späteren Stunden der Erinnerung zurück. Thomas Böhme fotografiert, auch, um den Jungen zu erinnern, der er war und wie er nicht war.

Es sind nicht immer zuerst Augen, Nase, Lippen, die das Bild machen. Wichtiger sind Requisiten. Sonnenbrille und Schuhsohlen. Halskette, Ohrring, Armband. Hut und Pfeife. Sie sind Zeichen der Riten, Rhythmen, Reaktionen der Jungen, in deren Gesichtsausdruck, Körperhaltung, was wohl angelegt ist? Einiges ist zu ahnen. Der Fotograf ist nicht aufs Spekulieren aus. In den schwarzweißen Bildern von Böhme ist die Schönheit des Augenblicks, der nur einen Klicklang gilt. Ist die Skepsis, die fragt, ob es den nächsten schönen Augenblick gibt. Die verschiedenen Porträts des Martin zerstreuen Zweifel. Wenn das keine positive Aussage über „Jungen vor Zweitausend“ ist, für die Thomas Böhme eine ästhetische Form gefunden hat, die sich fürs bloße Begaffen gar nicht eignet. Auch nicht zum Zungezeigen!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite