Analysen . Berichte . Gespräche . Essays
Bernd Heimberger
Freude mit Fontane
Als Monsieur Fontane Berlin, der Mark, kurzum der irdischen Welt in Sekundenschnelle für immer den Rücken kehrte, verließ nicht nur der größte, bedeutendste, bekannteste deutsche Romancier des 19. Jahrhunderts das Terrain. Leser der Vossischen Zeitung trauerten vor allem um ihren Th. F., der fast zwei Jahrzehnte als Theaterkritiker den emsigen und energischen Tagespublizisten gegeben hatte. Fontanes Bücher waren kaum über die gute Stube der Bildungsbürger hinausgekommen. Der Erzähler starb mit der vagen Gewißheit, daß nur seine Gedichte bleiben, wenn überhaupt etwas bleibt. Theodor Fontane war nicht populistisch, und er war nicht populär. Keiner seiner Zeitgenossen wäre auf die Idee verfallen, sich für das zu interessieren, was bei den Fontanes in der Berliner Potsdamer Straße 134 c auf den Tisch kam. Niemand war so neugierig, die Schatullen und Schübe zu lüften, in denen Briefe Fontanes verstaut waren.
Heute, scheints, will alle Welt alles von Theodor Fontane wissen und haben. Edel aufbereitet und ausgestattet, daß es den immer Ehrgeizigen ergötzt hätte. Aber auch praktisch, preiswert, damit der Mann auch bei jenen ankommt, denen er die Zukunft zutraute - dem Dritten Stand. Vermutlich ist Fontane längst Volks-Eigentum, denn er ist als Massen-Marken-Artikel in sämtlichen Preislagen zu haben. Doch Literatur ist nie Discount. Literatur ist, gelegentlich, günstiger zu erwerben. Wie alles, was im Deutschen Taschenbuch Verlag München von und zu Theodor Fontane zu haben ist.
Wer ohnehin gern in fremder Leute Sachen schnüffelt, kann ungestraft in Fontanes Briefen (5 Bde., dtv 59037.) wühlen. Was nicht bedeutet, daß den wohlgeordneten und aufbereiteten Korrespondenzen gefolgt werden muß. Zumal Systematik, halten wir uns an Herrn Heinrich Heine, der Tod alles Korrespondierens ist. Wer Fontane, dank Literatur- und Geschichtsunterricht, zeitlich richtig einzuordnen weiß, sieht einen Mann durchs Vorjahrhundert marschieren, das für ihn kurz vor Jahresschluß 1819 begann und mit dem Sommerschluß 1898 endete. Die Biographie genauer beguckt, stellt sich schnell heraus, daß der berühmte Wandergesell, Verfasser der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, eher die moderne Postkutsche bestieg, sich seine Wander-Abenteuer also entlang des Schienenstrangs suchte. In den Briefen räuspert sich hundertmal eher der Berliner Stadt-Spaziergänger. Weniger die Stadt, ihre prominenten Bewohner, denen er begegnet, sind viele Briefworte wert. In vier Bänden zusammengefaßt, die ein zweiteiliger fünfter Band begleitet, in dem Register und Kommentare aufgenommen sind, sind die Postillen Fontanes eine wahre Wonne für begierige Briefleser. Sie sind eine authentische Biographie und besser als alle Fontane-Biographien, die in den vergangenen Jahren auftauchten.
Die Brief-Ausgabe beginnt, wie viele Briefausgaben beginnen. Der Dreizehnjährige, der liebende Sohn, der bereits ahnt, daß er sich abnabeln muß, schreibt der lieben Mutter, um ihre unverzichtbare Hilfe zu erbitten. Der, der nur noch mit Dein Alter unterzeichnet, verfaßt ahnungslos am Todestag einen Brief an die liebe Frau, der mit den Worten beginnt: Dies sind nun die letzten Zeilen ... Es ist vielleicht nur eine kleine Tugend, vom Urteil der Menschen abhängig zu sein ... Wie wahr, wie wahr! Zwischen erstem und letztem Brief ist nahezu alles addiert, was wir von Fontane wissen wollen und auch nicht. Stellt der Reiseberichterstatter und Biograph Fontane fest, daß es nichts Besseres gibt als Reisebeschreibung und Biographie, dann hat der eifrige Briefautor den Brief vergessen. Die Briefe des Theodor Fontane übertreffen in Unterhaltung, Mitteilung, Details bei weitem die erhaltenen, veröffentlichten Tagebücher. Daß die große Politik kaum das Brief-Thema war, wenn die Politik mal groß war, ist kein Manko. Der Giftmischer mit dem heftig schlagenden Republikanerherz schwieg im März 1848. Im Oktober und November hingegen schreibt er dem Herzensfreund Lepel einige Episteln, die heute noch als Sonderdruck zum Thema Volk und Freiheit enormen Eindruck schinden würden. Die Brief-Essays gipfeln in der wahren Wahrheit: Nur in der Freiheit wird man frei. Daß der Bismarck-Fan Fontane die Reichsgründung von 1871 in seinen Briefen wortlos vorüberziehen ließ, hatte wohl mit der verdrießlichen Kriegsgefangenschaft zu tun, in die der Journalist Fontane 1870 geriet. Von dem Internierten als Greuel empfunden, ist das Ereignis dem Germanisten Cord Beintmann nur eine knappe halbe Seite wert. Die Biographie Theodor Fontane (dtv 31003.) von Beintmann erschien in der noch jungen Reihe dtv portrait. Die Seiten der Buch-Reihe sehen aus wie Internet-Seiten. Dementsprechend ist das Fontane-Porträt fokussiert. Texte und Bilder bieten Fakten, Fakten, Fakten, daß es einem schier vor Augen zu flimmern beginnt. Der Autor hat sich der Ausstattung und Aufmachung der Reihe gebeugt. Seine komprimierte Fontane-Biographie hämmert den Lesern eine Lebensgeschichte ein, indem die Geschichte des Lebens auf Fakten und Daten gekürzt wird. Die Darstellung widerspricht dem heute mit Lob überhäuften Erzähler Fontane, der aus wenigen Fakten und Daten - siehe Effi Briest - beständig bestehende Literatur machte. Die wer wirklich in ihrer Gesamtheit liest? Die wie viele doch lieber als Kinofassung konsumieren? Das Buch von Beintmann ist auch ein bißchen Videoclip. Schnelle Schnitte, einprägsame Szenen. Aber die Lebenslinie? Die gibts anderswo. In der Literatur?
Theodor Fontane war ein überaus vielseitiger und fleißiger Schreiber, der länger das publizistische als das literarische Feld bestellte. Wer wagt es, sich den ganzen veröffentlichten Fontane zuzumuten? Bei gelegentlichen Lesern, Gelegenheits-Lesern, gewiß nicht Schnell-Lesern, macht sich der Deutsche Taschenbuch Verlag bestimmt mit seinem Fontane-Lebensbuch Allerlei Glück (dtv 12538.) beliebt. Der Band liefert Fontane live. Fontane konzentriert. Fontane weise. Fontane ausgewählt. Die thematisch geordneten Fontane-Sätze und -Passagen ersetzen auf keinen Fall den ganzen Fontane. Sie sprechen für ihn. Für einen Menschen, dem nichts Menschliches fremd war, was zwischen Geburt und Tod geschieht. Der Witz der Fontaneschen Worte ist, daß der Witz immer hintersinnig ist wie die Hintersinnigkeit immer witzig. Beispiel: Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner. Wußten wir doch! Das Lebensbuch ist ein Buch vom Leben über das Leben. Das Buch nach dem Aufstehen oder vor dem Schlafengehen aufgeschlagen und einige Texte genossen heißt, besser durch Tag und Nacht zu kommen. Fontane machts möglich. Der war im Alter so klug zu gestehen: Ich gehe jetzt noch in die Schule und lerne von Leuten, die meine Enkelkinder sein könnten.