Eine Rezension von Licita Geppert


Das „Wunder der Welt“

Tilman Röhrig: Wie ein Lamm unter Löwen

Roman. Illustrationen von Thomas Przygodda.

Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, 831 S.

 

„Knabe, verheißen der Welt, Erneuerer der Zeiten und des Reiches“, so wurde er von der Welt bestaunt und von den Dichtern besungen: der am 26. Dezember 1194 auf dem Marktplatz zu Jesi geborene Friedrich, der einzige Stammhalter von Kaiser Heinrich VI., der Enkel Barbarossas und letzte Herrscher des Staufergeschlechts. Friedrich II., deutsch-römischer Kaiser mit dem Anspruch eines Augustus, war ein sehr widersprüchlicher Mensch. Der Mutter entrissen, vom Vater nur als Unterpfand für das Fortbestehen seines Reiches benutzt, wuchs er als wildes und ungebändigtes Kind in Palermo auf. Einen einzigen Freund und lebenslangen Getreuen wird Friedrich aus dieser Zeit behalten: Lupold, einen jungen Knappen, der ihn mit Liebe umsorgt und betreut. Friedrich wird diese Liebe dankbar annehmen, ohne indes die standes- und gefühlsmäßigen Schranken, die er um sich errichtet, häufig zu öffnen. Lupold wird ihn als Kammerherr sein Leben lang begleiten und Freuden und Niederlagen mit seinem Kaiser teilen. An dieser Stelle hätte ich mir zum erstenmal Aufklärung gewünscht, ob die Figur des Lupold historisch verbürgt ist oder ob sie in der Fülle der gut dokumentierten Fakten aus dem Leben des Kaisers nur eine Fiktion des Autors darstellt.

Mehrsprachig aufgewachsen, frei von religiös motivierten Vorurteilen, intelligent und neugierig sog Friedrich das Wissen seiner Zeit in sich auf. Der Gelehrte Michael Scotus war stets an seiner Seite, um seinen Wissensdurst zu stillen, der Mathematiker Fibonacci durfte unter Friedrichs Herrschaft das aus dem Arabischen übernommene Rechensystem sowie die Null einführen.

Schließlich entriß der Kaiser der Kirche ihr Bildungsmonopol und gründete die erste weltliche Universität. Friedrich liebte die Falkenjagd und verfaßte darüber eine Abhandlung.

Tilman Röhrig erweist sich als genauer Kenner der Zeit und der Materie, und er weiß, was einen Herrscher vor allen anderen Menschen auszeichnet: Visionen, Charisma und: Skrupellosigkeit. Als jungen, aufstrebenden Mann trug ihn seine Popularität von Sieg zu Sieg, dennoch war er nicht der überragende Feldherr. Seine Stärke lag in seinem staatsmännischen Geschick, das vor keinerlei Finten und Ränken zurückschreckte. Mit seinen Feinden rechnete er grausam und ohne jedes Mitgefühl ab, verstand es umgekehrt jedoch, sich die Ergebenheit der ihn einst bekämpfenden Sarazenen nach deren Niederlage durch einen Gnadenakt auf ewig zu sichern.

Für diesen in sachlichem Ton geschriebenen Roman muß man sich Zeit nehmen. Es ist nicht der atemberaubende Thriller, den man in einem Zuge verschlingt. Es ist vielmehr ein Buch, dessen Faktenreichtum gedanklich verarbeitet sein will.

Ausgezeichnet gelungen ist die Darstellung der Entwicklung Friedrichs vom machtbewußten, noch ungestümen siebzehnjährigen Jungen zum großen Staatsmann und Politiker und schließlich dessen Untergang als von der Macht verblendeter und aufgezehrter Herrscher.

Die Figur des Lupold gibt dem Autor Gelegenheit, die Handlungen Friedrichs zu spiegeln und zu bewerten. So genießt der Leser den Vorzug der Innenschau der Macht.

Auch Lupold erfährt eine glaubwürdige Entwicklung vom Stadium der jugendlichen Schwärmerei für Kaiserin Konstanze und ihren Sohn bis hin zu dessen weisem, vorsichtig kritischem, aber stets ergebenen Freund und Kammerherrn.

Die dritte Figur in diesem Spiel ist Tile, ein Waisenjunge, dessen Geschicke sich ebenfalls schon in jungen Jahren mit denen des Kaisers und auch Lupolds verbinden. Tile wird sowohl Lupold als auch ihrer beider Idol überleben, und eines Tages wird seine große Ähnlichkeit mit Friedrich II. und seine genaue Kenntnis von dessen Person, die er sich in den langen Jahrzehnten als der Diener Lupolds und späterer Kammerdiener des Herrschers erworben hatte, hervorragend in das machtpolitische Kalkül der Kirche passen, zumal die Gerüchte um ein Weiterleben des großen Kaisers nie verstummt waren ...

Ab diesem Moment beginnt ein seltsames Possenspiel, in dessen Verlauf der einfache Bauernjunge Tile, nunmehr achtzigjährig, in Erinnerung an seinen Kaiser, zu ungeahnter Größe gelangen wird. Tile spielt seine Rolle so überzeugend, daß er schließlich sogar seinen Schöpfer narrt. Leider ist dies in der Figur nicht von Anfang an angelegt, und auch die dem Leser beschriebene Entwicklung erlaubt eigentlich keine derartigen Veränderungen.

Von der Mentalität her aber hätte Tile durchaus der Friedenskaiser sein können, den das von den Machtkämpfen nach dem Tode des Staufers ausgeblutete Volk herbeigesehnt hatte und der Friedrich in Wirklichkeit nie gewesen war. Die Authentizität des Tile Kolup wird dem Leser zwar nahegelegt, aber leider nicht belegt. Auch hier hätte ich mir Aufklärung über ein historisches Vorbild gewünscht.

Röhrig ergänzt die Handlung mit verknappten historischen Einschüben „Aus dem Tafelbuch der Zeit“. Mit ihnen skizziert er den geschichtlichen Rahmen und überbrückt gleichzeitig jene Jahre, die im Handlungsablauf ausgespart werden. Durch die den Kapiteln vorangestellten Prophezeihungen von Merlin wird Friedrich in die Nähe des legendären britannischen Königs Artus gerückt. Mit diesem verbindet ihn zweifellos die Einigung des Reiches, eine Tafelrunde von Gleichrangigen und Gleichberechtigten stand allerdings nie in Friedrichs Interesse, er war der alleinige Herrscher, auch in seinem Hofstaat, trotz aller (aus heutiger Sicht) humanistischer Bildung.

Das „Wunder der Welt“, wie Friedrich schon zu seinen Lebzeiten bestaunt wurde, rückte sich selbst in den Rang eines neuen Erlösers. In Apulien, seiner Heimat, und in Sizilien gehört die Erinnerung an ihn auch heute noch zum Volksschatz.

Seine männlichen Nachkommen, belegt mit dem Fluch des Papstes, wurden innerhalb weniger Jahrzehnte ausgelöscht.

Seine Legende aber lebt weiter bis in alle Ewigkeit.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 5/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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