Eine Rezension von Hans Aschenbrenner
Ist das der Verkommene?
Jutta Falke/Ulrich Kaspar (Hrsg.): Politiker beschimpfen Politiker
Reclam Verlag Leipzig 1998, 253 S.
Sozusagen zum Berufsverständnis gehört in der Politik die verbale Verunglimpfung des Gegners. So ist es schon immer gewesen, und es wird auch künftig so sein, wobei sich den professionellen Beleidigern in der Mediendemokratie, in unserer Medien- und Talkshow-Gesellschaft, ganz neue Möglichkeiten eröffnet haben. Ziemlich grobes Geschütz wird da oft aufgefahren, das Niveau der Verbalattacken läßt nicht selten zu wünschen übrig. Es reicht, wie überraschend viele Beispiele auch in diesem Buch belegen, bis zur primitiven Verballhornung, Abstempelung und Verletzung des politischen Gegners. Im Vorwort wird das, wie so oft vorher schon anderswo bemerkt, kritisch-bedauernd angesprochen und in diesem Zusammenhang aus Klaus Harpprechts Aufsatz In Bonn ist man sprachlos folgender Satz zitiert: Der Gag fängt an, das Programm zu ersetzen, die ,Presentation die Substanz, die Aufmachung den Inhalt, der Schein das Sein.
Über 300 bundesdeutsche Politiker - alphabetisch geordnet: von Abelein, Adam-Schwätzer, Adenauer bis hin zu Waigel, Wehner, Zimmermann - erscheinen in diesem Kaleidoskop auf die Person (natürlich nicht immer nur auf sie) bezogener Beleidigungen durch ihre Berufs- und Standeskollegen. Vor allem die Spitzenpolitiker, das war zu erwarten, sind dabei Lieferanten und Zielpersonen der Affronts zugleich. Als Orientierungshilfe werden dem Leser noch die Ämter des Schimpfenden und des Beschimpften sowie das Jahr mitgeteilt, in dem der verbale Schlag(abtausch) stattfand. Mitunter vermißt man etwas Hintergrund zu den zitierten Aussprüchen. Eine Reihe von Politikern wird noch mit Äußerungen Über sich selbst bedacht. Aus der Zeit von 1949 bis 1997, aus allen Regierungsperioden, stammen die Beispiele. Die Bundeskanzler, Bundespräsidenten, Partei- und Fraktionsvorsitzenden, Minister, Abgeordneten usw. bekommen ihr Fett weg, wobei letztere sich mit wenigen, mitunter einer oder zwei Beschimpfungen zufriedengeben müssen. Mit Abstand Spitzenreiter in dem Buch ist Helmut Kohl mit 126 Betitelungen durch Politikerkollegen sowie 13 Aussagen Über sich selbst. Er teilt aber auch kräftig und mitunter nicht einmal schlecht aus, so daß sich fast ein wenig die Frage stellen könnte, wie schimpft und lacht es sich künftig ohne den Ex-Bundeskanzler. Ihm folgen Franz Josef Strauß (93/4), Helmut Schmidt (73/2), Oskar Lafontaine (58/2), Otto Graf Lambsdorff (45/4), Theo Waigel (42/7). Natürlich hätten die Herausgeber hier auf größere Ausgewogenheit achten können. Bei Herbert Wehner (12/0) und einigen anderen Politikern noch, die sozusagen zum politischen Urgestein der Bundesrepublik zählen, ist sicher mehr drin, als in dieses Potpourri der Beleidigungen Eingang gefunden hat.
Wer in dem Büchlein allzu ernsthaft herumblättert, könnte am Ende enttäuscht sein vom überwiegend flachen Niveau der aufgetischten politischen Verbalattacken. Liest er sich durch das Ganze, was in gewisser Weise auch amüsant sein kann, wird der Leser sicher Heiner Geißler zustimmen, der zur Publikation ein Nachwort verfaßt hat und darin feststellt: Wirklich schwere Brocken werden heutzutage - fast muß man schon sagen ,leider - im Parlament nicht mehr abgefeuert. Deshalb wohl hat er seinen Appell, die Kunst der eleganten Replik, also der Sprache als Verteidigungswaffe, im Gegensatz zum primitiven verbalen Schlagabtausch viel intensiver zu pflegen, mit einem Beispiel aus vergangenen Zeiten und aus einem anderen Land untermauert: Im englischen Unterhaus unterbrach die Labour-Abgeordnete Bessy Smith eines Tages Winston Churchill mit den Worten: Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift in den Kaffee tun. Ungerührt erwiderte Churchill: Wenn Sie meine Frau wären, würde ich den Kaffee trinken.
Über so manchen Schimpf mag man lächeln, vielleicht auch ein wenig Schadenfreude empfinden. Möglicherweise ist das der Fall bei Wortschöpfungen wie Bundeskanzler der Alliierten (Kurt Schumacher, SPD, 1949 über Konrad Adenauer), Dr. Amerikadenauer (von Heinz Renner, KPD, 1950), Martin Angst- und Bangemann (vom vormaligen DGB-Vorsitzenden Ernst Breit kreiert), Alpenchurchill (Hans-Jochen Vogel über Franz Josef Strauß), Bayerisches Rumpelstilzchen (Horst Ehmke über Strauß), Schmidt-Schnauze (verschiedene Abgeordnete über Helmut Schmidt), Finanzminister Schuldenberg (Heinz Suhr, Haushaltsexperte der Grünen, über Gerhard Stoltenberg). Da teilt Norbert Blüm aus: Gerhard Schröder ist der Richard Kimble der deutschen Politik - immer auf der Flucht vor seinen eigenen Aussagen. Und Blüm steckt genauso ein: Der redet wie Kohl, nur witziger (Anke Fuchs, SPD). Detlef Kleinert, FDP, zu dem SPD-Abgeordneten Alfred Emmerlich: Dat ick en Dösbüddel bin, dat argert mi nich. Datn Dösbüddel mi dat secht, dat argert mi. Oder Franz Josef Strauß: Geißler wird nicht Verteidigungsminister, eher wird Rita Süssmuth deutsche Schönheitskönigin. Er mompert wieder, lästert Gerhard O. Pfeffermann, CDU, 1990, über Walter Momper. Und Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen, in seiner Antwort auf die Rede des FDP-Generalsekretärs zum Thema Arbeitslosigkeit: Wir brauchen eine Gründerwelle und keine Westerwelle.
Neben originellen und scharfen Pointen, doppelsinnigen, hintergründigen, ironischen Wortspielen enthält das Buch viele mit Namen und Adresse belegte Beispiele, die zeigen, in welchem Maße bundesdeutsche Politiker auf ganz primitive Weise verbal übereinander herfallen. Flachwitzigkeit mag da gerade noch angehen, aber es wird bisweilen vulgär, geht regelrecht unter die Gürtellinie. So werden zur Einschüchterung und Abstempelung mit Vorliebe austauschbare Worthülsen, Schimpfwörter verwendet wie Schmutzfink, Schwätzer, Schwachkopf, Lügner, Lügenkanzler, Fälscher, Falschmünzer, Sumpfblüte, Märchenerzähler, Brandstifter, Totengräber, Haßerzeuger, Schafskopf, Verleumder, Heuchelbruder, Lümmel, Lump, Lügenbold, Hanswurst, Lügenerzähler. Zu rhetorischen Highlights gehören: Professor Dreckschleuder; Jawohl, Herr Linksprofessor!; Deutschlands Sicherheitsrisiko Nummer eins!; Moskauer Lautsprecher!; Handlanger Moskaus!; Mini-Goebbels!; Ein Schimpfer und Spucker!; So ein feiger Hund!; So ein Rindvieh!; Wildgewordener Gartenzwerg; Sie Strolch!; Arroganter Schnösel; Mann mit pausbäckigen Dummheiten; Dieses Arschloch; Adeliger Klugscheißer; Sie sind ein Quatschkopf, weiter gar nichts!; Sie sind die größte Panne!; Ein unangenehmer Drecksack sind Sie!; Nicht alle Tassen im Schrank; Dieses Schwein!; Politischer Betrüger; Der ist besoffen; Der Ekel ist in Ihnen personifiziert!; Jetzt kommt der Wurmfortsatz!; Ist das der Verkommene? ...
Noch sehr weit ist der Weg zu einer wirklichen Streitkultur, einer demokratischen Qualität des Schimpfens. Niemand sollte deshalb ins Gegenteil verfallen und Schimpf-Abstinenz fordern. Das haben auch die Macher dieser Zusammenstellung beileibe nicht im Sinn. Sie werten das professionelle Schimpfen - vornehmer: die Kunst der Beleidigung - auch als ein Element gegen die allgemeine Versachlichung, gegen die Verbeamtung der Politik. Und sie fügen hinzu: Manchmal befördert es vielleicht zudem die Einsicht in politische Verhältnisse, die sich ja durchaus in entlarvenden Charakterisierungen niederschlagen können. Darüber hinaus ist das Schimpfen natürlich auch Stilmittel persönlicher und (partei-) politischer Inszenierung unserer Akteure ... Bliebe als Fazit zu bemerken: Wir müssen eigentlich nur noch darauf warten, bis die parlamentarischen Debatten endlich spannender, öfter Sternstunden der Redekunst und einigermaßen fairer Rededuelle sein werden.
Politiker beschimpfen Politiker ist nach Dichter beschimpfen Dichter (Untertitel Die ultimative Sammlung der Kollegenschelten), Philosophen beschimpfen Philosophen (Untertitel Die kategorische Impertinenz seit Kant) und Künstler beschimpfen Künstler die vierte Schimpfkanonaden-Publikation, die Reclam abgeschossen hat. Ideen, diese Serie fortzusetzen, gibt es gewiß genug.