Eine Rezension von Klaus Polkehn
Angela Grünert: Der längste Weg heißt Frieden
Die Frauen im ersten palästinensischen Parlament.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1998, 280 S.
Die Welle der mehr oder minder soliden Schnellschüsse zum fünfzigsten Gründungstag Israels (und damit zugleich zum fünfzigsten Jahrestag der palästinensischen Naqba, der Katastrophe) ist mittlerweile verebbt. Was wird Bestand haben? Was wird dem Interessierten über den Tag hinaus gediegene Auskunft über das Palästina-Problem in seinen historischen Dimensionen und seinen aktuellen Bezügen geben?
Eines jener Bücher, denen ich zutraue, daß sie unbedingt das Erscheinungsjahr überdauern, verbirgt sich hinter einem etwas nichtssagenden Titel (Der längste Weg heißt Frieden) und einem Untertitel, der zwar korrekt ist, aber nichtsdestoweniger fast in die Irre führt (Die Frauen im ersten palästinensischen Parlament). Der Autorin Angela Grünert ist das schwierige Kunststück gelungen, Geschichte und Zeitgeschehen zu personifizieren und damit auch dem Außen- und Fernstehenden nacherlebbar nahezubringen. Vordergründig hat sie in dem Buch die Porträts von fünf palästinensischen Frauen versammelt. Aber dann werden hinter den Lebensbeschreibungen und den Interviews mit diesen Frauen Vergangenheit und Gegenwart des palästinensischen Volkes sichtbar.
Die Autorin hat es zunächst einmal vermocht, ihre Heldinnen so auszuwählen, daß am Ende ein historisch, religiös, geographisch und sozial zwar nicht exakt repräsentativer, aber doch aussagekräftiger Querschnitt durch die palästinensische Gesellschaft zustande kommt. Wir lernen Frauen kennen, die aus der Feudalaristokratie stammen, aus der christlichen Bourgeoisie Palästinas und aus dem Milieu der Flüchtlingslager. Gemeinsam ist ihnen, daß es jene fünf Frauen sind, die dem 88 köpfigen Legislativrat, dem Parlament des palästinensischen Autonomiegebiets, angehören. Eine von ihnen ist dem deutschen Publikum seit langem vertraut. Hanan Ashrawi war seit Oktober 1991 Sprecherin der palästinensischen Delegation bei den Madrider Nahostgesprächen und erschien damals fast allabendlich auf unseren Bildschirmen. Vielleicht hierzulande ebenfalls bekannt: Intisar al-Wazir, genannt Umm Dschihad, Ministerin in Arafats Kabinett, Witwe des Mitbegründers der palästinensischen Widerstandsgruppe Fatah, Abu Dschihad, der am 12. April 1988 von einem israelischen Kommando in Tunis ermordet wurde.
Angela Grünert hat eine geschickte Methode gefunden, jenen Lesern, die wenig mit der Materie vertraut sind, den Zugang zum Thema zu erleichtern. Sie verknüpft die jeweiligen Porträts und Interviews mit einzelnen Etappen der palästinensischen Geschichte. Während diese ja in einem Großteil neuerer Veröffentlichungen nur stets als Reflex der israelischen Geschichte gesehen wird, lernen wir hier nun die Historie der Palästinenser als eigenständigen Prozeß sehen und begreifen. Dabei wird der Leser zugleich an die palästinensischen Traditionen und an religiöse Aspekte herangeführt. (Vier der Vorgestellten sind Mosliminnen, eine ist Christin, was dem religiösen Proporz in Palästina nahekommt). Man erfährt vom Krieg und von der Vertreibung im Jahre 1948 und von der nächsten Katastrophe, der von 1967. Die Herausbildung der Widerstandsbewegung und die Gründung der PLO werden dargestellt, wobei das Buch insbesondere über die Frühgeschichte der größten Organisation, von Al-Fatah, wenig Bekanntes mitteilt. Ausführlich werden die Intifada, die Ende 1987 begonnene Erhebung gegen die Besatzung, und schließlich der schmerzvolle Friedensprozeß beschrieben.
Die fünf porträtierten Frauen sind vielleicht insofern nicht repräsentativ für die durchschnittliche Palästinenserin, als sie außerordentlich aktiv im politischen Leben standen und stehen. Sie haben jene Schranken durchbrochen, hinter denen die Tradition noch immer viele palästinensische Frauen gefangenhält. Auch bringt die Beschränkung auf Parlamentsabgeordnete zwangsläufig eine gewisse Einseitigkeit mit sich. Und drei der fünf Porträtierten gehören außerdem der al-Fatah an, während die beiden anderen Unabhängigen immerhin der Fatah irgendwie nahestehen. Im Bild fehlen also die linken Oppositionsgruppen und die Islamisten. Aber wir erfahren andererseits, wie pluralistisch und heterogen die Fatah ist.
Die von Angela Grünert befragten Frauen halten nicht mit ihrer Kritik an Aspekten des Friedensprozesses zurück. Es wird deutlich, wie mit dem Ende der Intifada, mit den Oslo-Abkommen, mit der Rückkehr der PLO-Führung nach Palästina und mit der Bildung der Autonomie-Regierung neue Frontstellungen entstanden sind. Soziale Konflikte, die bis dahin angesichts der Konfrontation mit der Besatzungsmacht eher im Schatten lagen, treten nun deutlicher hervor. Der Leser erfährt detailliert von den - für diese Frauen vielleicht mehr noch als für die männlichen Protagonisten der palästinensischen Bewegung - schmerzlichen Prozessen. Die palästinensische Bewegung ist mit einem revolutionären Anspruch angetreten, jetzt stellt sie mit einemmal die Regierung. Zwangsläufig tun sich Gräben zu den Regierten auf. Das ist, wie wir wissen, nicht allein eine Eigenheit Palästinas. Angela Grünert kommt das Verdienst zu, in ihrem Buch diese Prozesse sehr deutlich zu machen, und zwar ohne schwarzweißzumalen. Gerade die sehr differenzierte und differenzierende Sicht macht die Darstellung so sympathisch und schafft so viel Verständnis für den schwierigen Kampf der Palästinenser.