Eine Rezension von Gerhard Keiderling
Eine Darstellung zur Blockade mit neuen Sichten
Volker Koop: Kein Kampf um Berlin?
Deutsche Politik zur Zeit der Berlin-Blockade 1948/1949.
Bouvier Verlag, Bonn 1998, 563 S.
Unter den zahlreichen Büchern zum 50. Jahrestag der Berliner Luftbrücke nimmt dieser Titel einen hervorgehobenen Platz ein, weniger durch seinen irritierenden Titel als vielmehr durch seine den landläufigen Darstellungen in vielen Punkten widersprechenden Forschungsergebnisse. Unter weitgehender Ausklammerung der komplizierten Viermächte-Verwicklungen beschränkt sich der Journalist Volker Koop auf die Politik der Deutschen zur Blockadezeit, sozusagen auf den deutschen Reflex auf die Berliner Krise. Es sind dies im wesentlichen drei Themen: die Haltung der Westzonen gegenüber dem blockierten Westberlin, das Unterlaufen von Blockade und Gegenblockade sowie die Spaltung der Berliner Stadtverwaltung durch einen kommunistischen Umsturz am 30. November 1948. Koop hat in den einschlägigen Archiven gründlich recherchiert und im Anhang auf 170 Seiten wichtige Dokumente in Gänze oder im Auszug zusammengestellt.
Die erste Feststellung Koops lautet: Die Unterstützung des Berliner Freiheitskampfes durch Westdeutschland kann allenfalls als zögerlich, halbherzig, widerwillig und weitgehend unsolidarisch bezeichnet werden. Die Bizonen-Politiker betrachteten Berlin, selbst seine Westsektoren, als einen im Kalten Krieg unhaltbaren Außenposten und als ein Faß ohne Boden, in das man den kostbaren Dollar-Segen nicht stecken wollte. Der Kreis um Ernst Reuter mußte einen kräftezehrenden Kleinkampf um jede finanzielle und wirtschaftliche Hilfe führen. Auch in der westdeutschen Öffentlichkeit brachte man dem blockierten Westberlin wenig Aufmerksamkeit entgegen, von einer Kinderverschickung und einigen privaten Hilfsaktionen abgesehen. Erst nachdem die Westalliierten den Kampf um Berlin für sich entschieden hatten, hefteten sich die westdeutschen Politiker einen Siegeslorbeer ans Revers.
Die zweite Feststellung Koops lautet: Der Begriff der Blockade müsse überprüft werden, weil die Westsektoren Berlins zwischen Juni 1948 und Mai 1949 keineswegs total blockiert gewesen seien. Zwar seien die Verbindungswege nach den Westzonen von den Sowjets unterbrochen worden, doch hätten sich die Westberliner in Ostberlin und im brandenburgischen Umland frei bewegen und sich dort auch zusätzlich mit Lebensmitteln, Kohle und anderen Gütern versorgen können. Koop stellt damit auch den jahrzehntelang verwendeten Begriff der Hungerblockade in Zweifel. Er geht sogar noch weiter: Während die Westberliner durch die westalliierte Luftbrücke und durch ihre Hamsterfahrten in den Osten ausreichend mit Lebensmitteln (nicht hingegen mit Kohle) versorgt waren, wurde die SBZ-Bevölkerung zu Opfern der Blockade, weil sie zusätzliche Leistungen und Lieferungen zugunsten der sowjetischen Berlinpolitik erbringen mußte. In diesem Kontext registriert Koop auch ein weitgehendes Unterlaufen der sowjetischen Blockade und der westalliierten Gegenblockade im innerdeutschen Handel, das von den Besatzungsmächten lange Zeit geduldet worden war.
Die dritte Feststellung Koops lautet: Die SED gab mit ihrem Putsch vom 30. November 1948 den letzten Anstoß zur Teilung Berlins. Die Formulierung ist insofern bemerkenswert, weil sie vorangegangene Anstöße vermutet. Folgerichtig konstatiert er: Die Frage, wann die Teilung Berlins Realität geworden war, braucht andere als die geläufigen Antworten.
Diese Feststellungen, die so gar nicht ins Konzept der diesjährigen Festredner und Festschriften passen, sind durch archivalische Quellen hinlänglich belegt. Koop fordert die Historiker auf, sich diesen bisher nicht gestellten Fragen zuzuwenden. Dabei übersieht er allerdings, daß diese Fragen schon lange vor ihm in der Literatur aufgeworfen wurden. So hatten W. Brandt und R. Löwenthal in ihrer Reuter-Biographie (1957) und W. P. Davison in Die Blockade von Berlin (1959) Gleichgültigkeit und Widerstände in Westdeutschland beklagt. Eine ganz wichtige Frage, nämlich die Vehikel-Funktion der Berlin-Krise für die Weststaatgründung, wird gar nicht angesprochen, obwohl sie in verschiedenen Arbeiten thematisiert wurde. In seiner Monographie Die Berliner Krise 1948/49 (1982) hatte der Rezensent aufgrund der ihm damals zugänglichen Quellen unter Hinweis auf die nur teilblockierten Westsektoren die Propagandathese von der Hungerblockade in Frage gestellt und die Wirkungslosigkeit der westalliierten Gegenblockade nachgewiesen. Darüber gab es damals den pflichtgemäßen Aufschrei in der bundesdeutschen Historiographie und politischen Literatur, schließlich erschien diese Arbeit in Ostberlin. Offensichtlich scheint es noch immer Berührungsängste mit der ehemaligen DDR-Historiographie zu geben. Koop überläßt in seinem Buch die Auseinandersetzung mit dieser Literatur einem gewissen Wiegand auf zwei Anhangseiten.
In dem vorliegenden Buch sind zahlreiche Überzeichnungen, Einseitigkeiten und Fehler anzumerken. So mißt der Verfasser der SED in der Frage der Einheit oder Spaltung Berlins eine Selbständigkeit zu, die diese Partei als sowjetisches Vollzugsorgan nie besessen hatte. Andererseits übersieht er die Quellen, die den Wunsch der drei demokratischen Parteien dokumentieren, die Stadtverwaltung vom sowjetischen Sektor in die Westsektoren zu verlegen und auf einen diesbezüglichen Vorwand hinzuarbeiten. Die staatliche Handelsorganisation HO, die im November 1948 für die SBZ gegründet wurde, war weder eine Ostberliner Angelegenheit noch ein Vorläufer der viel späteren Intershop-Läden. Auch waren die Prager Ereignisse Ende Februar und nicht im März 1948.
Dem Grundanliegen der Arbeit, ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen die Berliner Krise, d. h. Blockade und Luftbrücke, Spaltung Berlins und Deutschlands, Währungsfrage und Verhalten der damals verantwortlichen deutschen Politiker, unvoreingenommen anhand der Quellen zu untersuchen, ist zuzustimmen. Die Möglichkeit, die der 50. Jahrestag der Ereignisse bot, ist nur wenig genutzt worden. Es bleibt also Hoffnung.