Eine Rezension von Angela Fischel


East- und West-Side-Gallery

Heinz J. Kuzdas: Berliner Mauer Kunst

Text von Michael Nugesser.

Elefanten Press, Berlin 1998

Fast zehn Jahre ist es her, da „fiel die Mauer“. Daß die Berliner Mauer mehr war, als das Symbol des Eisernen Vorhangs und ein Fetisch des Kalten Krieges, sondern auch eine Projektionsfläche Westberliner Identität, wagt man kaum noch zu sagen. Die Dokumentation Berliner Mauer Kunst ruft in Erinnerung, was vor allem für die damals jüngeren West-Berliner entscheidender Ausdruck von Lebensstil war. Denn West-Berlin war eben nicht irgendeine Stadt, sondern wilder, schräger und jünger als andere deutsche Städte: West-Berlin war eine Insel für viele, die es aus West-Deutschland weg trieb. Der Fall Mauer war der Untergang dieser Insel: und folgerichtig das Ende der Mauerkunst. Und während neuerdings überall gegen Graffities gekämpft wird, werden die letzten, schon geordnet produzierten Mauerkunstwerke musealisiert und konserviert.

Die anarchistische Struktur dieser immer wieder übermalten, tausendstimmigen, immer bunten Spielwiese öffentlicher Meinungsäußerung war eben spezifisch für die Atmosphäre in West-Berlin. Momente dieser „Mauer als rechtsfreien Raum“ hat die vorliegende Dokumentation festgehalten und zurückhaltend kurz kommentiert. Dabei wurden nicht nur die berühmten Mauerkunstwerke wie die Arbeiten von Keith Haring, Thierry Noir oder Dimitri Vrubels berühmter „Bruderkuß“ von der East-Side-Gallery festgehalten, sondern auch viele namenlose Aktionen wie der Versuch, die Mauer durch einen weißen Strich zwischen Mariannenplatz und Potsdamer Platz wieder als Grenze sichtbar zu machen. Auch die permanenten Veränderungen der Maueroberfläche und damit eines ihrer wichtigsten Charakteristika - neudeutsch würde man Interaktivität sprechen - kommt zur Sprache. Folgerichtig wurde auch die Zerstückelung der Mauer dokumentiert, ihr Ende als roter Strich auf dem Pflaster. Das Konzept der Autoren, möglichst viele Facetten der Mauergraffities festzuhalten, ist aufgegangen. Entstanden ist ein Bilderbuch der Erinnerung an die achtziger Jahre in West-Berlin, an eine andere Seite der Mauer, an die für mich als Ostberlinerin damals so überraschend andere Perspektive auf Berlin. Keine Nostalgie, aber eine Erinnerung daran, daß Berlin auch mal etwas anderes als die Hauptstadt war und sich Frontstadt nannte. Ein Hauch Sentimentalität schwingt mit, wenn aus der Mauer die „längste Galerie“ wird und aus Graffities und Inschriften, die sicher vielen Berlinern ein Dorn im Auge waren, „Mauerkunst“. Ein wenig idyllisch scheint die Szenerie um die Mauer, die auf der anderen Seite unzugänglich und nicht nur grau, sondern unüberwindbar war. Die Mauer war eben keine Galerie. Berliner Mauer Kunst regt zum Nachdenken über den Mythos „Berlin“ an. Das ist für einen Bildband, der auch, aber eben nicht nur, für Berlin-Touristen gedacht ist, sehr viel. Mich jedenfalls hat die Begegnung mit dieser fast vergessenen jüngeren Vergangenheit angenehm überrascht. Ach ja, das gab’s ja auch mal ...


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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