Eine Rezension von Ursula Reinhold


Wissenschaft im Trend

Frank Schwoerer: Die Bücherberge, die ich angerichtet habe

Erinnerungen eines Verlegers.

Campus Verlag, Frankfurt/M. 1998, 166 S., mit Fotos.

Verlegererinnerungen gelten gemeinhin als kulturgeschichtliche Zeugnisse. Das gilt auch im Falle des Gründers und Leiters des Campus Verlages, eines Wissenschaftsverlages, der 1975 von Frank Schwoerer (1925-1997) gegründet und bis 1995, kurz vor seinem frühen Tod, geleitet wurde. Mit einer äußerst zeittypischen Biographie und Nachkriegskarriere, 1925 im katholischen Milieu einer südbadischen Arbeiterfamilie geboren, verdankt er Schulbildung kirchlichen Schulen. Seine milieubedingte Distanz zu Hitler hindert ihn nicht, sich freiwillig in den Krieg zu melden. Er erlebt durch Kriegsjahre und Gefangenschaft den für viele Generationsgenossen typischen Bruch, kommt aus britischer Kriegsgefangenschaft „hoffnungslos anglophil“ zurück. Anfang der 50er Jahre beginnt er eine Lehre als Verlagsbuchhändler im katholischen Herder Verlag und vertrat das weitweit expandierende Unternehmen bis Anfang der siebziger Jahre, anfangs in Freiburg, dann in Barcelona, São Paulo und schließlich New York. Hier lernt er modernes Management, das der expandierende Herder Verlag zwischen herkömmlichem Katholizismus und zeitbedingten, reformerischen Herausforderungen auszubalancieren hat. Man erfährt bemerkenswert wenig über katholisches Denken, um so mehr über die Modalitäten modernen Geschäfts. Als Schwoerer seine Karriere hier beendet sieht, gründet er, zurückgekehrt in die Bundesrepublik, den Campus Verlag, der finanziell vom Beltz Verlag mitgetragen wird. Da der Verleger seine Memoiren nicht ganz beenden konnte, haben sich die Buchmacher dafür entschieden, mit einer ersten „Rede über den Verlegerberuf“ von 1985 und einer zweiten Rede von 1995 den Erinnerungsteil zu umrahmen. In diesen Texten gibt Schwoerer Auskunft über sein Credo als Verleger, das ihn als witzig-schlagfertigen Menschen ausweist und darin gipfelt, daß „verlegen, den Triumph der Hoffnung über die Erfahrung bedeutet.“ (S. 17) Neugier, Mut und Riskobereitschaft preist Schwoerer als die Persönlichkeitseigenschaften des Verlegers, die sich mit einigem Geschäftssinn paaren müssen. Sein eigenes verlegerisches Credo kennzeichnet er als aufklärerisch, urban, pluralistisch und international. Die zwanzigjährige Erfolgsgeschichte des Campus Verlages gibt ihm Recht und verweist auf die Tatsache, daß zum Führen eines Wissenschaftsverlages kaum eigene wissenschaftliche Interessen gehören. Er kennzeichnet den Campus Verlag als einen „vom Marketing gesteuerten Autorenverlag“. (S. 119) Offenheit für den Zeitgeist und die Fähigkeit, das ökonomische Risiko auszubilanzieren, sind offensichtlich die wichtigsten Voraussetzungen, um auf dem umkämpften Buchmarkt bestehen zu können. Der Campus Verlag startete in den 70er Jahren mit einem Buchprogramm zu den kritischen Sozialwissenschaften, er wurde der Vermarkter der damals dominierenden Richtung, in dem er die Bände der Soziologentage, Reihen wie „Theorie und Gesellschaft“, „Campus-Forschung“, „Campus Judaica“, Untersuchungen über Industriegesellschaft, z. B. eine Geschichte der I. G. Farben u.a. vorlegte. Er erkannte frühzeitig den Trend, der die Soziologie als Leitwissenschaft ablöste und bediente schnell durch französische und amerikanische Kooperationen die Wendung zur kulturgeschichtlich und anthropologisch ausgerichteten Tendenz in Publikation und Forschung. Mitte der 80er Jahre wurde der Verlag u. a mit einer 5-bändigen Geschichte der Frauen, einer Geschichte der Städte, der Familie, einer Universalgeschichte der Schrift und der Zahlen sowie einer Enzyklopädie der Sprache erfolgreich. Zu Ende des Jahrzehnts erfolgte erneut eine Wendung, die den Wissenschaftsverlag zu einem Wirtschaftsverlag, u. a. mit der Reihe „Campus Conkret“, werden ließen. Mit Titeln über erfolgreiche Unternehmensführung und mit Ratgebern zum Aktienkauf hat der Verlag seinen wissenschaftlichen Qualitätsanspruch relativiert, wenn auch nicht aufgegeben. Es ist schwer, den kulturgeschichtlichen Wert dieser Erinnerungen zu benennen. Für mich lag er im Erstaunen darüber, wie in einem so beschaffenen Verlagswesen, bei so wenig ausgeprägtem geistigen Profil des Verlegers doch immer wieder Bücher von nicht unbedeutendem Belang erscheinen können.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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