Eine Rezension von Gert Noack


Eine ehrliche Autobiographie

Hans Modrow: Ich wollte ein neues Deutschland

In Zusammenarbeit mit Hans-Dieter Schütt.

Dietz Verlag Berlin, Berlin 1998, 480 S.

Die DDR kannte keine Umfragen nach den Sympathiewerten von Politikern. Hätte es sie gegeben, so hätte Hans Modrow in dem kurzen Zeitraum zwischen seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten im November 1989 und den ersten freien Wahlen zur Volkskammer im März 1990 sicher seine Vorgänger um Längen übertrumpft. Seine Popularität resultierte aus seiner Bescheidenheit, die er sich, selbst aus armem Hause stammend, bewahrt hatte, und eben nicht, wie etwa Erich Honecker, mit den Insignien des sozialistischen Bonzen tauschte. Modrow nannte kein Jagdrevier und keine Villa in Dresden sein eigen, statt dessen wohnte er in einem Plattenbau zur Miete. Bescheidenheit, auch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gaben Hans Modrow im Herbst 1989 einen gewissen Vertrauensvorschuß, weil er sich mit diesen Eigenschaften und seinem Auftreten grundlegend von Erich Honecker und den anderen im Oktober/November 1989 gestürzten SED-Funktionären unterschied. Dieses Vertrauen eines immerhin nennenswerten Teils der DDR-Bevölkerung währte nicht lange. Einerseits war es der bekannte Gang der Geschichte, der für ehrliche Kommunisten vom Schlage eines Hans Modrow nur noch eine Außenseiterrolle übrig ließ. Andererseits war es die Politik Modrows selbst, insbesondere sein starrsinniges Festhalten an einer Nachfolgeorganisation des Staatssicherheitsdienstes, die Zweifel an seiner Person säten und seine Popularität sinken ließen.

Die folgenden Jahre brachten Modrow Anerkennung fast nur noch in den eigenen Reihen der PDS, wo er als Integrationsfigur zwischen den politischen Generationen und Plattformen wirkt. Die Bundesrepublik und ihr politisches Establishment dagegen würdigten seine Leistung zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1990 nicht, sondern überzogen ihn mit Anfeindungen und Anklagen wegen Wahlfälschung. In den letzten Jahren wurde es stiller um Hans Modrow, der sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurückgezogen hat. Er hat die Zeit genutzt, um gemeinsam mit dem bekannten Ghostwriter und Journalisten Hans-Dieter Schütt seine Memoiren zu schreiben.

Wer auf den 480 Seiten Text sensationelle Enthüllungen erwartet, wird enttäuscht werden. Herausgekommen ist ein sehr sachlicher, ruhiger Text, der das Leben des 1928 in Jasenitz Geborenen bis kurz nach der Volkskammerwahl 1990 schildert.

Das Kapitel über die Kindheit und Jugend offenbart Modrows lebenslange Prägungen. Er lebte in der vorpommerschen Provinz „unweit vom Oderhaff. Eine flache Wiesenlandschaft. Hoher Himmel.“ (S. 27) Vier Kinder leben in der Familie, der Vater fuhr früher zur See und arbeitete später als Bäcker, die Mutter versuchte die immerwährende soziale Not zu mildern. 1932 tritt der Vater der NSDAP bei, der junge Hans Modrow ging den Weg seiner Generation - Pimpf im Jungvolk, Hitlerjunge. Die Wende in seinem Leben begann mit der Einberufung zum Volkssturm in den letzten Kriegswochen. Er überlebte und kam als 17jähriger in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Als Hans Modrow im Januar 1949 wieder deutschen Boden betrat, war aus ihm ein im Innersten überzeugter Kommunist geworden, der nun schnell Karriere machte.

Kurze Zeit als Schlosser arbeitend, wurde aus ihm bald ein Funktionär der FDJ, zunächst in Brandenburg, dann in Mecklenburg, und schließlich zwischen 1953 und 1961 als Bezirksvorsitzender der Berliner FDJ verdiente er sich seine ersten Meriten im Jugendverband. Der Leser kann vieles an dieser Entwicklung nachvollziehen, jedoch bleiben Fragen nach der Rolle von Hans Modrow in diesen brutalen Jahren der DDR. Wo war er, als die Junge Gemeinde 1952 unnachgiebig verfolgt wurde? Welche Meinung hatte und hat er zu den vielen Terrorurteilen der DDR-Justiz gegen Jugendliche in diesen Jahren?

1961 wurde aus dem FDJ- der Parteifunktionär. Bis 1971 arbeitete er als 1. Kreissekretär der SED in Berlin-Köpenick und Abteilungsleiter der Berliner Bezirksleitung, ehe ihn Werner Lamberz, sein Vertrauter aus FDJ-Zeiten, für zwei Jahre in das ZK der SED holte. 1973 folgte Dresden, wo Modrow „Bezirksfürst“ wurde und die SED bis zum Herbst 1989 leitete. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wuchsen die Spannungen zwischen dem zwar nicht unideologischen, aber trotzdem oft pragmatisch handelnden, sich im Lebensstil von vielen hohen SED-Funktionären unterscheidenden Hans Modrow und der Berliner Zentrale. Mit Erich Honecker verband ihn nie ein inniges Verhältnis, seit 1985 aber suchte dieser immer wieder nach Gründen, um Modrow abzulösen. Es kam nicht mehr dazu, der Herbst 1989 änderte alle vorhersehbaren Konstellationen.

Diesen wenigen Monaten zwischen September 1989 und April 1990 widmet Hans Modrow die ganze zweite Hälfte seiner Memoiren. Zu Recht, denn plötzlich fand sich der außerhalb Dresdens nur Insidern bekannte Funktionär als Ministerpräsident im Blickpunkt der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Was Modrow und Schütt über diese Monate schreiben, ist nicht neu, das meiste aus anderen Veröffentlichungen schon bekannt, gleichwohl werden die sich überstürzenden Ereignisse dieser Zeit noch einmal aus der subjektiven Sicht Modrows rekonstruiert. Dabei zeigt sich, wie sehr Modrow doch ein Getriebener war, eine wirkliche Chance, eine zumindest mittelfristige Perspektive der DDR zu formulieren, besaß er nicht. Mauerfall, SED-Sonderparteitag, Runder Tisch, Sturm auf die Stasizentrale, „Deutschland, einig Vaterland“ - wer sollte da zur Besinnung kommen? So bleibt im Rückblick das Verdienst Modrows um den friedlichen Verlauf der Herbstrevolution. Er vermerkt selbstkritisch, daß er zu wenig Perspektivisches für die der Bundesrepublik beitretenden DDR-Bürger getan habe. Ob nicht gerade ein konsequenter Schlußstrich unter das Kapitel MfS den Spielraum Modrows zumindest etwas erweitert hätte, wird nicht erörtert. Im Gegenteil, in einem bilanzierenden Gespräch mit Hans-Dieter Schütt, das dem Buch unverständlicherweise vorangestellt ist, äußerte Modrow noch 1997 auf eine diesbezügliche Frage: „Ich habe als Regierungschef ein Sicherheitsverständnis gehabt, das ich weder in die Nähe der Abnormität noch in die Nähe der Nostalgie rücken lasse. Mir soll keiner damit kommen, dieses Verständnis habe sich von dem anderer Staaten unterschieden. Wäre dem so, hätte Kohl seinen Nachrichtendienst längst auflösen müssen.“ (S. 11)

Insgesamt ist Ich wollte ein neues Deutschland eine ehrliche Autobiographie, jenseits des Spektakulären entstanden, der man interessierte Leser wünscht.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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