Eine Rezension von Irene Knoll


Zwei Bücher - zwei Personen?

Anna Dünnebier/Gert v. Paczensky:
Das bewegte Leben der Alice Schwarzer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, 260 S.

Bascha Mika: Alice Schwarzer
Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 334 S.

Wenn man diese beiden Bücher liest, glaubt man kaum, es mit derselben Person zu tun zu haben. Dünnebier/Paczensky haben eine Biographie der konventionellen Art geschrieben, Bascha Mika nennt ihr Werk eine kritische Biographie.

Biographisches Schreiben über eine lebende Person erscheint mir ohnehin etwas fragwürdig - und die Schwarzer ist so lebendig, daß sich sogenannte Biographien, die ja zumeist mit etwas abschließend Wertendem aufwarten, über sie eigentlich verbieten. Aber nun sind sie da, und sie bilden ein Schulbeispiel dafür, in welchem Maße eine Lebensbeschreibung und das Bild einer Persönlichkeit nicht nur der Qualifikation des Verfassers, sondern auch seiner Gunst ausgeliefert sind.

Beide Bücher sind im Frühjahr erschienen. Sollten sie als Geschenk zu Schwarzers 55. gedacht gewesen sein?

„Bei der Geburt von Alice knallten keine Champagnerkorken“, heißt es bei Dünnebier/Paczensky. Es war der 3. 12. 42, das gibt der Knaur an, die Biographen üben da eher Zurückhaltung.

Sie steht also im Knaur, und vermutlich auch in anderen Nachschlagewerken: Alice Sophie Schwarzer. Und damit ist sie wohl in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. Zwar ist die Chefin des Frauenmagazins „EMMA“ mit allen Verdiensten, für die sie 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, Bürgerin der alten Länder, doch gehörte der Name von Alice Schwarzer und die Kenntnis verwegener öffentlicher Aktionen wie etwa der über Abtreibung und die Reform des Paragraphen 218, die sie initiierte, auch zu den Gesprächsgegenständen von Frauen in der DDR, wenngleich Schwangerschaftsunterbrechung hier schon seit dem Frühjahr 72 legitimiert war. Wir DDR-Frauen haben ihre Bücher nicht gelesen, vor der sogenannten „Wende“ waren sie nicht verfügbar, und danach hatten wir andere Sorgen und auch nicht das Geld für die Zeitschrift „EMMA“ übrig.

Die beiden Biographien über die „EMMA“-Chefin, die bis Ende 97 reichen, lassen etwaige Aktivitäten von „EMMA“ zur Misere der Frauen in Ostdeutschland völlig aus. Falls der Rückfall von Millionen selbständigen, qualifizierten DDR-Frauen in ein System der gesetzlichen und privaten Entmündigung der Frau nach dem Beitritt durch „EMMA“ wahrgenommen worden ist, dann wohl kaum mit der Streitkraft früherer Aktionen. Gab es ein Engagement von „EMMA“, als es erneut um die Selbstbestimmung der Frauen in bezug auf Mutterschaft ging? Vermutlich, aber dazwischen lagen die Erfahrungen von zwanzig Jahren großer Anstrengungen und relativ geringer und, wie man sieht, reversibler Erfolge. Aber eine „EMMA“ und eine Schwarzer können auch nicht leisten, was Aufgabe koordinierter Anstrengungen einer aufgeklärten Politik wäre. Das Ergebnis gesamtdeutscher und zumeist weiblicher Willenskundgebungen um den Bauch der Frau ist bekannt. Wenigstens in dieser Beziehung gibt es nun gleiche Rechte in Ost und West. Die Biographen, die Schwarzer in der unauflöslichen Verbindung zur feministischen Bewegung und zu „EMMA“ darstellen, haben anderes zu protokollieren. Dünnebier/Paczensky vermitteln ein Bild vom Werdegang der Schwarzer. Es ist ein Bild, das von Sympathie getragen ist. Unschwer ist an der zumeist sachlichen Schilderung von Lebensstationen zu erkennen, daß ihr Gescheitheit, Vitalität und Willenskraft gewissermaßen als Feengeschenke in die Wiege gelegt und durch die besonderen familiären Umstände beizeiten gefordert und bestätigt worden sind. Die beiden Autoren zeigen ihre Entwicklung gelegentlich etwas betulich wie ein Großelternpaar, mehr kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen. Schwarzer war einundzwanzig Jahre alt, als sie im Journalismus ihre Möglichkeit für sinnvolles Arbeiten fand und daranging, sie zu realisieren. Dünnebier/Paczensky geben die Stationen ihres couragierten Weges und die Umschlagpunkte ihres Denkens wieder, und ihre Darstellung spart die Leidenschaft der engagierten Frau für ihre Ziele und die großen Freuden, die ihr aus ihrem Engagement erwuchsen, nicht aus. Das ist nachvollziehbar. Auch, daß solches Engagement in Unduldsamkeit ausarten kann, in Ungerechtigkeit, vielleicht auch Anmaßung gegenüber schwächeren Weggenossinnen. Kaum nachvollziehbar, aber glaubwürdig belegt, ist der unbändige, primitive Haß von Männern, aber auch von Frauen, mit dem Alice Schwarzer über Jahrzehnte konfrontiert worden ist. Ihre Biographen bezeichnen an Hand der kontrollierbaren Fakten die Diffamierungen, denen sie durch die Medien ausgesetzt war, und ihren kräftezehrenden Kampf gegen das patriarchalische System und die Kabalen der zentralisierten Frauenbewegung.

Anders Bascha Mika in ihrer „kritischen Biographie“. Auch sie geht auf Kindheit und Jugend Alice Schwarzers ein. Sie bemüht Theorien der amerikanischen Psychologin Karen Horney aus den 30er Jahren, um ein übersteigert autoritäres und rücksichtsloses, ja, unsolidarisches Verhalten Schwarzers gegenüber Mitarbeiterinnen und gegenüber der Frauenbewegung - recht widersprüchlich in sich - aus der familiären Konstellation des Kindes abzuleiten. Mika kann sich nicht genug tun in ausschweifender Häme und Diffamierung der Persönlichkeit Alice Schwarzers. Sie weiß all die direkten und indirekten Apostrophierungen zu nutzen, die geeignet sind, das Bild der tüchtigen, klugen und frauenrechtlich engagierten Alice Schwarzer zu verzerren in ein Bild von einer profitsüchtigen, rücksichtslos ihren eigenen Erfolg betreibenden Psychopathin. Auch sie benutzt Fakten und erwähnt Leistungen. Wenn sie auf Seite 209 kritisch auf die Haltung der Feministinnen gegenüber Schwarzer und „EMMA“ schaut, so braucht sie anschließend zehn Seiten, um Schwarzers Willkür gegen Kolleginnen zu schildern. Sie läßt sich keine Möglichkeiten der indirekten Hänselei mit solchen Attributen wie etwa „unsere Heldin“ oder der Unterstellung von Minderwertigkeitskomplexen bei der, wie sie meint, nicht intellektuellen Schwarzer entgehen. Dieses Buch wurde mit gelber Tinte auf lila Papier geschrieben! Es sagt über die Persönlichkeit der Schreiberin mehr aus als über die der Beschriebenen. Die Psychologen nennen so etwas, glaube ich, Projektionen.

Mein (Nach-Wende-)Bild von Alice Schwarzer als einer inspirierten, witzigen und sympathischen Frau („Während ,EMMA‘ strampeln muß, turnt Alice durch die Fernsehkanäle“ kommentiert Mika Schwarzers Auftreten als Gast in diversen Fernsehsendungen.) wird durch diese Bücher nicht verändert. Was durch die Lektüre verändert wird, vielmehr differenziert wird, ist mein Bild von der alten Bundesrepublik, der Rechtlichkeit, der Öffentlichkeit und der feministischen Bewegung. Es wird angereichert durch eine Fülle von Fakten und Details, die den eigenen Erfahrungen und den aus den politischen Verlautbarungen, den Medien und der Literatur gewonnenen Mutmaßungen über den Charakter dieser Gesellschaft spezifische Aufschlüsse hinzufügen. Wenn Sie Dünnebier/Paczensky lesen, erfahren Sie viel über die Motive und die Einsichten Schwarzers. Überzeugend wird deutlich, wie das Erlebnis einer nicht bevormundeten Kindheit und Jugend die junge Frau sensibilisierte für die Entwürdigung, die das Rollenklischee der bürgerlichen Gesellschaft mit der selbstverständlichen Dominanz der Männer den Frauen antut, und wie sich der Impuls für ein selbstbestimmtes eigenes Leben auswuchs zum kämpferischen Impuls, der dieses Recht für alle Frauen forderte.

Aber der Weg von der reinen Idee zur Wirklichkeit scheint labyrinthisch, und in den Hecken hocken nicht nur die Heckenschützen mit Giftpfeilen und schwererer Bewaffnung, sondern auch die bösen Schwestern mit den Fallstricken. Das schildern beide Bücher sehr gut, besonders Bascha Mika offenbart durch ihre eigene Zunge, wie die Konflikte innerhalb der Frauenbewegung beschaffen sind und als Bumerang zurückwirken. Es scheint dies eine Crux der Frauenbewegung in den kapitalistischen Ländern zu sein. Erica Yong hat sich in ihrem Buch Keine Angst vor Fünfzig ganz ähnlich über die Konflikte und Zerreißproben innerhalb der Bewegung geäußert.

Ich denke, Frauenemanzipation ist ein gesellschaftlicher Prozeß und gelingt nur bei gleichzeitiger Emanzipation der Männer. Solange Männern mit der Pflege und Verteidigung patriarchalischer Konventionen und Traditionen durch das Gesellschaftssystem die Einsicht verwehrt wird, daß sie durch gleichberechtigte Partnerschaft nur gewinnen und nicht verlieren können, ist wenig zu hoffen. Und Arbeitslosigkeit solchen Ausmaßes, wie sie zur Zeit besteht, ist ein furchtbares Gewicht zur Unterdrückung der Frauen. Aber Emanzipiertheit ist nicht zuletzt eine individuelle Leistung, Herausforderung, die eine oder einer an sich selbst stellen muß. Damit ist Alice Schwarzer einmal angetreten, und sie hat sehr viele mitgenommen.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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