Eine Rezension von Maria Careg


„Liebe gründet ein Weltreich“

Sylvie von Frankenberg/Katrin von Glasow: Henry und Alienor

Eine Königsliebe. Roman.

Schneekluth Verlag, München 1998, 734 S.

Es war Liebe auf den ersten Blick zwischen Alienor von Aquitanien und Henry Plantagenet. Eine ganz und gar aussichtslose Liebe, wie es anderen schien, denn Alienor war zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens bereits Gemahlin von Louis VII. und französische Königin, während der außerdem noch dreizehn Jahre jüngere Henry nur ein wenig vertrauenswürdiger Vasall des Königs war. Ihre Liebe sollte alle Klippen umschiffen, alle Hürden überwinden, und so heirateten Henry und Alienor im Jahre 1152. Von ihren acht Kindern sind Richard Löwenherz und John ohne Land die bekanntesten, die in Nachfolge ihres Vaters die englische Königskrone innehatten.

Das Leitmotiv dieses Buches ist - wie der Titel es bestimmt - die große Liebe zweier Herrscher. Beide waren und sind zweifellos historische Ausnahmepersönlichkeiten, machtbewußt und machtbesessen, aber von einer aufrichtigen, starken Liebe zueinander erfüllt. „Gemeinsam sind wir stark“ wird daher auch ihr Lebensmotto lauten, und solange sie daran festhalten, steht ihr für damalige Verhältnisse riesiges Reich unerschütterlich. Aquitanien und die Normandie waren auf dem Kontinent ihre beiden starken Bastionen, die die sichere Basis für die Herrschaft über England darstellten, dessen Krone Henry als rechtmäßiger Nachfahre von Wilhelm dem Eroberer zwei Jahre nach ihrer Hochzeit erlangte, aufgrund der Bestrebungen seiner ehrgeizigen Mutter, der Kaiserin Mathilde. Mehr als sechshundert Seiten des Buches sind einer opulenten Beschreibung der fünfzehn Jahre währenden Liebe der beiden und ihren gemeinsam bestandenen Abenteuern gewidmet, umrahmt von der strahlenden Sonne Aquitaniens und dem feuchten Nebel Englands; die über zwanzigjährige Feindschaft zwischen ihnen wird auf nur knapp hundert Seiten abgehandelt. Der Grund für ihre historisch verbürgte Trennung ist im Roman etwas dürftig: Dem Anschein vertrauend, ohne Vorliegen eines echten Anlasses, steigert sich Alienor von einer Minute zur anderen in rasende Eifersucht und Haß, verweigert dem Geliebten jede Möglichkeit der Richtigstellung. Obwohl dies beim Lesen zunächst schlüssig erscheint, und natürlich jede menschliche Regung durchaus möglich ist, wird Alienors Unversöhnlichkeit im nachhinein dennoch unverständlich, denn sowohl sie als auch ihr Gemahl werden von den Autorinnen sehr feinfühlig und differenziert als Menschen von ungewöhnlicher innerer Größe und Klugheit gezeichnet. Sie vertrauten einander nahezu bedingungslos. Auch widerspricht es vollständig beider Machtstreben, denn mit ihrer Trennung wird auch ihr Reich schrittweise verfallen.

Die historisch entscheidende Rolle von Thomas Becket, dem einstigen Ziehsohn des Erzbischofs von Canterbury, dessen Platz er später als unversöhnlicher Feind des Königs einnehmen würde, wird auf eine Ebene gehoben, die vermutlich kaum durch Quellen (leider fehlen die in englischsprachigen historischen Romanen üblichen Hinweise zur Faktenlage) zu belegen ist: Becket ist nicht nur eiskalt berechnend und von Ehrgeiz zerfressen, sondern gibt sich auch homoerotischen Neigungen hin, die selbst vor dem König nicht haltmachen. Alienor, die Reifere, Überlegtere, warnt Henry zwar vor zu großer Vertraulichkeit mit seinem Günstling, weiß ihn aber durchaus für ihrer beider Ziele einzusetzen. Die Spannungen, die diese Beziehung in das Verhältnis der beiden Liebenden bringen soll, werden nur angedeutet, können aber letztendlich den Zusammenhalt des Königspaares nicht stören, solange Becket nur Lordkanzler ist. Mit seiner auf Betreiben Henrys erfolgten Ernennung zum Oberhaupt der Kirche Englands dem König an Rang nahezu gleichgestellt, wird er von dessen engstem Freund zum erbittertsten Gegner. Henry Plantagenet kann diesen Sinneswandel nicht verkraften und wird in späteren Jahren, nach der Ermordung Beckets, vollends daran verzweifeln. Die bereits damals bestehenden machtpolitischen Verflechtungen mit den übrigen europäischen Staaten, die in den Streit zwischen dem englischen König und Becket größtenteils involviert sind, werden unaufdringlich sichtbar. In der Folge dieser Ereignisse wird sich das politische Gesicht Europas verändern.

Dieses dicke Buch ist ein Schmöker im besten Sinne. Es ist gut recherchiert, atmosphärisch dicht und stimmig, mit gutem literarischen und sprachlichen Gefühl geschrieben. Es spricht die Sinne in einer Weise an, die etwaige Ungereimtheiten immer erst nach einigem Nachdenken bewußt werden läßt. Daß der Roman aber zu ebendiesen Überlegungen verführt, ist ein höchst angenehmer intellektueller Nebeneffekt. Die historische Faktenlage läßt offensichtlich viele Variationen zu einem Thema zu, und dieses Buch kann durchaus neben Tanja Kinkels wunderbarem Roman Die Löwin von Aquitanien bestehen.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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