Eine Rezension von Kathrin Chod


Zeitreise

Hugo Licht: Architectur Berlins

Nachdruck der Ausgabe von 1882, mit einem Epilog von Helmut Engel.

Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen 1998, 120 S.

Einer von den ganz großen Architekten war Hugo Licht sicher nicht. Wollte man seinen Platz in der Berliner Architekturgeschichte nur nach seiner gebauten Hinterlassenschaft bestimmen, wäre er auch kaum erwähnenswert. Außer der Anlage und den Bauten des Jüdischen Friedhofs in Weißensee wären da noch einige Wohnhäuser oder ein und die andere Gartenhalle. 1877 erscheinen zwei Mappen mit großformatigen Bildern, die jedoch seinen letztlich herausragenden Rang in der Bauhistorie der deutschen Hauptstadt begründen. Er veröffentlicht Hugo Licht, Architectur Berlins, Sammlung hervorragender Bauausführungen der letzten Jahre. Im gleichen Jahr erscheint übrigens zum erstenmal das ebenso zum Architekturklassiker avancierte Berlin und seine Bauten. Die Mappen Lichts enthalten - neben der Einleitung des Autors - Photographien und exakte Grundrisse sowie kurze Beschreibungen der dargestellten Gebäude von Dr. A. Rosenberg. Fünf Jahre später kommt eine zweite Auflage der Sammlung heraus, worauf die verkleinerte Reprintausgabe (23 cm x 34 cm) beruht, mit der das Werk vom Ernst Wasmuth Verlag dankenswerterweise wieder einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht wird.

Es ist eine Reise in eine längst vergangene Zeit, als es noch üblich war, vorzugsweise mit steinernem Material zu bauen und dennoch architektonische Vielfalt zu zeigen. Besonders plastisch wird der reiche Schmuck der abgebildeten Häuser durch die beeindruckend gestochen scharfen Fotos, auf denen selbst kleinste Details der Ornamente und Stukkaturen erkennbar sind.

Es ist aber auch eine Reise in eine vielen unbekannte Zeit, denn die meisten Beispiele der hier gezeigten „modernen Neubauten“ stehen längst nicht mehr.

Zugefügt wurde dem Nachdruck ein Epilog von Helmut Engel. Der Berliner Landeskonservator attestiert der Auswahl von mehr als vierzig Bauwerken, sie wäre „eine unverzichtbare Quelle unvergleichlicher Qualität“ und vermittle „ein mehr oder weniger gerechtes Bild“ des berücksichtigten Jahrzehnts, ungeachtet des Fakts, daß Licht sich selbst in aller Bescheidenheit mit sechs Arbeiten etwas überrepräsentiert. Das führende Architekturbüro war jedoch sowohl für Licht wie auch für Berlin und seine Bauten Ende & Böckmann. Im vorliegenden Band sind von ihnen zu sehen: die Villa Monplaisir - ein Bau in Anlehnung an die französische Renaissance mit reichem Ornamentschmuck, eine Villa in Wannsee - ein märchenhaftes Haus aus Backstein mit einem übergroßen Dach und einem überreich verzierten Giebel, außerdem drei imposante Bankgebäude, die sich an der venezianischen Renaissance orientieren. Besonders beeindruckt muß Hugo Licht die Kaisergalerie von Kyllmann & Heyden haben. Die Verbindung zwischen der Straße Unter den Linden und der Behrenstraße wird mit vier Abbildungen gewürdigt, wohl deshalb, weil eine derartige Passage neu für Berlin war und einen „Mittelpunkt für das gesellschaftliche und kommercielle Leben Berlins“ schaffen sollte. Ein Konzept, das bekanntermaßen nicht aufging. Noch vor dem Erscheinen von Lichts Werk hatte der Gründerkrach derartigen Spekulationen ein Ende gemacht.

Ebenfalls repräsentativ vertreten in der Architectur Berlins: Kayser & v. Groszheim, Richard Lucae und natürlich der Staatsarchitekt dieser Zeit Wilhelm Neumann. Letzterer ist vertreten mit dem Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches am Wilhelmplatz, dem Nebengebäude des Finanzministeriums in der Dorotheenstraße, dem Palais der Königlich-Württembergischen Gesandtschaft und einem Wohnhaus. Obwohl die genannten Bauwerke alle vor der Adoption des Geheimen Regierungsrats gebaut worden sind, ist er als Architekt nicht mehr mit dem schlichten Namen Neumann, sondern dem viel klangvolleren W.v.Moerner angegeben.

Erstaunlich an der Auswahl, darauf weist auch Helmut Engel hin, ist die eindeutige Bevorzugung des Wohnungsbaus. Ausgerechnet aus der „Kaiserzeit“ werden in erster Linie die Villen und Wohnhäuser eines selbstbewußten wohlhabenden Bürgertums präsentiert. Obwohl im behandelten Jahrzehnt die Reichsgründung stattfand, finden sich nur auffallend wenig Regierungsbauten.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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